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28 Über das Enden der Kunst in Hegels Ästhetik

(28) Über das Enden der Kunst in Hegels Ästhetik

I.

Verstehen wir Hegels Satz, daß die Kunst zu Ende sei, unmittelbar und nur verständig in der Weise, wie wir über eine Leiche den Satz aussagen, daß sie die Wirklichkeit des Endes des Lebendigen sei, dann ist Hegels Satz offensichtlich unvernünftig, selbstwidersprüchlich und absurd. Immer wieder totgesagt, lebt die schöne Leiche doch, — und in der Moderne als moderne und unterhaltende Kunst überaus prächtig. Also habe sich Hegel geirrt und ins Absurde verstiegen, womit wieder einmal die Absurdität seines „Systems“ bewiesen wäre.

Hegels Satz vom Ende der Kunst fiele in das Sortiment jener Sätze der Moderne, die an jeder Straßenecke ihrer aktuellen Diskurse das Ende der Natur, der Geschichte, der Metaphysik, der Religion, der Subjektivität, des Gottes auszurufen pflegen, weil die Moderne nun einmal und ab nun für immer die große tabula rasa der Menschheit sei; folglich der Beginn einer neuen Menschheit, die ab sofort die Party einer weltgerichtlichen Stunde Null abzufeiern habe.

Gegen diese tabula-rasa-Enden ist zunächst die hoffentlich immer noch gemeinverständliche Vermutung stark zu machen, daß in der Geschichte der Menschheit das Ende jeglichen Zustandes von jeglichem Etwas immer zugleich der Beginn eines anderen Zustandes desselben Etwas sein muß, weil wir ohne diese Operation direkter Negation, die zugleich die der Geschichte erkennt, nicht sinnvoll von Geschichte als Entwicklung, nicht von Geschichte als Einheit von Entwicklung und Entwicklungs- und Traditionsabbrüchen reden könnten, — nicht von Geschichte von welchem Etwas auch immer, beispielsweise von Kunst. Sinnlos wäre nicht nur das Reden von und über Geschichte, sondern auch die Geschichte selbst.

Für den verständigen Blick scheint eine Sinnlosigkeit dieser Art auch der Hegelschen Ästhetik zu inhärieren; denn eine Ästhetik, die zugleich lehrt, daß Kunst eine Institution des absoluten Geistes sei, am Ende ihrer Ausführungen jedoch, nachdem die Geschichte der Institution begrifflich nachgeschrieben und entziffert wurde, nicht mehr als solche Institution fungieren zu können scheint, scheint mit sich selbst in einem unheilbaren Selbstwiderspruch befindlich und als Irrsystem begreifbar.

Ein „Systemfehler“ scheint vorzuliegen und daher eine Suche nach Alternativen dringlich angeraten: entweder ein anderes und ganz anderes „System“ oder überhaupt keines mehr zu wählen, um der Sache Kunst im Gang ihrer weltgeschichtlichen Entfaltung und gegenwärtigen Bedeutung gerecht zu werden. Keines mehr aber hieße: die Künste und ihre Äußerungen wären entweder so großartig, geheimnisvoll und unbegreiflich über allen Verstand und Vernunft hinaus, daß wir über ihr Wesen und ihre Geschichte endlich sagen könnten, was wir wollten; — oder so niedrig und hinfällig, daß es sich gar nicht mehr lohnte, an ein so Ephemeres und Kontingentes auch nur etwas Verstand und Vernunft zu wenden.

Und eben diese Alternative — übervernünftig versus untervernünftig — wäre von einer Theorie, die sich von jeder normativen Grundlegung ihrer Methoden und Sachinhalte anti-systematisch und vorphilosophisch verabschiedet hätte, nicht mehr zu entscheiden. Nominalistisch fiele das Begreifen eines begrifflosen Erkennens mit dem Unbegreiflichen einer begrifflosen Kunst zusammen. Dies ist weithin der Zustand von Ästhetik in der Gegenwart.

Das „System“ der Hegelschen Ästhetik scheint sich selbst aufzuheben; ein Tatbestand, der dem vorurteilsbehafteten Hegelbild der Moderne zu einer Korrektur verhelfen könnte, — jedenfalls in der Perspektive jener modernen Kritiker, die auch Hegels Ästhetik Systemfetischismus vorzuwerfen pflegen. Denn eine Ästhetik, die sich durch geschichtliche Selbstbewegung sprengt, müßte dem Geschmack radikaler Moderne bekömmlich und deren frei wuchernden und grenzenlos sich spezifizierenden und individualisierenden Künsten gewachsener sein als jene Denkweisen moderner Hegelkritiker, die an Hegels Ästhetik, an ihrem „System“, stets nur Klassizismus und ideologisches Harmonisieren heterogener Elemente erblicken und auf die Absurdität eines „Endes der Kunst“ nicht vergessen hämisch hinzuweisen. Hegels Ästhetik könnte das Novum der „ästhetischen Moderne“ begriffen haben, indes diese sich selbst durchaus nicht, weil sie auch nicht die Hegelsche Ästhetik begriffen haben könnte.

Dabei muß nicht geleugnet werden, daß Hegels Ästhetik beides enthält: radikales Begreifen normativer Entwicklungsvollendungen und -abbrüche sowie zugleich und oft schon im nächsten Satz den Versuch, der erkannten Radikalität unausweichlicher Traditionsvollendung und -neusetzung mit Gelassenheit und Humor, mit Konzepten für ein synkretistisches Handeln und einer tröstenden Nivellierung der aufgebrochenen Gegensätze zu begegnen.

Aber die rhetorischen Szenarios der Verharmlosungs-Sätze der Hegelschen Ästhetik erweisen diese lediglich als Kind ihrer (Goethe-)Zeit; sie stehen disparat, wenn auch verhüllt disparat zur Universalität ihrer radikal ausgesprochenen Grund- und Spreng-Sätze, die dem neuen Wesen von Kunst in der neuen Welt von Moderne gerechter werden könnten als ohnehin die Selbstdarstellungen der ästhetischen Moderne, die bereits als heroische am Beginn des 20. Jahrhunderts gar nicht imstande sein konnten und wollten, ihr neues Wesen im Kontext aller bisherigen Wesen und Normativitäten von Kunst verbindlich zu begreifen. 1

Daß wir die Geschichte und Gegenwart der Kunst und Künste ohne deren begriffenen Systemblick lediglich hermeneutisch und einzelwissenschaftlich partikularisiert erinnern und begreifen können, sollte evident sein. Die Zumutungen eines vermeintlich universalen Hermeneutismus, — der hermeneutische Furor eines Umdeutens jeder Deutung jeder immer schon vorgedeuteten Erscheinung von Kunst, versucht sich virtuos im Vergessen der absoluten Grenzen und Inhalte dessen (der Kunst), was dereinst eine epochale und konkrete Gestalt der absoluten Selbstvergewisserung von Menschen über ihr Absolutes, über ihr Dasein als und in Freiheit war; eine Geschichte menschheitlicher Selbstvergewisserung, die wahrhaft zu erkennen und darin auch annäherungsweise wahrhaft zu erinnern, unser erstes, mehr als „ästhetisches“ Anliegen bleiben sollte, — sofern wir nochmals ernsthaft in unsere Geschichte zurückblicken wollen, — alle anderen Anliegen dürfen hintennach folgen.

Daher sei schon hier die Vermutung stark gemacht, daß Hegels Ästhetik mit der durchgeführten Darstellung ihres sich sprengenden Gegenstandes sich selbst gleichfalls durchführend sprengt, um durch vollführte Negativität den Logos- und Geistesinhalt des in und durch Kunst möglich Gewesenen erkennen und festschreiben zu können, — so weit dies der Reichweite seiner philosophischen und geschichtlichen Möglichkeiten zugänglich war. Kappen wir die Negativität des Logos von Kunst und seine Geschichte, seine weltgeschichtliche Sprengbewegung, fallen wir den Fängen einer vermeinten Universalhermeneutik anheim: wir stürzen mit ihr in ihren immanenten Grund: universale Beliebigkeit als gesetzloses Gesetz des Wesens und der Geschichte von Kunst. Eine erinnerte Normativität als Wechselmuseum endloser Sammlungen austauschbarer Deutungseimer ist keine mehr.

Dagegen und davor kann nur helfen und bewahren ein Systemblick, der den Logos der Künste als sich spezifizierenden im Gang ihrer Geschichte erkennt und festschreibt, ohne damit den stets aktuellen Dimensionen des Deutens und Anpassens, des Historisierens und Modernisierens — auf allen Ebenen von Produktion, Reproduktion und Rezeption von Kunst und Kunsttheorie — im mindesten Abbruch gebieten zu müssen. Warum sollten die Zwänge und Reize des Aktuellen und Aktualisierens einerseits, die Anlässe zu Humor und Spaß andererseits ausgerechnet in der modernen Gegenwart von Kunst verblichen sein? Aber sollte sich zwischen dem Furor stets sensationeller Aktualisierung einerseits und der Ermüdung durch fetischisierende Musealisierung der Geschichte der Künste andererseits kein dritter Weg mehr finden lassen?

Auch für Hegel blieb, trotz und wegen der systematisch vollzogenen Sprengung von „Ästhetik“, die Unhintergehbarkeit des begriffenen Systemblickes auf die Sache der Kunst und der Künste; es blieb die Unhintergehbarkeit des Begründungszirkels von Begriff und Geschichte der Kunst und Künste als deren höchstes und tiefstes Paradigma, — unser erstes und letztes; uns aufgetan, um erkennend und erinnernd in ihm — zugleich ruhend und bewegt — die absolute Sinngeschichte von Kunst zu umkreisen. Alles andere Wissen, von Alpha und Omega getrennt, führt in Partikularia und Privatissima, zuletzt in Abstrusitäten, Willkür und Beliebigkeiten, zu deren Belegung wir in der aktuellen Postmoderne nicht mehr nach Beispielen suchen müssen.

II.

Aus diesen Vorbemerkungen wird zunächst ersichtlich, daß die Hegelsche Rede vom „Ende der Kunst“ als spezifische entschlüsselt werden muß, — im Grunde auf allen Spezifikationsebenen dessen, was Kunst war und ist und sein wird.

Die zeitliche Spezifikationsebene der Hegelschen Theorie von Kunst, der Zeitort ihres Erscheinens im geschichtlichen Gang von Kunst und Kunsttheorie, war endlich, wie jeder Zeitort in der Geschichte nur als vergänglicher erscheinen kann. Was daher in dieser Erscheinung diese transzendiert, Wahrheit und somit Nichtendlichkeit offenbart, muß stets neu geprüft und neu vergewissert werden.

Weil das Hegelsche Theorem vom Ende der Kunst aus einer bestimmten über eine bestimmte Epoche von Kunst ausgesprochen wurde, könnte es lediglich dem Endlichkeitsreservoir der Hegelschen Zeit, dem Vorurteilssystem von seinerzeit entsprungen sein, und dies wäre verhängnisvoll, weil sogleich der Schatten (post)moderner Beliebigkeit auf das Hegelsche Theorem fiele — immerhin fällt die spätere Phase des Hegelschen Philosophieren bereits in die Anfänge von Moderne — vulgo „Romantik“ — in eine Epoche somit, die unsrige, deren Endlichkeitsreservoir an transzendenzlosen Erscheinungen in der Geschichte der Menschheit bislang unübertroffen ist, wie sich nicht nur an den genannten tabula-rasa-Enden belegen läßt.

Das Theorem vom Ende der Kunst wird auch in der Spezifikationsebene der Hegelschen Ästhetik — im systematischen und historischen Gang ihres Systems — an einem endlichen Sinn- und Zeitort ausgesprochen: als Auflösung und Ende der „romantischen Kunstform“, die in der Hegelschen Terminologie bekanntlich die Kunstepochen des christlich-abendländischen Äons umfaßt, der seinerseits den Epochen der griechischen Antike nachfolgte, die ihrerseits wiederum einer Epoche, die Hegel unter dem Ausdruck „symbolische Kunstform“ nominalsymbolisch zusammenfaßt, nachgefolgt war. Diese drei vormodernen Kunstformen stehen durch bestimmte Negation, welche die Hegelsche Ästhetik im Selbstsprengen ihrer selbst vollzieht, in vermittelter Unmittelbarkeit gegen die Kunstform der Moderne, — die vormodernen Ideale stehen konkret unterschieden und unterscheidbar von und gegen ein modernes Ideal von Kunst.

Um daher die Vermittlung dieser Unmittelbarkeit zu vermitteln, um zu prüfen, ob Wahrheit oder Vorurteil gesprochen wurde, müssen wir uns diesem universalen Nachfolgeprozeß der Kunstformen stellen und seine innere Notwendigkeit als Realisierung je neuer Freiheit in der Geschichte der Menschheit erkennen. Wir müssen die Totale der drei Enden der drei vormodernen Kunstideale ins Visier nehmen, um herauszufinden, worin sowohl das Ende der Kunst wie auch das radikal neue Wesen moderner Kunst liegen könnte, — inwiefern alle moderne Kunst endlose Darstellung des Endes von Kunst sein muß und sein soll.

In der überschaubaren Totale des universalen Nachfolgeprozesses erkennen wir zunächst schon prima vista, daß das moderne Ideal als Erbe der Selbstauflösung des romantischen Ideals in die Weltgeschichte eingetreten ist. Wir erkennen daher bereits aus gleichsam hoher Vogelperspektive, daß die Moderne erstmals eine Kunst generiert, die nicht aus und mit einer eigenen — neuen — Religion hervor- und einhergeht und sich damit auch nicht mehr als normative Tradition durch Selbstdifferenzierung und -säkularisierung einer universalen Religion ausgestalten kann und soll.

Folglich verfügen Gebilde und Traditionsbildung der ästhetischen Moderne nicht mehr über jene fraglose Normativität, nicht über jene universale Differenzierung des Kunstideals zu einer speziellen Normengeschichte von Künsten, die der symbolischen, klassischen und romantischen Kunstform und ihrer Traditionsbildung immanent war und deren kanonische Chronologisierung und hierarchische Begreifbarkeit durch eine frühmoderne, nicht nur die Hegelsche Ästhetik ermöglichte.

