065 Der verkannte Messias
Jänner 2002
„Als Musiker gut bis sehr gut, als Mensch ein Psychopath“, zu dieser Formel greifen Musiker, wenn sie unter ihren Kollegen einen vorfinden, dessen Kommunikationsgestörtheit irreparabel erscheint.
Was vorliegt ist eine narzißtische Selbststörung, der ein Selbstzerstörungsprogramm innewohnt, das sich durch lebenslange Störung der Kollegenschaft anfacht und auflädt, zu bestätigen und zu erfüllen trachtet. Ein Mechanismus, dem der Gestörte nicht entfliehen kann, weil seine Identität mit seiner Gefangenschaft im Mechanismus identisch ist.
Daß Musiker für diesen Mechanismus anfällig sind, ergibt sich aus dem Modus ihrer praktizierten Sinnlichkeit: die weltlose Welt der musizierten Klänge erlaubt es wie keine andere, als persönlicher Mittelpunkt eines anderen und scheinvollkommenen Universums zu glänzen und allseits liebende Anerkennung in diese unsere Welt heimzutragen.
Und exakt diese Musik soll es nun auch in der des Lebens spielen und dies noch dazu, Abenteuer aller Abenteuer, in der mehr als unvollkommenen Welt der Kollegenwelt.
Diese muß daher zunächst präpariert und umorganisiert werden, um dem Mechanismus der Vollkommenheitsvorstellungen des sich als Führer empfehlenden Kollegen-Messias folgen zu können.
Die propädeutische Strategie hiezu ist ebenso simpel wie erfolgreich: man lege mitten unter die Abteilung der Kollegen oder der gesamten Kollegenschaft eines Musikerhauses eine Linie, entlang derer die Kollegenschaft nach möglichen Todfeinden und möglichen Intimfreunden sortiert wird. Dann setze man auf die trennende Grenze übelriechende Duftmarken, um ein Überschreiten derselben für immer auszuschließen. Als Duftmarken dienen nichtige Anlässe und Vorfälle, kleine und hinfällige Differenzen und vor allem biographisch vorgegebene Sympathien und Antipathien, denen jene Sticheleien und Beleidigungen entlockbar sind, die im Bewußtsein der Intimfreunde als harmlose und originelle Späße erscheinen, im Bewußtsein der Angegriffenen und möglichen Feindkandidaten jedoch den Alarm pathologischer Gefahr auslösen, während sie im Bewußtsein des Messias selbstverständlich nur als Mittel für den heiligen Zweck, unter seiner Führung endlich die vollkommene in die unvollkommene Welt einzuführen, fungieren.
Nach dieser strategischen Vorarbeit im Namen einer herbeizuführenden heilen Welt ist jenes Feld zu bestellen, auf dem nur mehr unlösbare Konflikte wachsen, weil eine siamesische Vermischung und Vermanschung des „Menschlichen“ und des „Sachlichen“ hochgezüchtet wird, die kein Operateur dieser Welt nochmals trennen kann. Und daß sein eigenes kommunikationsverstörendes Agieren die Ursache dieser Vermanschung ist, könnte in den Kopf des Messias selbstverständlich nur eingehen, wenn er diesen an der Garderobe des Lebens gegen einen andern Kopf austauschen könnte. Er versteht diese verknöcherte Welt nicht, und die Welt versteht seine großartige Persönlichkeit nicht. Da ist guter Rat mehr als lebensteuer.
Im Gang der Dinge siamesiert sich das siamesische System von Duftmarken und Sachmarken unaufhörlich weiter, beider Essenzen nehmen an Schärfe zu, denn jeder ungelöste Konflikt ist ein kräftiger Humus für die nächsten, die stets noch unlösbarer sein werden.
Der weltliche Messias, stets als Spürhund in eigenem und totalitärem Heilsauftrag unterwegs, entdeckt Unvollkommenes an jeder Ecke und klagt dessen dringende Vervollkommnung ein; dringlich wie keinem anderen Kollegen ist es ihm damit, höchste und peinlichste Not, und zu seinen ersten Nöten zählt stets wieder, daß er feststellen muß, auch seine lieben Intimfreunde sind meist nur faule Säcke ohne Visionen und ohne Streit- und Boxlust. Daher ist in die zu steigernde Erhitzung des Mechanismus von Duftmarken und Sachmarken stets ein Submechanismus eingebaut: die Intimfreunde müssen aus der Rolle von Biedermännern in die von Brandstiftern umschlüpfen, schon weil ohne Zuschauer die Weltheilung nur den halben Spaß bereitet. Und warum und wie kommt es zu dieser dennoch nie und nimmer? Dazu gleich.
Versetzen wir uns in die Lage der Todfeinde: sie sehen wieder einmal eine Botschaft und einen Auftrag zur Weltvervollkommnung vor sich, wieder einmal mit jenen Duftmarken versehen, die den Geruch des Messias über jedes Gerücht erheben. Schlüge der Todfeind mit gleicher Münze zurück, hätte er dem Messias insgeheim bewiesen, zwar noch nicht ganz, doch halb schon ein Mitglied seines Geistes und dessen Bande geworden zu sein; er hätte sich mit dem System der Duftmarken infiziert und mit dessen Welt- und Menschenhaß affiziert. So widersteht er und spricht: die Rache ist des Herrn allein; und wie schon oft versucht er auch diesmal wieder, den hochnotpeinlichen Anschein einer Trennung von Sache und Schleim vorzunehmen oder die Sache samt Schleim zu ignorieren.
