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Kapitel IV

IV.

 

Die reale und auch produzierende Vermischbarkeit aller Positionen erfolgt in einer fünften Position, die allerdings nicht mehr als eigene Position angeführt werden sollte, weil sie in der Tat alle anderen in sich „aufhebt“ und vermischt, doch ohne ein eigenes Prinzip zu besitzen, in dem die „aufgehobenen“ wirklich ‚aufgehoben’ wären. Es geschieht Scheinaufhebung, und dies ist bekanntlich das Kennwort jeder vernünftigen Definition von Eklektizismus.

 

Die Position dieser Nichtposition wurde als postmoderne sowohl praktisch (als Kunst) wie auch theoretisch (als Ästhetik und in den Kunstwissenschaften) geschichtsmächtig (im Kulturgeplauder und Feuilleton ist sie seither allgegenwärtig), und daß sie jeden Versuch und Angriff der letzten Mohikaner heroischer Moderne – seien es Künstler oder Theoretiker – mit Leichtigkeit abwehren kann, erklärt sich aus dem Wesen der modernen, durchdringend säkularen Welt und Kultur: die Freiheit alles zu dürfen, kann im Begriff und der Realität von Kunst nicht nochmals durch eine höhere Kunstfreiheit überboten werden. Das Geplauder von einer „Zweiten Moderne“, welche die Fahne einer nochmals höheren und tieferen Freiheit der Künste hochzuhalten hätte, ist obsolet.

 

Geschichtlich ist es nicht zufällig, daß die alle festen und heroischen Positionen aufhebende Position der Postmoderne in den letzten Dezennien des 20. Jahrhunderts einsetzte, nachdem die Verbrüderung der heroischen Ansprüche der ästhetischen Moderne (eine neue Menschheit für und durch eine neue Kunst) mit den neokommunistisch agierenden Freiheitsutopien der (linksideologisch) westlichen Welt unmöglich geworden war. Dennoch folgte die politische Desillusionierung der ästhetischen Moderne durch den Kollaps der marxistisch-sozialistischen Moderne zugleich einer immanenten Desillusionierung der modernen Kunst selbst.

 

Denn der postmoderne Eklektizismus wurde möglich und notwendig, weil jene Gebote und Verbote, welche die moderne Kunst auf ihrem revolutionären Weg aufstellte und befolgte (die freilich in den Gefilden der sogenannten „Gemäßigten Moderne“ und ihrer Neo-Ismen oder gar in den minderheitlichen der ästhetisch Konservativen, die vormoderne Paradigmen als akademische Kunstübung weiterführten, ignoriert wurden), um ihre Schocks und Skandale, Revolutionen und Innovationen durchzusetzen, durch erschöpfte Erfüllung das Ende ihrer Glaubwürdigkeit erreichten.

 

Auch moderne Kunst kann nicht unbegrenzt in erstmaliger Innovation machen. Daher Postmoderne: keine Verbote und Gebote mehr, sondern wirkliche Freisetzung der traditionellen Künste, die nun sowohl ihre eigene Geschichte wie die aktuelle Gegenwart, das heutige und das vormalige Phantasieren und Schaffen, Formen und Ausdrücken vermischen und „integrieren“ können; – in Individualstilen, deren Stilname mit den vormodernen nur mehr den Namen „Stil“ gemeinsam hat.[1]

 

Weil die postmoderne Vermischung von allem mit allem, der eine Trennbarkeit aller ästhetischen Faktoren (Inhalte, Formen, Materialien) voraus und zuinnerst liegt, längst selbstverständlich geworden ist, muß eine Typologie von Standpunkten, wie die vorhin angeführte, bereits den Vorwurf des Anachronismus ertragen.[2] Aber die reductio ad principia ist notwendig, um durch Rekonstruktion der Ansprüche und überhaupt möglichen Paradigmen, die im Wirbel und der tabula rasa der ästhetischen Postmoderne verschwinden, die Frage dieser Untersuchung: nach der (wirklichen oder unwirklichen) „Erweiterung“ der Kunstschönheit durch moderne Kunst zu klären.[3]

 

Aber sosehr die postmoderne Kunst auch wieder „schöne“ Kunst sein möchte, sie möchte keineswegs gewisse Ansprüche der modernen Kunst aufgeben. Mag sie auch die Ansprüche auf Erschaffung eines neuen Menschen ad acta gelegt haben, schon weil sie nicht mehr (utopisches) l’art pour l’art sein möchte, und mag sie auch darauf verzichten, durch Schock und Skandal Aufmerksamkeit und Anerkennung zu gewinnen, um folglich auf eher harmlose Weise als realistische Kunst zu reüssieren, weil am Mitleiden der Kunst an den Leidern der Gegenwart letztlich kein Weg vorbeiführe und autistische Kunst- und Schönheitsprinzipien letztlich nur solche verbleiben; mag sie daher auch wissen, daß der Grat zum Schönen ein schmaler ist, weil ihn längst die Unterhaltungsimperien (mit mächtigen, obgleich absinkenden Stilen und Gattungen der traditionellen Künste), wie ohnehin die neuen technologischen – Foto, Film, Multimedia, Cyberspace, Internet – besetzt haben, so muß sie doch das revolutionäre Programm der modernen Kunst in dieser oder jener abgeschwächten Form weiterführen.

 

Auch als postmoderne versteht sie sich daher darauf – ihre ebenso (all)mächtigen wie ohnmächtigen Möglichkeiten eines totalen Eklektizismus einsetzend – in vollständiger Autonomie und Freiheit als ein ästhetisches (Darstellungs)Organ des Leidens an Welt und Geschichte, als ein Organ von Kritik und Subversion fortzuwirken, – als Agent einer unermüdlich fortzusetzenden Aufklärung, als Speersitze der Freiheit in einer angeblich unbefreiten Gesellschaft, als Heros einer wirklichen Kultur inmitten einer angeblich kulturlosen.

[1] Wie schon eingangs erwähnt, ist damit nicht nur ein Cross-Over aller vormodernen und modernen Mittel in den traditionellen Künsten freigegeben, auch mit den technologischen Künsten sind unzählige Verbindungen möglich. In der Reproduktion und Präsentation sind die technologischen Medien ohnehin präsent, sie sind auch aus jener Reproduktion und Rezeption, welche das Pantheon der vormodernen Kunstgebilde revitalisiert, nicht mehr wegzudenken.

[2] Welche Ausmaße die Beliebigkeit dessen erreicht hat, was einmal Geschmacksurteil in den Künsten genannt wurde, beweist jeder Blick in das Kultur- und Kunstfeuilleton. Es gibt keine Meinung, die nicht vertretbar wäre. Alle Kategorien und deren Worte wandeln wie auf einem letzten Scheiterhaufen ineinander, in banger Erwartung des Feuers, das sie verbrennen wird.

[3] Dies gilt auch und gerade unter dem Wissen, daß die ästhetische Postmoderne vielfach angetreten war und ist, die – in ihrer Sicht – durch moderne Kunst zerstörte Kunstschönheit zu heilen und auf alternativen Wegen eine wirkliche Kunstschönheit zu finden: mit neuer Einfachheit, die sich der traditionellen Formen und Mittel wieder bediene, sollte dieser Anspruch eingelöst und die Rückeroberung des „breiten“ Publikums eingeleitet werden.