Von einer Selbstauflösung der Moderne in eine Zweite, Dritte oder in eine Postmoderne zu reden, führt hingegen in die aporetische Annahme, daß die Moderne zugleich nicht Moderne sein könnte; ebenso sinnlos, verbindliche Entwicklungsstadien der ästhetischen Moderne und ihrer Einzelkünste im normativen Sinn der vormodernen Ideale konstruieren zu wollen, wiederum als wäre die Moderne nicht Moderne, sondern beispielsweise die endlose Fortsetzung einer „ewigen“ — sich gleichbleibenden Substanz — von Kunst. 2

Daraus folgt weiters, daß das moderne Ideal der „ästhetischen Moderne“ nicht mehr Leitkünste kennt und benötigt, die als führende Künste die Agenda des modernen Ideals besser als andere ausführen könnten oder sollten, und dies nicht, weil dominante technologische Künste — Fotografie, Film usf. — hinzugekommen wären, über deren Kunststatus bis heute kontrovers verhandelt wird, sondern weil die Freiheit der Kunst als radikal moderne schlechthin dezentriert sein muß, weil ihre vollständige Autonomie allen Künsten gleichberechtigterweise zukommt, folglich keine irgendeiner anderen normative Vorgaben, sei es an Inhalten, sei es an Formen, sei es an Materialien vorsetzen kann und soll.

Und erst recht gibt es keine normativen Vorgaben aus Wahrheitsbereichen von jenseits der Künste, die das Konzept „Gesamtkunstwerk“, das immer wieder als illusionärer Gattungsfetisch der Moderne erscheint, als gesellschaftlich oder religiös oder weltanschaulich ernötigte Gattungsform begründen könnte. Schon die ubiquitäre Präsenz aller Genres des Films in der medial vermittelten Kultur moderner Gesellschaft macht dergleichen Nostalgien an die Gattungsgeschichte der vormodernen Oper zu solchen.

Wohl stellte sich im 20. Jahrhundert kurzfristig immer wieder die Illusion vormoderner Leitbildbildung und Werte-Hierarchisierung im Reich der modernen Künste ein: die Prärogative einer ‚ästhetischen Moderne’ durch „Meister“ oder „Meisterdenker“; aber schon der — im Vergleich zur Vormoderne — abnorm rasche Verschleiß an Mitteln und Formen, der die geschichtliche Bewegung des modernen Ideals kennzeichnet und zwischen Rasen und Stillstand hin- und herwirft, kann die aus der Vormoderne übernommenen Entwicklungs-Schemata von Früh-, Mittel- und Spätstadien, von Originär- versus Sekundärprozessen nicht vor ihrer modernen Selbstdesavouierung retten.

Die Moderne ist im Reich der Künste nicht eine lediglich rascher oder gar besser ablaufende Vormoderne; nicht eine von unzählbar vermehrten Ich- und Massenkünstlern unterhaltene Kunstindustrie, die ein Übermaß an Stilen und Gattungen im Sinne der Vormoderne, die deren Verbindlichkeit und Vollkommenheit erreichen könnte oder auch nur sollte, produzierte; auch der vormoderne Gegensatz von Originalgenie und Epigonen, der die Phasen des romantischen Ideals vor und in seiner Auflösungsperiode besonders in den Künsten der Malerei und Musik bestimmt, wird in der Freiheitssphäre des modernen Ideals schlechthin obsolet.

Das moderne Individualitätsgenie kann daher sein eigener „Epigone“ werden, wie es beispielsweise Webern in der Musik, Miro und Dali in der Malerei geschah, als sie in den späteren Jahren ihres Schaffens des — modernen — Verschleißes ihrer Mittel nicht gewahr wurden, weil sie ihre Sprachmittel und Produktionsweisen, ihre Inhalte und Formgebungen mit der Agenda des vormodernen Originalgenies verwechselten. [enf_note] Die Differenz von Originalgenie und Individualitätsgenie realisiert die Differenz des vormodernen (romantischen) vom modernen Ideal auf der Ebene des produzierenden Künstlers. Im vormodernen Ideal sind Kunst und Geist, Künstler und Gesellschaft substantiell — durch nötigende Bedürfnisse gemeinsamer Inhalte — zusammengeschlossen; die Besonderung und Individuation der Kunst ist zugleich die der Gesellschaft und ihrer Eliten, eine geschlossene und gemeinschaftlich progressierende Freiheitswelt. Das moderne Individualitätsgenie hingegen kann sich nur mehr über spezielle Märkte spezieller Künste an die moderne Gesellschaft vermitteln, weil die modern freigesetzte Freiheitswelt den Künsten eine Individuation ermöglicht und aufnötigt, die einer originalen Besonderung verbindlicher Allgemeinheit — von Kunst, von gesellschaftlicher Freiheit — entbehren muß. Lediglich der moderne Unterhaltungskünstler gibt noch einen Schein vom verflossenen Schein wider, den Verschein des vormodernen Universal-Scheins, — zum entindividualisierenden Gaudium von Jugendlichen und Massen. [/efn_note] Die „ästhetische“ Moderne stellt alle ‚ästhetischen’ Begriffsinhalte der Vormoderne unter Anführungszeichen. 3

III.

Hegels Lehre der Kunst ist eine von ‚schöner’ Kunst; folglich eine Ästhetik des Kunstschönen, die aber noch nicht, wie fast durchweg in der nachhegelschen Ästhetik, beginnend mit Vischer, das Kunstschöne auf einen Formbegriff von Kunst zurückzuführen versucht, demzufolge das Schöne der Künste durch einen, sei es zeitlich begrenzten oder zeitlos unbegrenzten Schein schöner Formen oder Materialien letztbegründbar sei.

Eine Ästhetik formaler Letztbegründung von Kunst und Kunstschönheit erscheint in der Perspektive der Hegelschen Ästhetik als Reduktionsästhetik, die zwar im Auflösungsprozeß der romantischen Kunstform notwendigerweise auf die beginnende Partikularisierung der sich vollständig autonomisierenden Künste im Verenden des romantischen Ideals reagiert und daher nicht zufällig erstmals im 19. Jahrhundert die weltgeschichtliche Bühne betritt, — eine Reduktionsästhetik aber gleichwohl, die nicht berufen und befähigt sein kann, das weltgeschichtlich tradierte Wesen wahrhaft schöner Kunst, mögen deren Inhalte und Formen auch nur mehr als gewesene erscheinen können, zu begreifen und adäquat zu erinnern. 4

Die moderne Regression des Kunstschönen in ein ontologisch Schönes, das an allem Seienden dessen schönen Formschein durch eine konspirativ schöne Kunst, durch schöne Materialien und Formalien, erglänzen lassen soll, wird von Hegels Ästhetik bereits als ein notwendiger Partikular-Modus des modernen Ideals begriffen. In der Tat lassen wir uns auch als moderne Menschen die Freude an den „Schönheiten des alltäglichen Lebens“, hervorgebracht durch Kunsthandwerk, Geschicklichkeit, Industrie und Technologie, nicht nehmen, wenn nur die Tabus von Kitsch, hinfälliger Mode und schwächelnder Geldbörse ihr Geschmacksveto nicht einlegen. Und in der technologisch entwickelten Moderne ist das Ablichten der Schönheiten dieser Welt mechanische und industrielle Praxis geworden, herausragend im Herrschaftsgebiet von Fotografie, Film und Werbung.

Mag daher die in einem engeren Definitionssinn sogenannte ‚moderne Kunst’ als abstrakte und experimentelle, als subversive und neuerdings auch als kitschtriefende noch so sehr als nur mehr ‚nicht-mehr-schöne Kunst’ erscheinen können: um die Fortexistenz des Phänomens von Schönheit in dieser Welt muß uns nicht bange sein. Niemals in der Weltgeschichte war ein virtuoserer Umgang mit machbarer Schönheit en vogue als heute (und morgen) im ästhetischen Säkularium der modernen Welt.

Und dennoch bleibt der Unterschied zwischen Richtigkeitsschönheit und Wahrheitsschönheit, den das Hegelsche Kunstschöne in seinem Begriff des Ideals unhintergehbar erkennt und formuliert, ein absoluter Unterschied des absoluten Geistes; ebenso aber zugleich die Tatsache, daß das Kunstschöne in und durch das moderne Ideal von Kunst mehr als zerrüttet wurde, weshalb schon das Aussprechen des Wortes — Kunstschönheit — unter dem Verdacht steht, die Vorurteilsbefangenheit eines gestrig-vorgestrigen Bewußtseins und dessen naive Ideologieerstarrung ahnungslos zu äußern.

Nichtunterhaltende moderne Kunst darf sich kein Kunstschönes vorschreiben lassen, sie wäre sogleich moderne Kunst nicht mehr, sie hätte ihre unaufgebbare Freiheit und Autonomie verraten. Zwar wird der unerbittliche Zwang dieser Unaufgebbarkeit durch das Austoben aller Varianten und Untiefen von Kitsch, Unterhaltung und Betäubung in den Unterhaltungskünsten der Moderne kompensierbar, aber das Baden in den Kloaken abgesunkener Schönheit bringt uns den Ganges der erlösenden Vereinigung durch schöne Kunst nicht mehr zurück.

Selbstverständlich erscheinen in der Perspektive der Hegelschen Ästhetik auch alle anderen Reduktionsästhetiken, die mit dem 19. Jahrhundert beginnen, die Bühne moderner Kunsttheorie zu erobern, nicht genehm und nicht geheuer. Beispielsweise die biographistische Ästhetik, in der fleißige und bewunderungsfähige, im Grunde ihres Begreifens aber harmlose Gelehrte versuchen, das Große und Schöne großer Kunst auf einer ultimativen Größe — vulgo „Genialität“ — großer Menschen und deren großer Biographie letztzubegründen und bis heute an dieser witzigen Legende festhalten.

Biographistische Letztbegründungen des Kunstschönen scheinen gegen formale Letztbegründungen den Vorteil zu genießen, „näher am Leben“ zu hausen, das Geheimnis der Kunstschönheit dem geheimen Busen der Menschennatur des großen Genie-Individuums enthorchbar zu machen; ein Irrtum, der nicht aus der modernen Welt verschwindet, weil sich die Erzeugung des biographisierten Parasitentiers Genie durch den mitläufigen Gelehrtenparasiten dem Zirkel einer Kammerdienerprojektion schuldet, die sich selbst nicht durchschauen möchte.

Wozu auch, dient sie doch als blendendes Herrschaftsmittel, die Genies aller Zeiten und Kunstepochen, mögen diese von Picassos hier, von Neandertalern dort berichten, auf einer und derselben Hochebene unsterblicher Größen verrechenbar und verkaufbar zu halten. Was „näher am Leben“ zu liegen scheint, verdankt sich daher erstens den biographistischen Obsessionen einer einfältigen Genieästhetik der bürgerlichen Gelehrtenstube im Gefolge spätbürgerlicher Sehnsuchtsobsessionen an den großartigen Übermenschen; zweitens den Erfolgsverlockungen der modernen Massenmärkte und drittens wiederum den Nötigungen des geschichtsmächtig gewordenen modernen Ideals von Kunst, weil auch der modern gewordene Gelehrte nicht umhin kann, die moderne Version des Großkünstlers — das vollständig zu seiner Autonomie befreite Individualitäts- oder Unterhaltungsgenie der ästhetischen Moderne — in alle Vergangenheit von Kunst zurückzuprojizieren. 5

Perotin der erste minimalistische Komponist und umgekehrt; Mozart der erste Musical-Entertainer und umgekehrt; Johann Strauß der erste Popkünstler und umgekehrt; der Schnitzmeister einer steinzeitlichen Keule der erste Picasso und umgekehrt, — weil in der Geschichte der Kunst stets nur dieselbe große Sache großer Männer groß erscheint. Ein alter Männertraum, — wenigstens im Reich der Künste scheint er in der kalten Prosa der modernen Lebenswelt überwintern zu können, nochmals erscheint die verführerische fata morgana seiner „zeitlosen“ Erfüllbarkeit.

Eine stattliche Anzahl zeitgängiger Reduktionsästhetiken distanziert bereits Hegels Ästhetik in der Auseinandersetzung mit ihren Vorgängern und Zeitgenossen. Von diesen und den nachfolgenden unterscheidet sich Hegels Lehre der Kunst und des Kunstschönen bekanntlich absolut: allein als Gestalt des absoluten Geistes sei das Wesen von Kunst und Kunstschönheit letztbegründbar, die Geschichte des absoluten Geistes sei jener letzte Begründungsgrund, aus dem der Gehalt und die Gestaltung, das absolute Gelten des Kunstschönen und seiner Geschichte hervorgehe.

IV.

In der Perspektive der Hegelschen Philosophie und Ästhetik ist die Einsicht, daß Kunst und Kunstschönheit ursprünglich als Institution des absolutes Geistes und seiner Geschichte zu begreifen sind, um nach vollständigem Erscheinen und Ausfließen aller einschlägigen Ursprünge als Nicht-Mehr-Institution des absoluten Geistes und seiner Geschichte begriffen werden zu müssen, weder eine moderne noch eine vormoderne, sondern eine metahistorische Einsicht. Aber in der Perspektive der Moderne ist die Hegelsche These eine hoffnungslos vormodern veraltete, weil die Moderne von der Annahme zehrt, daß bereits die Annahme eines absoluten Geistes eine Fiktion vormodernen Denkens wäre, die durch moderne Aufklärung als Fiktion einsichtig geworden sei.

Umgekehrt kann sich die ‚aufgeklärte’ Moderne in der Hegelschen Perspektive gar nicht als Moderne gegen eine Vormoderne inhaltlich definieren, weil sie diese nicht als konsistenten Gegensatz ihrer selbst, sondern lediglich als Illusion und Irrtum, als voraufgeklärte und unwissende Zustände von Geist und Kultur definieren muß, deren Wahrheitsansprüche immer schon obsolet gewesen seien. Daraus folgt, daß eine Moderne, die sich selbst für radikal aufgeklärt hält, für sich den Status einer früher bereits verborgen oder unterdrückt anwesenden Immerschongewesenheit 6 in Anspruch nehmen muß, die jedoch peinlicherweise von unseren Vorfahren, Gefangenen illusionärer Welt- und Gottesbilder, nicht erkannt und gelebt werden konnte, — sie hatten dummes Pech, die Ideologien einer vormodernen Menschheit wurden ihr fremdbestimmtes Schicksal; sie hatten noch nicht das moderne „Glück“, der „kritisch rationalen“ Mentalität moderner Ewigkeit und Wahrheit folgen zu dürfen.

