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088 Artenausverkauf im Sonderangebot

Oktober 2002

Dem Artensterben der malträtierten Natur entspricht der Artenausverkauf einer zerfallenden Kultur.

Behauptet Jemand: Es gibt nur gute und schlechte Religionen, nur gute und schlechte Staatsverfassungen, nur gutes und schlechtes Obst, nur gute und schlechte Autos, nicht aber Arten der hier genannten Gattungen von Realität, dann argwöhnen wir zurecht, Jemand möchte uns für dumm verhalten und verkaufen, um uns zum Glauben an das esoterische Märchen von der einfachen Welt zu bekehren, die hinter der komplex erscheinenden die eigentliche und wirkliche sei; und die sich dankenswerterweise durch eine Erleuchtung unseres esoterischen Glasauges offenbaren lasse.

Behauptet aber ein anderer Jemand: Es gibt nur gute und schlechte Kunst, vor allem aber nur gute und schlechte Musik, nicht aber Arten von Musik, dann hallt dieses prominente Dekret, von öffentlich bekannten Jemanden in gutgelaunten Interviewminuten der staunend beglückten Menschheit mitgeteilt, beinahe schon wie eine höhere Weisheit durch die Hallen und Wüsten der modernen Kultur – und niemand lacht, niemand weint, niemand denkt.

Der beliebte Satz von einem flächendeckenden Einheits-Ethos der Musik, das in unseren Tagen wieder einmal zu besonderen Ehren gelange, muß daher mit besonderer Schläue und Naivität gehändelt werden, um in der ebenso fröhlichen wie rauhen Pluralitätsrealität des heutigen Lebens von Musik sein unbemerkt sinntötendes und artenmordendes Unwesen treiben zu können.

Insbesondere in den Kulturredaktionen unserer Zeitungen, jener, die sich immer noch als kulturvermittelnde mißverstehen, muß der Satz, daß es nur gute und schlechte Musik gäbe, weil jede in ihrer Art ebensogut sei wie jede andere in ihrer anderen Art, schon vor etlichen Jahrzehnten wie eine Bombe eingeschlagen haben, die mit einem Schlag jene totale Durchsicht und restlose Aufklärung ihrer Angestellten besorgte, ohne die auch wir Leser von heute die sogenannten Kulturseiten unserer Zeitungen nicht mehr lesend ertragen könnten. Denn nur unter dem Damoklesschild einer Ebensogutheit aller Arten von Musik lassen wir uns die lebendige Artenvielfalt der Musikszenen unserer Musikkultur als permanente Information eintrichtern und als hundertprozentige Erfüllung des Kulturauftrages der Demokratie vorbeten.

Natürlich muß ebensogut auch die Auslastung stimmen, denn „ohne Geld ka Musi“; doch gilt unter marktnatürlichen Bedingungen ebensogut auch das Umgekehrte: „ohne Musik ka Göd“, und auch deshalb muß sich der Satz vom flächendeckenden Einheits-Ethos aller Arten von Musik, nach dem allen Musiken dieselbe Ebensogutheit zukomme, als unbedingte Bedingung des aktuellen Lebens der Musik behaupten. Welche Musik nicht auslastet, die wird als ausgediente verrichtet; und da waren’s nur noch zwei Arten: dienende und nicht mehr dienende.

Sowohl die Gesetzesstimme des Marktes wie auch der letzte Schrei der letzten Musikästhetik von heute verkünden daher die Ebensogutheit aller Arten von Musik, und fast schon des Ebensoguten zuviel ist es, wenn als letztschlagender Beweis eines flächendeckenden Musik-Ethos von heute angeführt wird, daß die einst als niedrige verfemten Arten der Musik heutzutage die besten Auslastungen und beglückendsten Wirkungen erzielen, wenn nur das angezielte Zielpublikum hundertprozentig getroffen wird.

Auch im Musikland Österreich schwärmen daher die kurz angeleinten Schwadronen der Musikjournalisten und Musikkritiker an die vielen Spiel – und Einspielorte der unzähligen Musikarten und -szenen mit einer demokratischen Einheitsästhetik im Gepäck aus, um uns über die verschiedenartigsten Musiken mit ein und denselben Weltmeisterkategorien und -worten zu berichten; als ob auch hierzulande Musik vorzüglich gleich Musik wäre, eine universalistische Weisheit, die uns erstaunen läßt über den phäakisch gelernten Österreicher, der doch anzüglich schon bei Wiener Schnitzel und Wein, bei Schweinsbraten und Bier reagiert, wenn seiner feinabstufenden Nase und seiner noch feiner abschmeckenden Zunge ein nivellierendes Kategoriensystem sowohl für das Beurteilen wie erst für das Genießen seiner innigst zugeeigneten und innigst zu verzehrenden Kulturdinge aufgezwungen wird.