Versetzen wir uns in die Lage des Messias: dieser will nur die Sache und nichts als die Sache; als deren selbstloser Diener opfert er sein rastlos umtriebiges Leben, denn er denkt ja nicht nur für sich, sondern zugleich und mehr noch für seine Kollegen und für das wahre Ganze. Da er jedoch seine Duftmarken nicht mehr als solche riecht, weiß er insgeheim jedesmal schon im voraus, daß sein absolutes Aburteil über die Schlechtigkeit der Kollegenwelt auch diesmal wieder bestätigt werden wird; feige oder auch stumm werden sie kuschen und nicht mit ihm zu reden wagen, offen von Messias zu, ja zu wem? An dieser Stelle entdeckt sich der autoritäre Untergrund des narzißtischen Systems; denn unseren Messias hat die Grundregel der aktuellen Demokratie, in der sich auch unter Kollegen ein gemeinsames Agieren nur autoritäts- und messiasfrei organisieren läßt, noch nicht erreicht; ausgerechnet unser Messias, der stets schon das Beste von morgen für die Welt von heute im Visier hat, entpuppt sich als ein Heros vergangener Zeiten, als eine Autorität von fürstlich selbsternannten Gnaden. In das System der narzißtischen Selbststörung ist daher notwendigerweise, ohnehin wenn es in einer durch Sachzwänge hierarchisierten Kollegenwelt erblüht, ein System der autoritätsfixierten Störung miteingebaut; und dies ist auch der Grund, weshalb sich das narzißtische System nicht sosehr an den Kollegen derselben Etage, und mögen diese den Mond gestohlen haben, als vielmehr an der hehren Schar der Oberkollegen, an denen „da oben“ entlädt – am Establishment der Verwalter, Vorstände, Direktoren, Führer jeder Art, bis hin zur Weltregierung überhaupt. Unnötig, die paranoide Pointe des autoritätsfixierten Systems zu ergänzen: alle Führer dieser Welt haben stets auch unseren Kollegen-Messias im Visier.
Zur Ausführung der heiligen Zwecke unter der angemaßten Führerschaft kann es und soll es daher auch nicht kommen, im ureigensten Interesse dieses merkwürdigen Kollegen-Messias nicht, ein Eigeninteresse, dessen Selbstverunmöglichung ihm zugleich verborgen bleibt. Erstens haben die oft durch Jahre verstreuten Duftmarken das Klima und den Geist handlungsermöglichender Gespräche vergiftet und vernichtet; zwar könnte ein Außenstehender einwenden, spätestens nach dem dritten Störungsfall müßte der Messias eine Korrektur seines Kurses erwägen; doch ein Außenstehender hat keine blasse Ahnung von den Wonnen der narzißtischen Heilung einer durch und durch korrupten Kollegenwelt; es wäre vorbei mit der Rolle des Messias, schlüge das Bemerken des ständig steigenden Pegels an neuen Feinden, für welchen die Anzüchtung stets neuer Intimfreunde nur eine matte Kompensation sein kann, in Erkenntnis und Selbsterkenntnis um.
Zweitens muß der Selbstgesalbte ständig in vielen Gebieten als Pseudoautorität agieren, weil er sich untererstens um alles kümmern muß, und unterzweitens ständig von Einzelschäden auf Totalschäden kurzschließt – weshalb er das altbekannte Stück vom Splitter und Balken in neuer Version zur Aufführung bringt. Drittens steigert sich mit der Zeit sein Informationsdefizit auf vielen Gebieten, weil man ihn nicht mehr ran läßt an die wahren Probleme und Schätze, an die konkreten Entwicklungen und Vorgänge; sein messianisches Reich provinzialisiert sich daher, was wiederum sein Urteil über das permanent sich verändernde Ganze trüben muß. Viertens wird die Sache mit der Zeit anundfürsich langweilig, es wächst stets nur dasselbe eintönige Geschwür nach; fünftens steht der verursachte Klimaschaden in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen einer stets nur partiellen Sachverbesserung. Die Welt der Kollegen-Welt geht daher im Ganzen und Langen eben denselben Gang, den sie ginge, wenn kein Kollegen-Messias sie begleitete. Zwar hat der Kollegen-Messias an seiner Unerfüllbarkeit zugleich seine Erfüllung, anders wäre sowohl die die ständige Erregung wie auch Befriedigung eines ewig sich reproduzierenden Narzißmus nicht möglich; aber sein insgeheimer Wunsch, ihm selbst verborgen, als großer Mann und mächtiger Chef das große Wort im Ohrengang aller führen zu können, als Mittelpunkt des Ganzen verehrt und geliebt zu werden, verhindert er eben durch dieselben Mittel, mit denen er sein Glück herbeiführen möchte. So speist er letztlich allein sein ebenso süßes wie bitteres Lebensbrot, und die selbstzerstörerische Hefe nagt und nagt und nagt…