Weil aber eine Moderne dieser Art zugleich das Banner radikaler Geschichtlichkeit aller in der Geschichte erscheinenden Inhalte hochhalten muß, denn für sich selbst als Moderne kann sie nicht einen absoluten — metahistorischen – Standpunkt unter der Letztbegründungsperspektive von absolutem Geist und absoluter Vernunft sowie deren absoluten Relationen im Entwicklungsgang ihrer Geschichte in Anschlag bringen — (diese haben als wegaufgeklärte in der Perspektive der Moderne das Zeitliche längst gesegnet) — gerät sie in den doppelten Widerspruch einer Alternative, der sich von ihrem Standort nicht auflösen lässt. 7 Nach dem „Immerschongewesenheitsmodell“ muß sie behaupten, daß die insgeheime Wahrheit aller vormodernen Kunst die der modernen Kunst sei, diese das erfüllte Telos jener, die moderne Kunst die wahrhafteste und schönste aller bisher gewesenen, um ihrerseits von den künftigen Entwicklungen von Kunst und Kunstschönheit wiederum als lediglich vorletzte Vollkommenheit entthront zu werden.

Und das gegenteilige Paradigma derselben Aufgeklärtheit lautet: jede Epoche und Kultur bringe ihre gänzlich eigene Normativität von Kunst und Kunstschönheit vollständig eigenständig hervor, jede sei „unmittelbar zu Gott“, und schon die Annahme „einer Geschichte“ oder gar „Weltgeschichte“ der Kunst und des Kunstschönen verkenne, daß dergleichen Hypothesen lediglich Konstruktmythen derer sind, die sich einbilden, es habe eine Geschichte als Entwicklung konkreter Freiheits- und Vernunfteroberungen auch im Herrschaftsgebiet von Kunst und Kunstschönheit stattgefunden, ein sinnvoller und sinnerfüllter Prozeß irreversibler Chronologie und gesetzlicher Notwendigkeit, an dem nicht zu rütteln sei, — ein Konstruktmythos, weil sich doch in der Moderne ohnehin von selbst verstehe, daß an allem und jedem gerüttelt werden könne, um jeden geschichtlich erschienen Wahrheitsinhalt vom Baum der Geschichte auf die tabula rasa der Moderne herabzuschütteln.

Der Satz, eigentlich war die Moderne immer schon, (und daher auch das End- und Erfüllungsziel von Kunst) kann somit zur Quelle eines doppelten Projektionsmechanismus werden, den der Projizierende aktueller (Post)Moderne nicht selten sogar in abwechselnder Folge vorbringt, ohne die Unvereinbarkeit seiner Positionen zu bemerken, oder, bei bemerkter Auffälligkeit der unhaltbaren Alternative, an der „luziden Ambivalenz“ seines für „alles offenen“ Verhaltens auch noch eine besonders geglückte Gestalt hypermoderner Aufgeklärtheit zu erblicken, — eigentlich war Moderne, so oder so oder auch anders, immer schon. Der großartigen kritischen Rationalität des homo modernus sein Lob und Dank.

Weil die vermeintlich restlos aufgeklärte Rationalität der Moderne jedoch bezüglich ihrer lediglich modernen Letztbegründungsversuche auch von Kunst und Kunstschönem in unzählige Rationalitätsweisen — naturalistische, historistische, soziologische, ökonomistische, skeptizistische, szientifische, psychologische, biographistische usf. zerfallen ist — und überdies nach segmentierten Herrschaftsgebieten als politische, philosophische, religiöse, künstlerische, wissenschaftliche, ökonomische Moderne agieren muß, erhebt sich die Frage, wie aktuelle Moderne als „ästhetische“ ein kontrahegelsches Konzept einer Letztbegründung von Kunst und Kunstschönheit überhaupt noch in Fahrt bringen kann und soll.

Wird aber auf Letztbegründung verzichtet, folgt, wie gezeigt, der Absturz in den Nominalismus gesetzter Begrifflosigkeit und Beliebigkeit. Jede Deutung kann in jede gegenteilige umgedeutet, am Ende das Deuten als bedeutungsloses wegdeutet werden. Die verheerenden Konsequenzen dieses Verstehens von Kunst und Kunstschönheit in der unhintergehbaren Perspektive ihrer weltgeschichtlichen Verwirklichung sind heute ubiquitär. Die Verwirrung der Moderne in diesem Punkt ist gravierend: weil alle Kunst, auch alle gewesene, immer nur eine von Menschen über Menschen und für Menschen sei (die insgeheim unterdrückte und immer schon verborgen anwesende oder angepeilte moderne Aufgeklärtheit), was in der Tat die moderne sein muß — sowohl als „kritische“ und „subversive“ wie auch als unterhaltende und verblödende Kunst — verstellt sich das moderne Bewußtsein die Einsicht, dass Begriff und Realität von Kunst und Kunstschönheit weder als endlose Fortschrittsgeschichte noch als immer wieder und allerorten neu ansetzbare Nichtgeschichte sinnvoll zu begreifen und zu erinnern sind.

Das Denken der ästhetischen Moderne scheint gegen Hegels Konzeption von Kunst und Kunstschönheit in ihrer absoluten Geschichte — Hegels Ideal der Idee und eines kunstidealen Geistes als des erscheinenden absoluten Geistes in der weltgeschichtlichen und systematischen (metahistorischen) Selbstunterscheidung zu symbolischen, klassischen, romantischen und modernen Idealformen — immer Recht zu behalten. (Ähnlich wie das Denken der philosophischen Moderne mit ihren Konzepten einer nur endlichen Vernunft, sei es als kommunikativer, hermeneutischer, konstruktivistischer, dekonstruktivistischer, systemischer oder einer sonstwie endlich beschränkten Vernunft — gegen die absolute Ineinanderreflektiertheit von absolutem Geist und absoluter Vernunft in je aktueller Geschichte immer im Recht zu sein scheint.)

Weil es aber in Hegelscher Perspektive zur Definition nicht nur von ästhetischer Moderne Hegels Konzept eines modernen Ideals von Kunst gehört, einen defizienten Status von Geist und Vernunft, einen nur mehr endlichen, hervorbringen zu können und zu müssen, behauptet Hegels Position dasselbe wie die Moderne, aber dasselbe über sie und über ihr, nicht dasselbe wie die Moderne von ihr und in ihr. Es ist moderne Trivialität, daß Kunst als modern befreite eine universale und verbindliche Darstellung des Absoluten und absoluten Geistes nicht mehr besitzen kann und soll; daraus aber zu schließen und rückzuprojizieren, dies sei immer schon die höchste Wahrheit von Kunst gewesen und jede Position, die dem widerspreche, sei bloß Konstrukt einer obsolet gewordenen Position der Vormoderne, tilgt Geschichte von Kunst und Künsten als Manifestation wahrer Vernunft und sich befreiendem Geist und hindert uns, ein wahrhaftes Begreifen und Erinnern des Gewesenen zu institutionalisieren.

Die scheinbare Legitimität des modernen Arguments gegen Hegels Ästhetik ist von dieser längst absorbiert und widerlegt. In der Hegelschen Perspektive ist bereits die Kunst des christlichen Äons eine weniger hohe und erfüllte Wahrheit ihres höchsten Wesens als die Kunst des antiken Mythos; weil allein eine Kunst im noch möglichen und gelebten Rang von Religion, beide noch untrennbar vereint und in Wesen und Realität identisch, den höchsten Wahrheitsrang des Begriffes von Kunst in deren Geschichte besetzen kann. Teilt man diese Position nicht, muß man die moderne teilen: Kunst, als moderne zur ihrer „absoluten“ Autonomie befreit, muß in den Rang einer Kunstreligion, in den Rang einer neuen Religion erhoben werden, mit allen Konsequenzen für Wahrheit und Freiheit des modernen Menschen, seiner Gesellschaft, seiner Kultur. Welcher homo modernus wird dies leben und glauben können?

Schlechthin unhintergehbar bleibt daher der Punkt aller Punkte in der Hegelschen Ästhetik; deren Frage nach der absoluten Historizität des Absoluten von Kunst, die Darstellung einer absoluten Geschichte absoluter Kunstschönheit, zu deren Beantwortung jene Selbstdifferenzierung des Ideals zu besonderen Idealen aufgeboten wird, die im modernen Ideal die Letztfrage nach dem Ende der Kunst als absoluter aufwirft. Diese Fragen bleiben unhintergehbar, obwohl und weil sie in der Perspektive der aktuellen Moderne weithin obsolet wurden. Doch ist an deren notwendiger Selbstblendung notwendige Teilnahme nicht notwendig.

Weil die Aufklärung von aktueller Moderne bezüglich Wesen und Geschichte von Kunst und Kunstschönheit deren Rückbezüglichkeit auf Logos (absolute Vernunft) und Geist (absolute Freiheit) negiert oder endlich umdeutet und relativiert und sogar vorphilosophischen Rationalitätsweisen opfert, bleibt die Hegelsche Reduktion von Kunst und Kunstschönheit in deren Geschichte auf die absolute Relation — absolute Idee und absoluter Geist — als Letztbegründungsfeld unaufgebbar und als nichtreduktive Reduktion einsichtig.

V.

Der Enden von Kunst in Hegels Ästhetik sind drei, aber erst das dritte ist das endgültige und vollendete. Drei weltgeschichtliche Kunstformen gehen zugrunde, aber erst die vierte und wirklich letzte geht in den Grund von Kunst selbst zurück und erlaubt dieser, ihren eigenen Grund, losgelöst von jedem anderen, zu entdecken und auszuleben.

Dieser Eigengrund begleitete alle Kunst zwar immer schon, jedoch nicht als gründender und leitender, nicht als zu erfüllender und zu vollendender, nicht als kunstendzwecklich auszulebender und auszusterbender; weil alle Kunst als vorsäkulare noch nicht durfte und konnte, was sie als moderne darf und soll: ihre selbstbegründete Autonomie und Sterbenslebendigkeit, ihren eigenen Grund und dessen Realität zu verwirklichen. 8 Folglich, könnte man (kurz)schließen, sei das endgültige Ende der Kunst als nichtsäkularer der Anfang ihres Lebens als wahrhaft freier und autonomer, als wahrhaft schöner und lebendiger, als wahrhaft „spiritueller“ und wahrhaft unterhaltender Kunst. Fragt sich jedoch, in welchem Sinn das Wörtchen ‚wahrhaft’ in diesem Satz wahrhaft verstanden werden muß.

Diese wortsinnige Frage ergeht auch an die Hegelsche Ästhetik, da sie die Auflösung des romantischen Ideals nicht durch fremdbestimmte Gewalt, nicht durch äußere kunstfremde Ursachen, nicht als Folge eines zufälligen Unglücks herbeigeführt deutet, sondern als des romantischen Idealwesens selbsterzeugte Verwesung und eigene Verschwindung.

Mit jedem Fortschritt ihrer Entwicklung habe sich die vormoderne Kunst der christlichen Kultur von ihren Inhalten und deren noch eingeformten Darstellungsweisen befreit, und dieses fruchtbringende Gesetz einer Selbstbefreiung der Künste — das Anstoßen ihrer universalen Autonomisierung — das alle Anlässe und Anstöße der Befreiung am Ende wegbefreit haben wird, definiert nach Hegel den Sinn der Geschichtlichkeit des romantischen Ideals, die Notwendigkeit sowohl seiner Vollendung wie auch des gänzlichen Verschwindens seiner ungebrochen universalen Schönheitsinhalte und -formen aus den Produktions-, Reproduktions- und Rezeptionsweisen moderner und modern unterhaltender Kunst.

Die epochenspezifisch produzierenden Künstler des romantischen Ideals, naturwüchsig gefesselt an und geborgen in ihren vorgegebenen Inhalten und deren zugeeigneten Darstellungsweisen — die bekannten Hierarchien ihrer epochen- und „national“spezifischen Gattungen und Stile — die beide zugleich die vormoderne Substanz des Geistes und der Freiheit der Eliten ihrer Zeit fokussieren und repräsentieren, — sie individualisieren und werkvergegenständlichen diese Substanzengeschichte, erhellen alle ihre Möglichkeiten und Verborgenheiten bis „alles heraus ist, und nichts Dunkles und Innerliches mehr übrigbleibt.“ 9

Die historische Ungebrochenheit, mimetische Naivität und vorreflexive Freiheit der vormodernen Produktion, wie auch deren Einklang mit den Bedürfnissen der Eliten der vormodernen Gesellschaften, anfangs auch noch der Kirche, verwirkliche eine normative Inhalte- und Formenwelt, die mit ihrer restlosen Manifestation auch das Ende ihrer Entwicklung zu gestalten nicht unterlassen könne. 10

Nicht nur die nach Hegel genuin christlichen Künste, Malerei und Musik, sondern in deren Gefolge auch alle anderen vormodernen Künste müssen „im Verlauf ihrer Entwicklung“ ihr totales Wesen, alle ihre Begriffe und Realitäten, alle ihre Inhalte und Formen in ihr Entgegengesetztsein verkehren. 11

Eine Selbstverkehrung des vormodernen in das moderne Wesen von Kunst, die nach Hegels Lehre mit Notwendigkeit aus der sich geschichtlich verwirklichenden Kunstform des romantischen Ideals folgt. Aber die Einsicht dieses unhintergehbaren Grund- und Sprengsatzes scheint negiert zu werden durch Hegels Darstellung des modernen Künstlers als Darsteller eines „unvergänglich Menschlichen“, dem nichts Menschliches fremd sei, und der in die tiefsten Abgründe der menschlichen Brust hinabzusteigen und dieses „Gefäß menschlicher Situationen“ in „heutiger Gegenwärtigkeit“ als den „absoluten Gehalt unserer Kunst“ auszuformen habe. 12