Lesen wir bei einem bekannten amerikanischen Musikhistoriker den ebenso kuriosen wie dennoch gedruckten Satz, daß ein Werk von Mozart auf seine Weise ebenso morbide und elegant und ungestüm sein könne wie eines von Chopin oder Wagner, dann müssen wir dieser McDonaldisierung unseres Denkens ebenso entschieden entgegendenken wie jenen CIA-Agenten mutig entgegentreten, die mittlerweile in Wien hinter jedem zweiten Baum stehen sollen, um die Bush-Unfreundlichkeiten des denkunfreudigen Großstadt-Österreichers zu beobachten. Sagen wir nämlich, Ameisen sind in ihrer Weise ebenso schnell wie Antilopen – oder nochmals auf unsere eingeborene Höchstkultur des Essens und Trinkens bezogen: Schweinsbraten ist in seiner Weise ebensogut wie Wiener Schnitzel, dann legt jeder gelernte Österreicher seinen Kopf in eine bedenkliche Schieflage zum Zeichen, daß ein Gedanke a là Hamlet in ihm zu arbeiten begonnen hat.

Da es auch in Österreich erlaubt ist, nicht nur beim Essen nicht zu denken, löst sich unser Problem ganz unproblematisch. Zwar liegt erstens ein unheilbarer Widerspruch in dem Satz, Wiener Schnitzel schmeckten in ihrer Art ebensogut wie Schweinsbraten; denn zwischen der einen Kategorie von „in ihrer Art“ und der anderen Kategorie von „ebensogut“ liegt ein Abgrund, der sich durch kein Freßwunder wegfressen läßt; aber zweitens ist das Reden nur höchstselten zum Denken da, und da wir drittens im Reden immer schneller reden als der Gedanke Zeit bekäme, zu unserer Besinnung sich anzumelden, hören wir den Satz vom Wiener Schnitzel und vom Schweinsbraten wie saturierte Großgenießer, die schon wissen, worauf’s ankommt, wenn’s ankommt.

Nur in Gedankenlosigkeit versonnen können wir unserem Mundwerk jene Kommunikation überlassen, die wir als lebendige erfahren und kommunizieren; die notwendig ist, um miteinander über alles und nichts Worte zu verkünden. Und außerdem gilt es – leider doch – zu bedenken, daß wir immer auch mit Kindern und anderen menschlichen Wesen Reden auszutauschen haben, die einen sozusagen behördlichen Anspruch auf gedankendezimiertes Reden und Zureden und ein ebensolches Hören und Zuhören haben. Und das Innerdem dieses Außerdems ist uns gleichfalls bekannt: für viele Menschen ist es ein dominantes Lebenselixier eines normal gelebten Lebens, zeitlebens die kindliche Gedankenlosigkeit eines antradierten Sichein- und Sichausredens bis ans Lebensende festzuhalten – wie nicht zuletzt jener Satz beweist, der uns frischfröhlich verkündet, es gäbe nicht Arten von Musik, sondern nur ebensogute, nur gute und schlechte Musik.

Weil die Geschmacksgüte von Schweinsbraten von Schweinsbratengüte, die Geschmacksgüte von Wiener Schnitzel aber von Wiener Schnitzelgüte ist – und beider Güten sind nicht „ebensogut“, sondern absolut different gut – sagen wir mit unserem „ebensogut“ nur aus, daß uns beide Güter, freilich nicht in derselben Szene, nicht zur selben Zeit und am selben Ort, gedeihlich munden und verdaulich schmecken. Das Ebensogut enthält lediglich eine Aussage über unseren inneren Vielfraß, über die niederen Lustgefühle eines höchst sinnreflexiv Natur vernichtenden wie zugleich höchst gedankenlos schmausenden Subjektes, das daher nur an diese seine Lust denkt, wenn es auf Anfrage seinen Ebensogut-Satz formuliert, um jenen Widerspruch zwischen dem Schweinsbratensatz einerseits und dem Wiener Schnitzelsatz andererseits zu einem scheinbar stimmigen Synthese-Satz zusammenzufassen: Schweinsbraten schmeckt ebensogut wie Wiener Schnitzel. Ein klassischer Cross-Over-Fast-Food-Satz, vermutlich von CIA-Agenten uns grausam unterjochten Europäern hinterlistig eingeimpft.

Es ist also unsere schlechte Subjektivität, unsere egoistische und egomane, unsere tierische und fressende, die aus und zu uns spricht, wenn sie ihr Ebensogut verkündet, jene, die auf dem heutigen Markt der Musik als die allseits bekannte und willkommen umgesetzte eines Allkonsumenten erscheint, der sich durch den Gemüsegarten der Musik querdurchzufressen und querdurchzumusizieren beliebt. Hauptsache es schmeckt, wer fragt hier noch nach Sorten und Arten?

Aber das Ebensogut ist auch ein Quietiv, ein Placebo, das uns vor den Widersprüchen unserer aktuellen Kultur von Musik bewahren soll; damit aber zugleich vor dem höchsten und tiefsten und daher unbemerktesten Widerspruch unseres Musiklebens, dem von Theorie und Praxis, von wirklichem Wissen und bloßem Scheinwissen. Eine Musikkultur, die ihre Artunterschiede liquidieren muß, sei es durch Gleichbewerten oder durch Crossovern oder durch beides, wünscht ihre Widersprüche zu verdecken; sie verfügt nicht mehr über ein wirklich aufklärendes Denken über Musik, nur mehr über ein Reden und Nachreden von Musik; folglich verbleiben ihre Widersprüche unbewältigt und unservierbar im Speisekeller der modernen Demokratie – da ist kein Bartl mehr, der uns die Gründe und Abgründe holte und kredenzte.