Während der Sprengsatz des romantischen Ideals von diesem fordert, seine tabula rasa zu vollziehen, um am Ende den modern gewordenen Künstler über alle vormodernen Synthesen von Inhalt und Form hinauszuheben, scheint die Rede von einem Inhalt des „Allgemeinmenschlichen in seinen Freuden und Leiden, seinen Bestrebungen, Taten und Schicksalen“ einen zeitlosen, einen immer schon gewesenen Inhalte- und Formenkanon von Kunst vorauszusetzen, eine Rede und ein Gehalt, die, im modernen Verstande verstanden, sogleich verunklären, worin denn jene behauptete Selbstverkehrung der vormodernen Kunst in ihr Entgegensetztsein als moderne bestanden haben soll, und ob daher nicht die (post)moderne Annahme zeit- und sachadäquater sei, daß nicht tabula rasa, sondern lediglich der Übergang (bruchvoll oder/und bruchlos) in eine neue Art derselben Gattung von Kunst, lediglich der Übergang in einen neuen Modus derselben ewigen Substanz von Kunst geschehen sei, weil doch ohnehin im Neuen alles beim Alten bleibe, und daher das Alte immer schon das Neue von damals war. 13

Daß hier kein „Systemfehler“ Hegels vorliegt, sondern ein Lese- und Deutungsfehler des Lesers moderner Provenienz, belegt die spezifische Differenz, die Hegel am neuen Inhalt des „Allgemeinmenschlichen“ anbringt: dieser sei nämlich nicht mehr ein „an und für sich künstlerisch bestimmter“, sondern müsse durch den modernen Künstler, der mit einer zuvor in der Geschichte der Künste unzugänglichen Gedanken- und Phantasiefreiheit wie ein „Dramatiker“ jeden Stoff mit jeder Form verbinden könne und müsse, zu einem Kunstinhalt erst noch erformt werden. 14

Unterschlägt man den modernen Lese- und Deutungsfehler, rächt sich das moderne Mißverstehen des Ursprungs moderner Kunst durch identische „Zeitlosigkeitserwartungen“ an moderne und jede epochale Art von Kunst. Die absoluten Inhalts- und Formdifferenzen des Wesens der Kunst und ihrer Geschichte werden unbemerkt ausgeblendet, und das moderne Bewußtsein verfängt sich in den Beliebigkeiten moderner Rezeptions- und Deutungsästhetiken. 15

Diese Mutation von Kunst zu einer „zeitlosen“ Substanz menschheitlicher Freiheit, an der die Weisen ihres geschichtlichen Erscheinens zu austauschbaren Modi degenerieren, an die sich wiederum nach Belieben modische Transzendenzdeutungen und –erwartungen appendixieren lassen, tilgt, wie schon gezeigt, Geschichte von Kunst und Künsten als Manifestation wahrer Vernunft und sich befreiendem Geist und hindert uns, ein wahrhaftes Begreifen und Erinnern des Gewesenen zu institutionalisieren.

Es sollte der ästhetischen Moderne nicht verborgen bleiben, daß sie nicht mehr unmodern werden kann, schon weil das „Altern“ ihres „Neuen“ nicht mehr nach den Gedächtnis- oder Vergessensweisen vormoderner Kanonisierung und Traditionsbildung geschehen kann und soll. Sie kann auch dann nicht mehr unmodern werden, wenn sie ausdrücklich auf vormoderne Inhalte und Formen zurückgreift, – vollständig frei, weil kunstautonom, und vollständig gedankenreflektiert, weil für immer jeder naturwüchsigen Kunstsinnlichkeit enthoben; eine Erfahrung, die die ästhetische Moderne als postmoderne bereits hinter sich und in sich integriert hat. Eine Integration, die in der Perspektive der Hegelschen Ästhetik bereits einen notwendigen Modus, mehr noch: ein Grundprinzip des modernen Ideals festschreibt:

Das Gebundensein an einen besonderen Gehalt und eine nur für diesen Stoff passende Art der Darstellung ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes und die Kunst dadurch ein freies Instrument geworden, das er nach Maßgabe seiner subjektiven Geschicklichkeit in bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er auch sei, gleichmäßig handhaben kann. 16

Die Erfahrung ihrer eigenen Unüberwindbarkeit hat die ästhetische Moderne (auch die unterhaltende?!) bereits hinter sich und auch glücklich überlebt: die postmoderne Wende der ästhetischen Moderne mit ihren „neuen Einfachheiten“, ihren Eroberungen von Kitsch und Alltagsleben, ihren „Installationen“ von allem und nichts, müssen von der sogenannten radikalen und heroischen ästhetischen Moderne nolens volens hingenommen werden, und keine Instanz gewährt dem Furor eines „avantgardistischen“ Einspruchs, der nochmals Alleinführungsansprüche im Namen eines auserwählt jungfräulichen Materials oder Formkonzepts oder gar utopischen Menschenbildes — der marxistisch oder sonstwie ideologisch „endbefreite“ homo sapiens sapiens — erheben möchte, das „Glück“ öffentlichkeitstäuschender Credos und Gefolgschaften.

Das universale Gelten, das sich das moderne Ideal moderner Kunst zubilligt und auch projektiv über alle vormodernen Geltungsweisen von Kunst auswirft, — als scheinbar „letzthumanes“ und metaepochales („zeitloses“) Deutungs- und Interpretationsnetz über alle Kunstinhalte und -formen von gestern, heute und morgen — ist in der Perspektive der Hegelschen Ästhetik ein historisch und absolut gebrochenes, ein im Bewußtsein aktueller Moderne unüberwindbar gebrochenes Gelten und Deuten. 17

Und dies sowohl in der Produktion je aktueller Inhalte zu aktuellen Formen wie auch in der Aktualisierung einstiger Inhalte zu je modernen Formen. In beiden Betätigungsweisen bedingt die vollständige Autonomie der modernen Kunstweise, daß deren grenzenlose Freiheit mit einer Partikularität und Individualisierung von Kunst bezahlt werden muß, die zugleich nicht mehr einem originalen Selbst des Künstlers angehört — (auch der Sinn von Originalität wurde im absoluten Wechsel von romantischem zu modernem Ideal ein entgegengesetzter) — nicht mehr jener vormodernen Originalität, die sich zugleich als wirklich universale, als „natürliche“, als „göttliche“ und „heroische“ Individualisierung der je gesellschaftlichen vormoderner Eliten gestalten konnte und sollte — , weil auch der moderne Künstler als homo modernus einer reflektierenden Freiheit des Geistes, der des Gedankens, angehört, ohne doch über dessen metakünstlerische Herkunft und Wirkungsweise verfügen zu sollen.

Der Gegenstand … kommt dem … modernen Künstler … daher … von außen her, [und] die nähere Individualisierung … ist nicht die seinige. 18 Sein Werk ist wohl sein Werk, aber sein Werk ist nicht mehr sein ganzes Selbst, und sein Selbst ist nicht seine ganze Zeit, — um im Jargon der Moderne die problematische Realität der nichtuniversalen Universalität des modernen Ideals zu paraphrasieren. (Der Heroe ästhetischer Moderne ist absolut spezialisiert auf und gebrochen durch seine Kunst; und der Heroe ästhetischer Unterhaltungsmoderne — im Zentrum das Pantheon „unsterblicher Schauspieler“ — inszeniert kompensatorisch lediglich den modernen Wider-Schein einer scheinbar ungebrochenen Aufhebung der Partikularität und Individualität heroischer moderner Kunst.) Und jede Aktualisierung gewesener Inhalte und Formen ist im Bewußtsein moderner Rezeption immer nur eine aktualisierte Modernisierung unter der Perspektive vergänglicher Menschengegenwärtigkeit im Jetzt und Hier.

… alle Stoffe, sie seien, aus welcher Zeit und Nation es sei, erhalten ihre Kunstwahrheit nur als diese lebendige Gegenwärtigkeit, in welcher sie die Brust des Menschen, den Reflex seiner füllt und Wahrheit uns zur Empfindung und Vorstellung bringt. 19

Weil die erkennbar bleibende tabula rasa, welche die vormoderne als modern gewordene Kunst erreicht, bedingt, daß jede innere — absolut innere, also durch unverfügbaren Geist historisch verfügte und geführte — Verbindung von innerer Bedeutung und äußerer Gestalt zerbrechen und sich vernichten muß, denn jede absolut mögliche wird auf dem Weg ins moderne Ideal absolut dargestellt und danach wie ein äußerlich — unfrei — gewordenes Gewand abgeworfen und relativierbar — denn „was so groß besungen, was so frei ausgesprochen, ist ausgesprochen“, muß am Ende als neuer Anfang die Konvergenz, ja die Identität des sich äußerlich gewordenen Geistes von und in Kunst Realität geworden sein. 20

Versöhnung in und durch Kunst ist nun lediglich noch möglich in den partikularen und fragmentierten Gestalten — „etwa nur im Umfange eines Liedes“ — eines „gleichsam objektiven Humors“, der sich in das Kontingenteste der menschlichen Brust und deren Situationen individuell vertieft, ohne diese Vertiefung allzu „ernst“ zu nehmen, denn als neues Paradigma liegt bereits die Bestimmung des modernen Ideals zugrunde, „daß wir bei dem alleinigen Interesse für die zufällige Äußerlichkeit oder für die gleich zufällige Subjektivität anlangen mußten.“ 21 Dieses Interesse wird nun absolut befriedigt, jedoch ohne ein absolutes Interesse im und am Absoluten; denn es ist an den Inhalten der modernen Welt und des modernen Lebens nicht notwendig deren Form- und Versöhnbarkeit durch Kunst gesetzt; im Gegenteil: alle Inhalte können auch anders als durch Künste ergriffen, geformt, gelebt und „transzendiert“ werden.

Die neue Innerlichkeit des modernen Ideals, die Konvergenz von kontingenter Objektivität und Subjektivität, ist somit bezüglich ihrer Versöhnungskraft eine sich selbst endverwirklichende und depotenzierende Äußerlichkeit von Geist und Freiheit, hinsichtlich ihrer Ent- und Verfremdungskraft eine endlos steigerbare und potenzierende Verinnerlichung von Geist und Freiheit, jedoch immer nur als partikulare und individuelle Kunst- und Künstlerinnerlichkeit, die das absolute Zurückgehen in den eigenen Grund von Kunst, in die eigene durchgeführte Gründlichkeit, die keine Partikularität und Individualisierung von Inhalt, Form und Material zu verschmähen hat, als primäres Interesse und Bedürfnis gestalten muß. Tabulos nach innen, ist sie nach außen nur durch die Grenzen anderer Freiheiten der modernen Welt begrenzbar, — durch rechtliche, politische, religiöse und ökonomische Inhalte.

Jene lückenlose Konvergenz von modernem Inhalt und moderner Form (und Material und Sinnlichkeit), von Objekt und Subjekt der ästhetischen Moderne, erzeugte die moderne Denkweise und Rede von einem scheinbar „ewigen“ (bruchlosen oder brucherfüllten) Übergang in das moderne Ideal, wonach die Rede von einer qualitativen Differenz beider Idealformen — Hegels metahistorische Perspektive — hinfällig wird. Dies die aufgeklärte Denkungsart des über sich selbst noch nicht aufgeklärten modernen Ideals und die absolute Deduktionsquelle jenes „großartiges Scheiterns“ moderner Kunstwerke und Künstler — ein sich widersprechendes Begriffsungeheuer —, das im Begriffsbesteck aktueller Kunstkritik und -philosophie als zentraler ästhetischer Modernitätsterminus mitgeführt wird.

In Wahrheit ist für das moderne Ideal kein Inhalt, er sei noch so kontingent, davon ausgeschlossen, von jeglicher Form (und deren Material und Sinnlichkeit), und wäre diese noch so kontingent — partikular und individuell — ergriffen zu werden. Die Adäquatheit und Konvergenz beider — von Inhalt und Form — bedingt, daß der moderne Künstler auf eine für ihn nichtkontingente Weise das Kontingente ergreifen muß, ohne dabei auf universale und zugleich neue — auf noch nicht gebrauchte Formen und Materialien, deren Nichtkontingenz vorreflexiv außer Frage stünde — zurückgreifen zu können; könnte er dies, wäre er in die Vormoderne zurückgekehrt und als vormodernes Originalgenie in die Zukunft von Kunst vorwärtsschreitend.

Und über die Hegelsche Bedingungsklausel am Satz von der endgültig ruinierten und nur mehr durch moderne Künstlergeschicklichkeit herstellbaren (sekundär)inneren Einheit von innerer Bedeutung und äußerer Gestalt, daß nämlich der — neue, moderne — Inhalt „nur überhaupt schön sein müsse“, ist die modern zerstreute — partikularisierte und individualisierte — Entwicklung des modernen Ideals hinweggegangen, — Hegel hat gegen sich selbst recht behalten, genauer: der genauere gegen den gemütlichen, der konkret sprengende gegen den rhetorisch harmonisierenden Hegel. 22

Keine Wahrheit endlicher Provenienz, keine Kontingenz der modernen Welt ist nun ausgeschlossen, durch partikulare und individuelle Kunstnotwendigkeit (die eine moderne Unterhaltungsnotwendigkeit als scheinuniversale Kehrseite ihrer Partikularität und Individualität mitbedingt — worüber ist Kabarett heutzutage unmöglich? —) dargestellt zu werden, — kein kontingenter Inhalt möglich und wirklich, der nicht als moderne Wahrheit dargestellt werden könnte: von und für einen Menschen, der sich als kontingent geworfener definiert und begegnet.

Im modern zerbrochenen Spiegel des modernen Ideals von Kunst erkennt der moderne Mensch, daß er in allem heimisch werden kann und geworden ist, um darin zugleich erkennen zu müssen, daß er in der modernen Welt nicht wirklich heimisch werden kann. Denn In-Allem-Heimischsein ist nur die Verkehrung absoluter Heimat, die verkehrte und verlorene (Kunst)Heimat des Absoluten in uns. Nur der Obdachlose muß überall heimisch sein. Auch der moderne Mensch kann und soll in dieser Welt nicht absolut heimisch werden.

Diese — vormoderne — Einsicht kehrt also unter umgekehrten — modernen — Vorzeichen in der Moderne wieder, sie ist das „Spirituelle“ des modernen Ideals, das mit vormoderner ‚Spiritualität’ verwechselt zu werden pflegt — wenn die Umkehrung unterschlagen oder unbemerkt vergessen oder gar überhaupt übersehen wurde — also mit der Religiosität vormodern religiöser Kunst und mit der Übersinnlichkeit und Idealität der sich sukzessiv autonomisierenden und zugleich noch universal schönen Kunst der Vormoderne.

Weil die selbstgebilligte Universalität des modernen Ideals eine fragmentierte sein muß, kann sie weder den Freiheitskern (das ominös gewordene Allerheiligste) noch die Führungsspitze der modernen Welt (die politischen und ökonomischen, die religiösen und philosophischen Eliten) nochmals focussieren und repräsentieren, geschweige führen und definieren.

Daher läßt sich paradox sagen: das selbstgebilligte universale Gelten — über spezielle Märkte partikular an die moderne Gesellschaft vermittelbar — der autonomisierten Künste — gleichgültig ob als ‚moderne’ im engeren Sinn oder als zugleich modern unterhaltende im umfassenderen Sinn von ästhetischer Moderne — ist nur mehr als nicht mehr mögliche möglich, als nicht mehr wirkliche wirklich, als nicht mehr universale universal, als nicht mehr elitäre elitär — oder weniger kryptisch: „Humanus“, der neue Heilige des modernen Ideals von Kunst, von Hegel auf diesen vormodernen Namen ironisch getauft, ist weder derselbe, den das romantische Ideal in der Kunstproduktion seiner ungebrochen religiösen Epochen durch Anonymgenies, nicht derselbe, den die Genieepochen des Renaissancehumanismus, des Reformationshumanismus und des bürgerlichen Revolutionshumanismus zu vollenden hatten; noch ist er eine Fortbildungsgestalt dieser Genie-, Werk- und Humanitätsweisen, eine die erschöpften Quellen des romantischen Ideals steigernde Geniegestalt der (noch nicht „ästhetischen“ und noch nicht „unterhaltenden“) Vormoderne von Kunst; er ist im entgegengesetzten Gegenteil die erste und bleibende Gestalt des modernen Ideals, dem eine ungebrochene Weiterführung der vormodernen Substanzen und Traditionen, der vormodernen Freiheit und Geistigkeit nur widersinnig aufgepfropft und aufgebürdet werden kann.

Hegels „Humanus“ ist das Gegenteil vom Gegenteil, aber nicht des Anderen (vormodernen) Teiles Teil, wie auch dieser, der vormoderne Teil, nicht des modernen Teiles Teil sein kann. Beide sind Teile eines ganzen Ganzen, des — absolut — realisierten Begriffes von Ideal, das zu seinen Besonderungen vollständig auseinandergegangen und seine weltgeschichtliche Totalität vollbracht hat. 23

VI.

Weil das Pouvoir der Moderne, sich selbst zu begreifen, dürftig und endlich bemittelt ist, wird das „Ende der Kunst“ in den aktuellen „Diskursen“ der ästhetischen Moderne und Postmoderne über Wesen und Unwesen moderner Kunst und Unterhaltungskunst wie ein Joker in einem Kartenbegriffsspiel eingesetzt, um je nach Belieben der Spielenden jeden grell ans Licht tretenden Selbstwiderspruch moderner Ästhetiken abzudecken.

Das „Ende der Kunst“ sei aus den „einsamen Höhen“ der Spekulation in die sumpfigen Niederungen der Phrase abgewandert, wird neuerdings kritisiert, der Quelle des Gerüchts sei ubiquitäres Geschwätz entquollen. 24

Ist das „Ende der Kunst“ zum Ladenhüter der ästhetischen Moderne degeneriert — umso beendeter, desto innovativer, umso gestorbener, desto quicklebendiger — konvergiert dieses neckische Vampyr- und Vexierspiel, dem mittlerweile auch viele moderne (Unterhaltungs)Künstler in ihren Selbstinszenierungen rhetorisch anhängen, kongenial mit der Manier eines „ästhetisch“ sich nennenden postmodernen Denkens, das jeden Begriff durch einen forsch gesetzten Gegenbegriff, jeden Spruch über die Sache durch einen gegenlautenden Wider-Spruch aufzuheben und zu vernichten vermeint, ohne jemals den einen entscheidenden und tragfähigen aufzufinden und vorzuweisen, in dessen Synthese allein das Aufheben der einander setzenden und beseitigenden Begriffe und Realitäten als entweder vernünftiges oder nur beliebiges Aufheben und Enden ausgewiesen werden könnte. Einerseits ist man der endlosen Reden über das Ende der Kunst gründlich satt; andererseits sieht man sich stets wieder genötigt, den verabscheuten Sermon eines Gemeinplatzes neu inszenieren zu müssen.

Und einem „ewigen Sterben“ der einen und einzigen Kunst folgt stets wieder ein „ewiges Wiederauferstehen“ derselben einen und einzigen Kunst, der Asche scheinbekümmerter Sonntagsreden folgt stets wieder der unbekümmerte Phönix einer Wiedergeburt im Geist eines erfrischenden Sonntagsregens.

Das Behaupten oder Nichtbehaupten eines Endes von Kunst ist sinnlos, wenn unsere Erkenntnisrede über das Wesen von Kunst verabsäumt, die absoluten historischen Differenzen dieses Wesens definitorisch festzuhalten. Ohne diese Selbstbegrenzung im Begriff des Wesens von Kunst ist Kunst nur ihre formelle — „ewige“ — Identität; — Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere: nicht zufällig ein (post)moderner Kalauer, der die Sache Kunst mittlerweile in der Selbstsicht ästhetischer Moderne und Postmoderne genau beschreibt, indem er nichts und alles sagt über die selbstsichtig gesehene Sache Kunst, — der Nominalismus der Rede ist begrifflos eins mit dem der Sache.

Es genügt daher auch nicht, das „Ende der Kunst“ allein in der Perspektive eines „Wechsels“ von romantischer vulgo christlicher zu moderner Kunstform auszuleuchten, weil in dieser eindimensionalen Sicht die Möglichkeit offen zu bleiben scheint, die moderne Kunst als wiedergängig archaische oder weitergängig „klassische“ oder immerwährend „spirituelle“ oder gar als „ewige Archaik“ von Kunst (miß)deuten zu können; oder den „Wechsel“ von vormoderner zu moderner Kunst als lediglich modischen und äußerlichen, als lediglich „konstruierten“ und ignorierbaren zu verkennen.

Mit den bekannten selbstwidersprüchlichen Konsequenzen: Irgendwie sei doch entweder stets und immer dieselbe „ewige“ Kunst existent, wenn auch alteriert unter den Vorzeichen spezieller kultureller Umstände und Epochen („alles vergleichbar und insgeheim identisch“); oder irgendwie sei doch immer und überall eine je ganz eigene Kunst existent, und auch diese Allheit Je-Eigener soll womöglich mit dem Segen derselben gleich-gültigen Ewigkeit und Zeitlosigkeit salbbar sein („alles unvergleichbar und voneinander so verschieden wie Verschiedene und Unverschiedene“); oder irgendwie sei doch ohnehin die moderne Kunst die Erfüllung und das Ziel aller bisherigen Kunstformen und Kunstinhalte, die moderne somit einer vorhergesehenen Endsalbung versichert („alles vergleichbar und miteinander so identisch wie alles einst Verschiedene, wenn es für ein modernes Heute unverschieden verschieden ist“).

Drei aporetische Konsequenzen, die vermeidbar sind, wenn der Inhalt und Grund ihrer Aporien durchschaut und überwunden wird. Der ersten Konsequenz liegt die irrende Annahme zugrunde, daß allen drei weltgeschichtlichen Kunstformen dasselbe Enden und Vergehen zugekommen wäre; der zweiten Konsequenz die irrende Annahme, daß jeder der drei Kunstformen ein je eigenes und ganz anderes, ein unvergleichbares Enden und Vergehen zugekommen wäre; und der dritten Konsequenz die irrende Annahme, daß allein das Enden und Vergehen des romantischen Ideals die Geburt und Existenzweise einer erstmals wahrhaft freien und wirklichen Kunst — der (unterhaltungs)modernen — freigesetzt hätte, die vorher nicht zugänglich gewesen wäre in solcher Herrlichkeit und Schönheit, Wahrheit und Freiheit, Tiefe und Vollkommenheit.

Richtig ist, daß die Trennung von Bedeutung und Gestalt, von Inhalt und Form, von Sinnlichkeit und Geist, von Gott und Welt, die im Enden jedes der drei Ideale einsetzen muß, durch ein Offenbaren neuer, tieferer Dimensionen von Geist und Freiheit erzwungen wird, — woraus ein Ungenügen und Sich-Vernichten der überlieferten, bislang absolut genügenden und befriedigenden Kunstformen unausweichlich wird. 25 Aber wahrhaft erkannt wird diese Richtigkeit erst, wenn wir die spezifische Differenz der formellen Definition von Kunst und Kunst-Ende angeben, um dadurch und darin zu erkennen, daß die Totalität der drei Kunstformen allein in der Spezifität und Differenz ihres besonderen Endens den vollständig gesetzten Begriff des Wesens von Kunst erfüllt und zu Ende differenziert, — so daß allerdings mit und nach dem dritten Ende — dem des romantischen Ideals — für ein weiteres Ende weder Sinn noch Möglichkeit offen bleibt.

Hegel überwindet die Formalität seiner allgemeinen Aussage über die welthistorische Wesensbewegung von Kunst, wonach das Ende der drei universalen Kunstformen jedesmal durch eine Tieferlegung von Geist und Freiheit erfolgt, der die bislang gewesenen Kunstformen nicht mehr ergreifend und darstellend folgen können, auch dadurch, daß er an mehreren Stationen im Gang seiner Ästhetik ausdrücklich Vergleiche der drei Endphasen vorführt und somit den mitdenkenden Leser unmittelbar auffordert, ein permanentes Vergleichen der drei bzw. vier Ideale mitzulesen und mitzubegreifen. 26

Seine Darstellung der absolut differenten und doch vergleichbaren, weil als konkret spezifizierte Fortschrittsgeschichte von Kunst lesbaren Auflösungsprozesse der drei Ideale, solange und soferne diese als unverzichtbare Organe des Absoluten und absoluten Geistes an dessen Erscheinungsgeschichte mitwirken, schreibt eine irreversible Schönheitsgeschichte der je in Dienst genommenen Einzelkünste fest, an deren weiterer Deutung und vertieften Erkenntnis und Erfahrung, sowohl in der Anreicherung durch neues Material wie in der Differenzierung noch der verborgensten Entwicklungszusammenhänge, selbstverständlich kein Ende je sein wird, endlose Verbesserung vielmehr möglich bleibt, um jener gesuchten wahren Begreifung und Erinnerung vorzuarbeiten, die ein Desiderat des absoluten Geistes wird, sobald und sofern jene einst unverzichtbare Mitwirkung der Künste verzichtbar geworden ist, somit die gewesene Mitwirkung im Lichte des Begriffes erinnert werden soll. 27

Wer somit die absolute Form der Begriffsbewegung des Wesens von Kunst, die Negativität der universalen Kunstformen mit ihren konkreten historischen Inhalten erfüllt, hat bereits die Totale einer Durch- und Einsicht in das finale Wesen von Kunst gewonnen, ohne sich deshalb in den mediokren Status eines empirischen Verstandes, der das Material der Geschichte der Künste nur empirisch aufnimmt und nach den Verstandesprinzipien der je aktuellen Reduktionsästhetiken verarbeitet, degradieren zu müssen.

Jede der drei universalen Kunstformen manifestiert in ihrem Zugrundegehen beispielsweise Formen einer Kanonisierung des Gewesenen als ewig Bleibenden, auch Formen eines konservierenden Historisierens in Gestalt einer konsekrierenden Kodifizierung und pantheonisierenden Ewigstellung; verzweifelte Versuche, den Bestand der Tradition gleichsam auf ewige Bahn zu stellen, um das hierarchisch ritualisierte Erbe vor dem drohenden Verschwinden zu bewahren.

Aber zwischen der hellenistischen Kehre des gottmenschlichen Basileus — seit Alexander dem Großen — die dem schwindenden Götterkult und -glauben von Hellas wehren sollte und etwa im ptolemäischen Reich mit dynastischen Kulten altägyptischer Prägung symbiotisiert wurde — paradigmatisch im mythischen Gesamtkunstwerk der „Ptolemaia“ — und den restaurierenden Formen des Cäcilianismus und der Nazarener sowie dem neomythischen „Gesamtkunstwerk“ Richard Wagners im 19. Jahrhundert, regiert ein unhintergehbarer Unterschied, den nicht wir nach Verstandesprinzipien von Kunstgeschichte oder willkürlichen hermeneutischen Exkursen in die Geschichte des Geistes und der Kunst konstruierend und deutend hineinlesen, sondern ein absoluter Unterschied des Absoluten von Kunst und Geist, dessen eingelesene und auserlesene Kinder wir immer schon sind, wenn wir meinen, solche Unterschiede lediglich „konstruierend“ in die Geschichte hineinzulesen.

Als welchen Heros die Kunst der klassizistischen Malerei in Frankreich Napoleon auch immer darstellen mochte, sie konnte unter keinen Umständen in die Entwicklungsphase von Geist und Kunst der hellenistischen Phase zurückkehren, — um von den Verherrlichungen Stalins und Hitlers durch den sozialistischen und nationalsozialistischen Kunstrealismus zu schweigen.

Unsere formelle Rede über und verstandesmäßige Rückschau in die Geschichte der Kunst wird absolut inhaltlich, wenn wir die Differenz von Mythos und Logos, das Verschwinden jenes in diesen, als unhintergehbares Prinzip und Prozedere auch des Wesens von Kunst erkennen und darin das rationale Wunder nicht versäumen, daß der Logos dereinst ganz nur als Mythos, im griechischen als kunstreligiöser Mythos erscheinen konnte und sollte, ein Mythos, der erstmals und unüberbietbar Kunstschönheit als Offenbarungsinhalt des absoluten Geistes freisetzte. Dieser Knotenpunkt in der Entwicklung von Kunst und Künsten ist der gordische Knoten, den zu lösen die Hegelsche Ästhetik unternimmt, um die Frage nach der absoluten Historizität der Kunst und Künste, des Kunstschönen und Kunstgeistes zu beantworten.

Mythos ist, daß noch nicht Logos ist; und Logos ist, daß nicht mehr Mythos ist. Weniger kryptisch: als Bonmot ist es durchaus gestattet, die Moderne und die moderne Kunst als ihren eigenen Mythos zu markieren, sofern der so geistreich plaudernde (Zeit)Geist Bescheid darüber erhalten hat, in welchem Spiel von Namen sein modernes Benennungsspiel Furore machen darf. Keineswegs spielerisch hingegen enthält Hegels Ästhetik als Theorie des Ganges von Kunst als absoluter Kunstschönheit durch eine absolvierbare Geschichte universaler Kunstformen die metahistorisch aussprechbare Selbstverabschiedung des Mythos in den Logos.

Doch hält sich die Hegelsche Ästhetik nicht lange bei jenen „Künsten“ auf, die seit Jahrmillionen die Natur- und besonders Tierreligionen der frühen Menschheit nicht nur begleiteten, sondern grundlegend — als absolute Mittel und „Techniken“ — ermöglichten und verwirklichten. Antimodern scheint Hegel einem hoffnungslos veralteten und vormodernen „Denkmodell“ anzuhängen, wenn er alle mythische Kunst vor der großen von Hellas als bloße Vor-Kunst definiert. Doch betrachten wir seine Argumentation näher, um die Berechtigung dieses Vorwurfes zu ergründen.

In formeller Rede unterscheidet Hegel die Einheit von absolutem Bedeuten und Gestalten, die an sich allen Kunstformen zukomme, durch deren spezifische Differenz: dem symbolischen Ideal eigne eine vor-kunstschöne Differenz und Beziehung zwischen absoluter Bedeutung und Gestalt, dem klassischen Ideal eine absolute — kunstschöne — Identität zwischen innerer Bedeutung und äußerer Gestalt, dem romantischen Ideal eine nur mehr und doch immerhin noch mögliche äußere Identität zwischen beiden Faktoren und dem modernen Ideal die absolute Getrenntheit und nach-kunstschöne Beziehung von Bedeuten und Gestaltung.

Während im modernen Ideal daher eine nur mehr partikulare und individuelle Vereinigung der Faktoren möglich ist, — lediglich in Kitsch und Unterhaltungskunst überleben gewisse Norminhalte der vormodernen Tradition scheinbar ungebrochen für eine gewisse Zeit, für vielleicht zwei, drei Jahrhunderte, — gestaltet und bedeutet die Kunst der vormodernen Ideale in innerer, wenn auch sukzessive sich auflösender, Einheit mit Religion, Weltanschauung und Philosophie sowie Gesellschaft und Staatsleben ihrer Epochen und Kulturen, deren Inhalte fokussierend und repräsentierend, durch universale Stile und Praxen, „Gattungen“ und universale Kult- und Werktraditionen eine zentrale Stätte — das alle zusammenhaltende Allerheiligste — der absoluten Selbstvergewisserung der hierarchischen Freiheit vormoderner Kollektive und Eliten. 28

Vormoderne Kunst und Künstler sind daher, immer rücksichtlich der absoluten Differenzen von symbolischem, klassischem und romantischem Ideal, an der Front des sich aus seiner unfreien Naturgeistigkeit befreienden Geistes tätig, vormoderne Kunst und Künstler sind noch nicht mit moderner Freiheit und vollständiger Kunstautonomie gesalbt und verdammt, sondern zu dieser erst noch unterwegs.

Diese triviale Erinnerung ist nötig, um die scheinbare Identität der Analogie zwischen modernem und symbolischem Ideal, zwischen moderner und sogenannter „archaischer“ Kunst zu durchschauen. Behaupten wir, eine ägyptische Pyramide, ein antiker Zeustempel, ein gotischer Dom, eine barocke Kirche und ein moderner Wolkenkratzer seien jeweils auf ihre Art unvergleichlich schön, jedes in seiner Weise von Kunst und in seiner Weise von epochaler Zugehörigkeit unübertrefflich und unvergleichlich schön, dann ist dies ein sinnloser Satz, der im Prädikat — schön — nur das Subjekt des Satzes — die Reihe der genannten Artefakte — tautologisch wiederholt.

Während im vorantik mythischen Wesen der symbolischen Kunstform und seiner Normativität nach Hegels Einsicht das Absolute noch in und als Natürliches versenkt erscheint, der Geist somit unfrei der Natur gegenübersteht, Freiheit ein Willkürgut eines — gottmenschlichen — Regenten und seiner (priesterlichen und politischen) Eliten ist, wovon die Gestaltungen der „Kunst“ mittels Naturformungen in entweder realistischer oder abstrakter Gestaltung Zeugnis geben, kann davon in der Moderne und ihrer unüberbietbar autonomen Kunstform keine Rede sein.

Während sich jener mythische Geist nur als Rätsel seiner Geistigkeit kennt, versenkt in Natur und naturwüchsig-hierarchische Unfreiheit vulgo Mythos, weshalb sein „Symbolisieren“ als ein sich nicht wissendes in der Perspektive späterer Symbolisierfähigkeit erkennbar wird, hat die Moderne und ihre Kunst längst nicht mehr die Aufgabe, ‚symbolische’ oder „symbolische“ Offenbarungs- oder gar Erlösungsreligion für den modernen Menschen zu sein. 29

Nur scheinbar gilt für die Moderne wie für die symbolische Archaik dasselbe: keine vollendete sinnliche Erscheinung des Absoluten und absoluten Geistes und auch keine absolute Kunstschönheit mehr (noch) möglich; denn im ersten Fall ist sie noch nicht, im zweiten Fall ist sie nicht mehr möglich, — das Vor der Kunst(schönheit) ist mit dem freigesetzten Nach der Kunst(schönheit) nur ganz äußerlich, nur analogisch gleichzusetzen.

Die beliebte Redeweise, daß der moderne Künstler unser „letzte Archaiker“ sei, ist bereits kunstautonome Rede und moderne Rückprojektion, die nur bestätigt, daß durch und in der vollständigen Entnormativierung des modernen Ideals alle Inhalte und Formen vergangener Kunstpraxen reflektierbares Thema und Material werden können, — von der historisch getreuen Nachstellung bis zur raffinierten Mimikry und Abstraktion, bis hin zu partikularen und individuellen Synkretismen jeder denkbaren und machbaren Art.

Weil Kunst als absolute Kunstschönheit mit dem Ende des romantischen Ideals ausgeschöpft, und das moderne Ideal als Erbe dieser Erschöpfung die universale Negation absoluter Kunstschönheit freisetzt, erscheinen uns die archaischen „Kunstgebilde“ als „moderne“; die der Antike nur mehr als Kitsch stiller Einfalt und edler Größe, die wir einem kunstgewerblichen Klassizismus zur Nachahmung zuführen, dessen Denunzierung nicht mehr erkennt, was er denunziert; und die des romantischen Ideals als noch unfreier Ausdruck verschollener, sei es religiöser, sei es weltlicher Herrschaftseliten, an deren Macht sich der noch unfreie vormoderne Künstler widerwillig verdingen mußte; obwohl er doch insgeheim bereits ein „modernes Großgenie“ mit großer Biographie, freigesetzter Phantasie und modern empfindender Subjektivität gewesen war oder werden wollte. Es ist das Scheinglück des modernen Ideals, sein vorphilosophisches Rückprojizieren nicht als solches erkennen zu können.

Die Selbstauflösung des romantischen Ideals durch vollbrachte Selbstsäkularisierung ihrer ‚absoluten’ Inhalte und Formen, Sinnlichkeits- und Geistweisen, diese tabula rasa der Selbstverkehrung vormoderner in moderne Kunst setzt die Erscheinung eines hyperreflektierten Absoluten frei, eine Welt von absoluter Vernunft und absoluter Freiheit von Geist, der sowohl die mytho-logische Gestalt ihrer angestammten Religion(en) fragwürdig wird, wie zugleich und in eins damit die Möglichkeit abhandenkommt, durch die Palette der vormodernen Künste, aber auch durch die endlos erweiterbare Palette neuer, technologischer Künste verbindlich fokussierbar und repräsentierbar zu sein. (Daher der stets wieder unternommene Versuch moderner Kunst, ihr unerkennbar sein sollendes Wesen auf den rettenden Inseln einer unzugänglichen Selbstverrätselung zu horten.)

Die neu vertiefte Vernunft und Freiheit des Geistes, das Absolute der modernen Lebenswelt, der absolute Grund ihrer Freiheitsdifferenzierung und -vereinbarkeit — beispielsweise zu szientifischen Welten von Wissensgebilden; oder zu ökonomischen Produktions- und Handelswelten; oder zu rechtlichen Gesetzes- und Gerichtsbarkeitswelten; oder zu moralisch-ethischen Gesellschafts- und Staatswelten; oder zu politischen Gebilden einer rechtsstaatlich, demokratisch und menschenrechtlich zu vereinigenden Menschheit; oder zu religiösen Gebilden konfessionalisierter Gemeinden — ist durch Kunst und Künste nur mehr äußerlich begleitbar und darstellbar, — nur mehr kontingent durch die partikularisierten und individualisierten Geschicklichkeiten des modernen (Unterhaltungs)Künstlers erfaßbar.

Nichtsdestotrotz: ist Kunst in den genannten Hemisphären der modernen Welt auch nicht mehr leitbildbildend und leitbildtragend möglich, kann und soll sie dennoch — als einzelne oder im Cross-Over aller existierenden — den nach innen tabulosen Möglichkeiten des modernen Künstlers gemäß ein Kunst-Bild von aktueller Menschheit und Welt vorführen. Die modern freigesetzte Freiheit der Kunst und Künste bleibt für die moderne Freiheits-Welt unaufgebbar.

Auch Hegels Ästhetik ist ein Zeugnis dafür, daß sich die Freiheit des modernen Geistes vernünftig durchsichtig geworden ist, ihren absoluten Reflexionsgrund erreicht hat und somit auch befähigt und befugt wird, den absoluten Bewegungsgrund und -prozeß der naturwüchsigen Reflexionsweisen bisheriger Kunst und deren letzte Auflösung als endgültige zu erkennen.

Dies bedeutet für das Ende der Kunst, daß sich jenes der romantischen Kunstform, im Unterschied zur symbolischen und klassischen, nicht mehr durch einen Neuanfang eines neuen universalen Kunstideals mit wiederum — ‚absoluten’ — religiösen und/oder übersinnlich regierten universalen Synthesen von Inhalt und Form, mit wiederum normativen Syntaxen und Stilen, Gattungen und Originalgenies wird überbieten lassen. Ein solches Überbieten und „Wiederanfangen“, das nach dem Verenden des symbolischen das klassische Ideal, nach dem Verenden des klassischen das romantische Ideal zu leisten vermochte, ist für das moderne Ideal weder Aufgabe noch realisierbar.

Würde es versucht, wären Versuche dieser Art sogleich als Regression einer „klassizistischen“ oder „archaischen“ oder sonstwie auffälligen Kunstideologie erkennbar, eine Regression, der heute nur mehr die modernen Unterhaltungskünste zuneigen, weil ihre Aufgabe lautet, die vormoderne Kunstsubstanz zu Tode zu kunsten, das geistlos gewordene Arsenal der sich schier endlos säkularisierenden Inhalte, Formen und Materialien den Süchten und Räuschen atomisierter und entindividualisierter Massenkollektive zuzuführen.

Die Kunstideologien des sozialistischen und nationalsozialistischen Kunstrealismus vulgo –idealismus bestätigten die Notwendigkeit der Regression jeder vormodernen Kunstpraxis, die für die moderne säkulare Welt nochmals fokussierend und repräsentierend tätig sein möchte.

Vormoderne Kunstweisen, die ideologisch — privat oder kollektiv — gezwungen werden, sich in der Moderne nochmals als universale zu inszenieren, müssen den Logos auch von Kunst pervertieren, weil die Bedeutung und Gestaltung der vormodernen Kunst- und Weltsubstanz, deren historischer Befreiungsbewegung die erstgeborene Stimmigkeit ihrer Formen und Materialien verdankt war, in der modernen Lebens- und Kunstwelt unauffindbar verschollen sind.

Leo Dorner – 2005/2020


[1] Hothos „geschönte“ Textfassung der Hegelschen Vorlesungen über Ästhetik hat zur rhetorischen Verschleierung der Hegelschen Begriffsarbeit am Ideal beigetragen; doch gebührt ihr zugleich das bleibende Verdienst, zur „Lesbarkeit“ der Hegelschen Philosophie einen unersetzlichen Beitrag im Segment des Kunstschönen geleistet zu haben. — Zur aktuellen Forschungs- und Editionslage der Hegelschen Ästhetik nach Vorlesungsnachschriften (Ascheberg, Hotho, Griesheim, Libelt) siehe u.a.: Brigitte Hilmer, Scheinen des Begriffs. Hegels Logik der Kunst, Hamburg 1997, und Annemarie Gethmann-Siefert, Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Die Nachschriften und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen, in: Hegel-Studien 26 (1991), 92-110.

[2] Kunst als „zeitlose Substanz“ ist ihre gedachte Erstarrung im logischen Status von Wesen. Sie hätte ihre und die Geschichte überhaupt als Freiheitsorgan des Begriffes außer sich. Die eine, erhabene und übergeschichtliche Substanz ewiger Kunst wäre wie eine Heilige Schrift einer rigid schriftgläubigen Religion, die stets nur interpretierende Varianten des Einen und Ewigen, niemals dessen Geschichte, das erscheinende Offenbaren des Wesens von Kunst durch ihren absoluten Begriff und dessen Geschichte bewerkstelligen könnte.

[3] Die Differenz von Originalgenie und Individualitätsgenie realisiert die Differenz des vormodernen (romantischen) vom modernen Ideal auf der Ebene des produzierenden Künstlers. Im vormodernen Ideal sind Kunst und Geist, Künstler und Gesellschaft substantiell — durch nötigende Bedürfnisse gemeinsamer Inhalte — zusammengeschlossen; die Besonderung und Individuation der Kunst ist zugleich die der Gesellschaft und ihrer Eliten, eine geschlossene und gemeinschaftlich progressierende Freiheitswelt. Das moderne Individualitätsgenie hingegen kann sich nur mehr über spezielle Märkte spezieller Künste an die moderne Gesellschaft vermitteln, weil die modern freigesetzte Freiheitswelt den Künsten eine Individuation ermöglicht und aufnötigt, die einer originalen Besonderung verbindlicher Allgemeinheit — von Kunst, von gesellschaftlicher Freiheit — entbehren muß. Lediglich der moderne Unterhaltungskünstler gibt noch einen Schein vom verflossenen Schein wider, den Verschein des vormodernen Universal-Scheins, — zum entindividualisierenden Gaudium von Jugendlichen und Massen.

[4] Die Differenz von ‚ästhetischem’ und „ästhetischem“ Begriff spezifiziert durch eine Zeichendifferenz die Inhaltsdifferenz der Ideale; die vormodernen Ideale waren noch nicht „ästhetische“, sondern ungebrochene, wirkliche Realitäten des Kunstschönen im Progreß seiner Autonomisierung und Selbstaufhebung. Daher kann die ästhetische Moderne auch nicht mehr verbindlich angeben, was das „Ästhetische“ sei; alles und nichts kann dazu erhoben werden, als ein „Ästhetisches“ zu erscheinen.

[5] Die Logik der Reduktion denkt endliche Eigenschaften der Existenz des Wesens von Kunst zu unbedingten Bedingungen und vermeintlich konsistenten Erst- und Letztursachen „hoch“. Es sind so viele Reduktionsästhetiken möglich, wie das Ding des Wesens Eigenschaften hat, „durch“ die es existieren zu können scheint, obwohl doch das Können des Wesens seinen Eigenschaften, die allein ‚durch’ das Wesen existieren sollen, voraus- und vorangeht. Auch die Welt der Reduktionsästhetiken führt in eine Welt des wissenschaftlichen Aberglaubens, gegen den kein Kraut gewachsen scheint, wenn sein Unwesen in den Rang von Wesen aufgestiegen erscheint.

[6] Die freigesetzte Phantasie des modernen Ideals bedingt, daß ihre Selbstbegrenzung grenzenlos variabel sein muß; denn an und in der modernen Welt, an und im modernen Menschen verfügt die vollständig autonomisierte Phantasie und Schöpfung moderner Kunst nicht mehr über verbindliche Anhalte und Anweisungen zur Gestaltung absoluter Kunstschönheit. Alles kann Inhalt, alles kann Form werden; es obliegt der endlichen Allmacht des modernen Künstlers, im endlosen Abgrund seiner Reflexion und Sinnlichkeit, Anhalte für Entscheidungen und Gestaltungen zu finden. Eher noch als die Sinnenkünste vermag daher die moderne Dichtung an die Reflexiv-Abgründe des modernen Menschen heranzureichen; geradezu „spielend“ und virtuos jedoch der Film; eine Kunst, die nach vormodernen Maßstäben keine ist, und die daher, eins mit dem modernen Leben und Phantasieren, eine universale Präsenz des Endes von Kunst aktualisiert. Alle der Vormoderne entstammenden Künste stehen in der Moderne mit dem Rücken zur Wand der Überkunst Film; und diese mit dem Rücken zur Wand des Begriffes; auch laufende und springende Bilder begreifen wir nur durch deren Begriff und Wort.

[7] Der selbstverabsolutierten und -verewigten Modernität verdanken sich die drei undurchschauten Fehlannahmen der unaufgeklärten Aufklärung ästhetischer Moderne. Nach der ersten soll der tiefste Sinn und höchste Zweck aller vormodernen Kunstwerke darin liegen, „maßgeblich zur Entwicklung moderner Kunst beigetragen zu haben“, — wie die ritualisiert gedankenlos gestellte Formel lautet. Nach der zweiten soll der Endzweck der höchsten Werke der Geschichte der Künste die zeitlose Humanität eines „Ewig-Allgemeinmenschlichen“ sein, — wie die ritualisiert gedankenlos gestellte Gegenformel lautet. Und nach der dritten Annahme soll jede Art von Kunst als Ausdruck ihrer Zeit ihre höchste und letzte Sinnstätte gefunden haben, — wie die ritualisiert gedankenlos gestellte Nullformel der historistischen Variante lautet. Die Immerschongewesenheitsthese der Moderne zerbricht somit in ein Finalitäts-, in ein Humanitäts- und in ein antiquarisches Interesse an gewesener Kunst.

[8] Hegels Spitzname für Aufklärung: „Ausklärung“ (Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden, Frankfurt 1969, Bd. 17, 373; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden, Frankfurt 1969, Bd. 20, 364).

9 Weil moderne Kunst absolut (unüberbietbar) frei ist, kann sie nicht mehr bzw. nur mehr ihre eigene (Schein)Versöhnung sein; ihr Dasein ist das entzweite, das den Widerspruch seiner Entzweiung nicht mehr in ein unendliches Fürsichsein auflösen, nicht mehr (wenigstens) haltbare „ästhetische“ Analogate einer absoluten Versöhnung befeiern kann.

10 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik. Nach der zweiten Ausgabe Heinrich Gustav Hothos (1842) redigiert und in zweiter Auflage von Friedrich Bassenge in zwei Bänden herausgegeben, Berlin und Weimar 1965, Band II, 578.

[11] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 567 ff.

[12] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 578.

[13] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 582 ff.

[14] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 581.

[15] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.

[16] „Zeitlose Gegenwärtigkeit kommt insofern der Kunst zu, als sie von allen geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen abgelöst und unabhängig ist, wie die Religion und wie die Philosophie. Auch die Kunst behauptet den Anspruch auf Absolutheit dadurch, daß sie über alle geschichtlichen Zeitunterschiede hinwegreicht.“ (Hans-Georg Gadamer, „Wort und Bild — ‚so wahr, so seiend’“, in: Gesammelte Werke, Tübingen 1993, Bd. 8, 375).

Tautologische Sonntagssätze dieser Art sind beliebt; aber sie klären uns nicht darüber auf, in welchem Sinngrund und terminus ad quem die Zeitlosigkeit zeitloser Kunst gründe und zwecke; denn „Hinwegreichen“ und „Abgelöstsein“ sind zwar „ästhetisch“ gelungene Metaphern, jedoch ungewiß wofür, weil ohne Inhalts- und Formangabe im konkreten Gang des Ideals durch seine Geschichte.

[17] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.

[18] Jeder moderne Film — ob aus Hollywood oder Anti-Hollywood — macht aus den Mythen der Antike eine moderne Deutungs-Version, indem er für ein modernes Bewusstseins schafft und dessen Prämissen und Erwartungen folgen und erfüllen muß. Und alle Brechungen dieser Erwartungen und Prämissen durch die Virtuositäten des technologisch-ästhetischen Film(Um)Schaffens kehren nur das exponiert Moderne des modernen Bewußtseins hervor. Zudem sind in die Prämissen des modernen Bewußtseins, seines Erfahrens und Umschaffens aller Mythen, immer schon alle vormodernen — nachantiken — Umdeutungen der einst ‚ewigen’ Schauspiele eingegangen; und dennoch ist jener wissende und schauende Leser noch nicht gänzlich ausgestorben bzw. stets wieder möglich, in dem eine weder moderne (aktualisierte) noch eine antiquierte (bildungskonservierte) Version des Gewesenen das alleinige Sagen und Bedeuten usurpiert. Eine Version, die den ‚absoluten’ Atem einer vergänglichen Ewigkeit von Geist in seiner Geschichte als Kunst ahnt und nachvollzieht und erst in dieser Resurrexion als unwiederholbar vollkommenenen und vollendeten Kairos begreift und ergreift: daß dieser Mythos Religion als Kunst gewesen, höchste Religion als höchste Kunst; solch hanebüchener Inhalt (in Sicht der Moderne) in solch unübertrefflicher Gestalt (in metahistorischer Sicht) ist möglich und notwendig gewesen. Das moderne Bewußtsein muß sich für die je einmalige und unwiederholbare Zergängnis des übersinnlichen Substrates der vormodernen Geistes- und Freiheitswelten begreiflich erhalten, will es die vollendeten „Werke“ des Mythos — Religion als Kunst, Kunst als Religion — weder falsch relativieren, noch falsch verabsolutieren.

[19] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.

[20] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 581 ff. — Wie weit der umdeutend aktualisierende Zersetzungsprozeß von noch jüngst kaum angreifbaren Zentralbeständen der Tradition mittlerweile fortgeschritten ist, zeigt ein „Star-Interview“ mit Peter Schneeberger im „Profil“ vom 26. April 2004, Heft 18, Seite 131 ff. — Parzifal ist für Pierre Boulez ein Mensch, „der nicht weiß, wer er ist und was er will. Parsifal kann Buddhist, Katholik oder sonst wer sein.“

[21] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 581.

[22] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 582.

[23] Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.

[24] Die entlarvbare Illusion wirklicher Universalität beweist der (undurchführbare) „großartig scheiternde“ Versuch, nach dem Muster vormoderner Kanonisierung und Traditionsbildung in jedem Segment ästhetischer Moderne, — auch in den Genres und Säkulargattungen der Unterhaltungsmoderne — Top-Bestände auf den Namen „Klassik“ und „klassisch“ zu taufen. Ein rührender Versuch der ästhetischen und unterhaltend ästhetischen Moderne — deren demokratische Egalität verratend im doppelten Wortsinne von ‚verraten’ — Geschichte von Kunst entweder als „zeitlose“ zu markieren oder den vormodernen Kairos-Begriff von Klassik, der in jeder Kunst nur eine und einzige ermöglichte, auf die Agenda des modernen Ideals zu übertragen. Und auch dieser Projektionsmechanismus kann entweder alternativ oder simultan sein Unwesen mit und im modernen Bewußtsein treiben. („Alles klassisch“) Der universalen Selbstverkehrung von (vormoderner) Kunst kann keine Art moderner Kunst, keiner ihrer Inhalte und Formen, keiner ihrer Zwecke und Bedürfnisse entgehen.

[25] Eva Geulen, Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel, Frankfurt 2002. — Belegt an prominenten Beispielen die Problematik eines bloß modischen Umgangs mit dem „Topos“ vom „Ende der Kunst“.

[26] Für Hegel ist die neue Tiefendimension evident und unausweichlich: Philosophie als fortwährender Gottesdienst. Da eine neue Religion und Kunst (und Philosophie) unmöglich, welche die überkommenen mit neuer Logizität und substantieller Freiheit transzendieren könnte, folgt der spekulative Gedanke als höchste Synthese von Gehalt und Gestalt, von Inhalt und Form, von Gott und Welt. Dieser ist, obwohl modern verborgen und kaum öffentlichkeitsfähig, das fundamentale Subjekt-Objekt, das gleichwohl die aktuell ausdifferenzierte und sich desorientiert diffundierende Moderne grundiert, zusammenhält und vorwärtstreibt.

[27] Besonders unter: „Die Auflösung der romantischen Kunstform“, 568 ff; „Die Auflösung der klassischen Kunstform“, 483 ff; „Unterschied der klassischen von derjenigen der symbolischen Kunst“, 493 ff; “Das Verschwinden der symbolischen Kunstform“, 407 ff.

[28] Und dem modernen Ideal und seinen Künsten wird die selbstverständliche Aufgabe zuteil, das im Raum aktueller Kunst verschollene — als verbindliche Kunstschönheit inexistente — Absolute in dessen partikularer und individueller Kontingenz zur Erscheinung zu bringen. Die dargestellte Abwesenheit — eine gleichsam negative Erinnerung — macht die tatsächlich erfahrene Abwesenheit als Klage einklagbar. Den modernen Unterhaltungskünsten fehlt auch das fragmentierte Sensorium, ein durch Kunst absolut Beklagenswertes zu beklagen.

[29] Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat der Zerfall des übersinnlichen (Erfahrungs-)Substrates, das für Kant die Voraussetzung eines verbindlichen Wohlgefallens am und Urteilens über Schönheit auch im Reich der Künste war, die Niederungen der modernen Unterhaltungskünste erreicht. Ein „demokratisch“ organisiertes Geschmacksurteil (Song-Contest) ist der ohnmächtige Versuch, konsensdemokratische Verhaltensweisen als Substitut des zergehenden Gemeinsinnes in das Reich des ‚Ästhetischen’, das dadurch zu einem des „Ästhetischen“ wird, zu exportieren. Auch die ästhetische Unterhaltungs-Moderne schafft und schreibt ohne Ende an ihrer Anästhetik; das Ende der Kunst bedingt auch ein endloses Ende von Ästhetik.

[30] Die Differenz von ‚symbolisch’ und „symbolisch“ kann als systemgeschichtliche Spezifikation der Differenz von ‚ästhetisch’ und „ästhetisch“ verstanden werden. Weiß das spätere Bewußtsein, was im früheren „nur“ symbolisch war, ist das ‚Symbolische’ von einst, das gelebte Wirklichkeit war, nur mehr „Symbol“ oder „Ornament“ oder „Gleichnis“ und dergleichen. — Ein Vorgang, der sich in der Selbstverkehrung des romantischen in das moderne Ideal „wiederholt“ (Anführungssetzung des späteren, des nicht mehr rituellen Bewußtseins, dem daher Wiederholung in und durch Geschichte als vormoderne Setzung durchschaubar geworden ist). Wie nahe wir diesem Übergang noch heute stehen, beweist die Unsicherheit unserer „Experten“ (Anführungszeichen mit durchschauter Sinnsetzung) bei der Beantwortung der Frage, ob Beethoven ein „Romantiker“ oder ein „Klassiker“ war. Der musikhistorische Experte flüchtet in ein Labyrinth von (undurchschauten) Ausreden, das stets mit der Gegenfrage betreten wird: Beethoven? Welcher? Der von heute oder der von damals oder der für immer? (Sofern die letztgenannte Variante nicht als „metaphysisch“ scheindurchschaut wurde…)

Fußnoten

  1. Hothos „geschönte“ Textfassung der Hegelschen Vorlesungen über Ästhetik hat zur rhetorischen Verschleierung der Hegelschen Begriffsarbeit am Ideal beigetragen; doch gebührt ihr zugleich das bleibende Verdienst, zur „Lesbarkeit“ der Hegelschen Philosophie einen unersetzlichen Beitrag im Segment des Kunstschönen geleistet zu haben. — Zur aktuellen Forschungs- und Editionslage der Hegelschen Ästhetik nach Vorlesungsnachschriften (Ascheberg, Hotho, Griesheim, Libelt) siehe u.a.: Brigitte Hilmer, Scheinen des Begriffs. Hegels Logik der Kunst, Hamburg 1997, und Annemarie Gethmann-Siefert, Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Die Nachschriften und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen, in: Hegel-Studien 26 (1991), 92-110.
  2. Kunst als „zeitlose Substanz“ ist ihre gedachte Erstarrung im logischen Status von Wesen. Sie hätte ihre und die Geschichte überhaupt als Freiheitsorgan des Begriffes außer sich. Die eine, erhabene und übergeschichtliche Substanz ewiger Kunst wäre wie eine Heilige Schrift einer rigid schriftgläubigen Religion, die stets nur interpretierende Varianten des Einen und Ewigen, niemals dessen Geschichte, das erscheinende Offenbaren des Wesens von Kunst durch ihren absoluten Begriff und dessen Geschichte bewerkstelligen könnte.
  3. Die Differenz von ‚ästhetischem’ und „ästhetischem“ Begriff spezifiziert durch eine Zeichendifferenz die Inhaltsdifferenz der Ideale; die vormodernen Ideale waren noch nicht „ästhetische“, sondern ungebrochene, wirkliche Realitäten des Kunstschönen im Progreß seiner Autonomisierung und Selbstaufhebung. Daher kann die ästhetische Moderne auch nicht mehr verbindlich angeben, was das „Ästhetische“ sei; alles und nichts kann dazu erhoben werden, als ein „Ästhetisches“ zu erscheinen.
  4. Die Logik der Reduktion denkt endliche Eigenschaften der Existenz des Wesens von Kunst zu unbedingten Bedingungen und vermeintlich konsistenten Erst- und Letztursachen „hoch“. Es sind so viele Reduktionsästhetiken möglich, wie das Ding des Wesens Eigenschaften hat, „durch“ die es existieren zu können scheint, obwohl doch das Können des Wesens seinen Eigenschaften, die allein ‚durch’ das Wesen existieren sollen, voraus- und vorangeht. Auch die Welt der Reduktionsästhetiken führt in eine Welt des wissenschaftlichen Aberglaubens, gegen den kein Kraut gewachsen scheint, wenn sein Unwesen in den Rang von Wesen aufgestiegen erscheint.
  5. Die freigesetzte Phantasie des modernen Ideals bedingt, daß ihre Selbstbegrenzung grenzenlos variabel sein muß; denn an und in der modernen Welt, an und im modernen Menschen verfügt die vollständig autonomisierte Phantasie und Schöpfung moderner Kunst nicht mehr über verbindliche Anhalte und Anweisungen zur Gestaltung absoluter Kunstschönheit. Alles kann Inhalt, alles kann Form werden; es obliegt der endlichen Allmacht des modernen Künstlers, im endlosen Abgrund seiner Reflexion und Sinnlichkeit, Anhalte für Entscheidungen und Gestaltungen zu finden. Eher noch als die Sinnenkünste vermag daher die moderne Dichtung an die Reflexiv-Abgründe des modernen Menschen heranzureichen; geradezu „spielend“ und virtuos jedoch der Film; eine Kunst, die nach vormodernen Maßstäben keine ist, und die daher, eins mit dem modernen Leben und Phantasieren, eine universale Präsenz des Endes von Kunst aktualisiert. Alle der Vormoderne entstammenden Künste stehen in der Moderne mit dem Rücken zur Wand der Überkunst Film; und diese mit dem Rücken zur Wand des Begriffes; auch laufende und springende Bilder begreifen wir nur durch deren Begriff und Wort.
  6. Der selbstverabsolutierten und -verewigten Modernität verdanken sich die drei undurchschauten Fehlannahmen der unaufgeklärten Aufklärung ästhetischer Moderne. Nach der ersten soll der tiefste Sinn und höchste Zweck aller vormodernen Kunstwerke darin liegen, „maßgeblich zur Entwicklung moderner Kunst beigetragen zu haben“, — wie die ritualisiert gedankenlos gestellte Formel lautet. Nach der zweiten soll der Endzweck der höchsten Werke der Geschichte der Künste die zeitlose Humanität eines „Ewig-Allgemeinmenschlichen“ sein, — wie die ritualisiert gedankenlos gestellte Gegenformel lautet. Und nach der dritten Annahme soll jede Art von Kunst als Ausdruck ihrer Zeit ihre höchste und letzte Sinnstätte gefunden haben, — wie die ritualisiert gedankenlos gestellte Nullformel der historistischen Variante lautet. Die Immerschongewesenheitsthese der Moderne zerbricht somit in ein Finalitäts-, in ein Humanitäts- und in ein antiquarisches Interesse an gewesener Kunst.
  7. Hegels Spitzname für Aufklärung: „Ausklärung“ (Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden, Frankfurt 1969, Bd. 17, 373; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden, Frankfurt 1969, Bd. 20, 364).
  8. Weil moderne Kunst absolut (unüberbietbar) frei ist, kann sie nicht mehr bzw. nur mehr ihre eigene (Schein)Versöhnung sein; ihr Dasein ist das entzweite, das den Widerspruch seiner Entzweiung nicht mehr in ein unendliches Fürsichsein auflösen, nicht mehr (wenigstens) haltbare „ästhetische“ Analogate einer absoluten Versöhnung befeiern kann.
  9. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik. Nach der zweiten Ausgabe Heinrich Gustav Hothos (1842) redigiert und in zweiter Auflage von Friedrich Bassenge in zwei Bänden herausgegeben, Berlin und Weimar 1965, Band II, 578.
  10. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 567 ff.
  11. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 578.
  12. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 582 ff.
  13. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 581.
  14. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.
  15. „Zeitlose Gegenwärtigkeit kommt insofern der Kunst zu, als sie von allen geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen abgelöst und unabhängig ist, wie die Religion und wie die Philosophie. Auch die Kunst behauptet den Anspruch auf Absolutheit dadurch, daß sie über alle geschichtlichen Zeitunterschiede hinwegreicht.“ (Hans-Georg Gadamer, „Wort und Bild — ‚so wahr, so seiend’“, in: Gesammelte Werke, Tübingen 1993, Bd. 8, 375). Tautologische Sonntagssätze dieser Art sind beliebt; aber sie klären uns nicht darüber auf, in welchem Sinngrund und terminus ad quem die Zeitlosigkeit zeitloser Kunst gründe und zwecke; denn „Hinwegreichen“ und „Abgelöstsein“ sind zwar „ästhetisch“ gelungene Metaphern, jedoch ungewiß wofür, weil ohne Inhalts- und Formangabe im konkreten Gang des Ideals durch seine Geschichte.

  16. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.
  17. Jeder moderne Film — ob aus Hollywood oder Anti-Hollywood — macht aus den Mythen der Antike eine moderne Deutungs-Version, indem er für ein modernes Bewusstseins schafft und dessen Prämissen und Erwartungen folgen und erfüllen muß. Und alle Brechungen dieser Erwartungen und Prämissen durch die Virtuositäten des technologisch-ästhetischen Film(Um)Schaffens kehren nur das exponiert Moderne des modernen Bewußtseins hervor. Zudem sind in die Prämissen des modernen Bewußtseins, seines Erfahrens und Umschaffens aller Mythen, immer schon alle vormodernen — nachantiken — Umdeutungen der einst ‚ewigen’ Schauspiele eingegangen; und dennoch ist jener wissende und schauende Leser noch nicht gänzlich ausgestorben bzw. stets wieder möglich, in dem eine weder moderne (aktualisierte) noch eine antiquierte (bildungskonservierte) Version des Gewesenen das alleinige Sagen und Bedeuten usurpiert. Eine Version, die den ‚absoluten’ Atem einer vergänglichen Ewigkeit von Geist in seiner Geschichte als Kunst ahnt und nachvollzieht und erst in dieser Resurrexion als unwiederholbar vollkommenenen und vollendeten Kairos begreift und ergreift: daß dieser Mythos Religion als Kunst gewesen, höchste Religion als höchste Kunst; solch hanebüchener Inhalt (in Sicht der Moderne) in solch unübertrefflicher Gestalt (in metahistorischer Sicht) ist möglich und notwendig gewesen. Das moderne Bewußtsein muß sich für die je einmalige und unwiederholbare Zergängnis des übersinnlichen Substrates der vormodernen Geistes- und Freiheitswelten begreiflich erhalten, will es die vollendeten „Werke“ des Mythos — Religion als Kunst, Kunst als Religion — weder falsch relativieren, noch falsch verabsolutieren.
  18. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.
  19. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 581 ff. — Wie weit der umdeutend aktualisierende Zersetzungsprozeß von noch jüngst kaum angreifbaren Zentralbeständen der Tradition mittlerweile fortgeschritten ist, zeigt ein „Star-Interview“ mit Peter Schneeberger im „Profil“ vom 26. April 2004, Heft 18, Seite 131 ff. — Parzifal ist für Pierre Boulez ein Mensch, „der nicht weiß, wer er ist und was er will. Parsifal kann Buddhist, Katholik oder sonst wer sein.“
  20. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 581.
  21. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 582.
  22. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 579.
  23. Die entlarvbare Illusion wirklicher Universalität beweist der (undurchführbare) „großartig scheiternde“ Versuch, nach dem Muster vormoderner Kanonisierung und Traditionsbildung in jedem Segment ästhetischer Moderne, — auch in den Genres und Säkulargattungen der Unterhaltungsmoderne — Top-Bestände auf den Namen „Klassik“ und „klassisch“ zu taufen. Ein rührender Versuch der ästhetischen und unterhaltend ästhetischen Moderne — deren demokratische Egalität verratend im doppelten Wortsinne von ‚verraten’ — Geschichte von Kunst entweder als „zeitlose“ zu markieren oder den vormodernen Kairos-Begriff von Klassik, der in jeder Kunst nur eine und einzige ermöglichte, auf die Agenda des modernen Ideals zu übertragen. Und auch dieser Projektionsmechanismus kann entweder alternativ oder simultan sein Unwesen mit und im modernen Bewußtsein treiben. („Alles klassisch“) Der universalen Selbstverkehrung von (vormoderner) Kunst kann keine Art moderner Kunst, keiner ihrer Inhalte und Formen, keiner ihrer Zwecke und Bedürfnisse entgehen.
  24. Eva Geulen, Das Ende der Kunst. Lesarten eines Gerüchts nach Hegel, Frankfurt 2002. — Belegt an prominenten Beispielen die Problematik eines bloß modischen Umgangs mit dem „Topos“ vom „Ende der Kunst“.
  25. Für Hegel ist die neue Tiefendimension evident und unausweichlich: Philosophie als fortwährender Gottesdienst. Da eine neue Religion und Kunst (und Philosophie) unmöglich, welche die überkommenen mit neuer Logizität und substantieller Freiheit transzendieren könnte, folgt der spekulative Gedanke als höchste Synthese von Gehalt und Gestalt, von Inhalt und Form, von Gott und Welt. Dieser ist, obwohl modern verborgen und kaum öffentlichkeitsfähig, das fundamentale Subjekt-Objekt, das gleichwohl die aktuell ausdifferenzierte und sich desorientiert diffundierende Moderne grundiert, zusammenhält und vorwärtstreibt.
  26. Besonders unter: „Die Auflösung der romantischen Kunstform“, 568 ff; „Die Auflösung der klassischen Kunstform“, 483 ff; „Unterschied der klassischen von derjenigen der symbolischen Kunst“, 493 ff; “Das Verschwinden der symbolischen Kunstform“, 407 ff.
  27. Und dem modernen Ideal und seinen Künsten wird die selbstverständliche Aufgabe zuteil, das im Raum aktueller Kunst verschollene — als verbindliche Kunstschönheit inexistente — Absolute in dessen partikularer und individueller Kontingenz zur Erscheinung zu bringen. Die dargestellte Abwesenheit — eine gleichsam negative Erinnerung — macht die tatsächlich erfahrene Abwesenheit als Klage einklagbar. Den modernen Unterhaltungskünsten fehlt auch das fragmentierte Sensorium, ein durch Kunst absolut Beklagenswertes zu beklagen.
  28. Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat der Zerfall des übersinnlichen (Erfahrungs-)Substrates, das für Kant die Voraussetzung eines verbindlichen Wohlgefallens am und Urteilens über Schönheit auch im Reich der Künste war, die Niederungen der modernen Unterhaltungskünste erreicht. Ein „demokratisch“ organisiertes Geschmacksurteil (Song-Contest) ist der ohnmächtige Versuch, konsensdemokratische Verhaltensweisen als Substitut des zergehenden Gemeinsinnes in das Reich des ‚Ästhetischen’, das dadurch zu einem des „Ästhetischen“ wird, zu exportieren. Auch die ästhetische Unterhaltungs-Moderne schafft und schreibt ohne Ende an ihrer Anästhetik; das Ende der Kunst bedingt auch ein endloses Ende von Ästhetik.
  29. Die Differenz von ‚symbolisch’ und „symbolisch“ kann als systemgeschichtliche Spezifikation der Differenz von ‚ästhetisch’ und „ästhetisch“ verstanden werden. Weiß das spätere Bewußtsein, was im früheren „nur“ symbolisch war, ist das ‚Symbolische’ von einst, das gelebte Wirklichkeit war, nur mehr „Symbol“ oder „Ornament“ oder „Gleichnis“ und dergleichen. — Ein Vorgang, der sich in der Selbstverkehrung des romantischen in das moderne Ideal „wiederholt“ (Anführungssetzung des späteren, des nicht mehr rituellen Bewußtseins, dem daher Wiederholung in und durch Geschichte als vormoderne Setzung durchschaubar geworden ist). Wie nahe wir diesem Übergang noch heute stehen, beweist die Unsicherheit unserer „Experten“ (Anführungszeichen mit durchschauter Sinnsetzung) bei der Beantwortung der Frage, ob Beethoven ein „Romantiker“ oder ein „Klassiker“ war. Der musikhistorische Experte flüchtet in ein Labyrinth von (undurchschauten) Ausreden, das stets mit der Gegenfrage betreten wird: Beethoven? Welcher? Der von heute oder der von damals oder der für immer? (Sofern die letztgenannte Variante nicht als „metaphysisch“ scheindurchschaut wurde…)