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06 Glasperlenspiel und Musik. Eine musikphilosophische Deutung

Die geschwisterliche Verwandtschaft zwischen Glasperlenspiel und Musik ist der Leserschaft von Herrmann Hesses utopischem Bildungsepos vertraut und verständlich. Der Kultus der Musik berührt auf das Innigste die Gesetze und Absichten des Glasperlenspiels. Unzählige Male spricht der Dichter von den unerschöpflichen Gemeinsamkeiten und Beziehungen der beiden Geisteskinder und insbesondere davon, wie unsagbar viel das spätgeborene Glasperlenspiel der frühvollendeten Musik verdanke. Umso müßiger erscheint es, aus einem vorhandenen Vorrat unendlicher Beziehungen nochmals einige zu schöpfen, nochmals einzelne Eigenschaften des Glasperlenspiels gegen einzelne Merkmale der Musik zu halten, unterscheidend, vergleichend, vereinigen, nochmals ein feuilletonistisches Vorspiel zu einem uns unerreichbaren Glasperlenspiel über das großzügige Thema zu hinterlassen. Müßiggang durch das Bruchwerk unseres feuilletonistischen Denkens, zeitgemäß beliebt, im Müßiggang genießbar.

Auf der Rückseite des Müßiggangs, auf der Nachtseite des plaudernden Feuilletons, lauert kaum verborgen die ausweglose Sorge, die schweigende Betroffenheit, die Ohnmacht angesichts einer schicksalsmächtigen Geschichte, die Niedergang und Verfall auch über die höchsten Blüten geistiger Kultur, auch über Glasperlenspiel und Musik verhängt hat. Denn die hohe Kunst der Musik, von deren klassischer Blüte im Abendland Hermann Hesse so eindringlich und begeistert zu dichten weiß, ist eine Gestalt der Vergangenheit, lebendig nur im magischen Nachschöpfertum des gelehrten Musikerstandes, nicht im Schaffen lebender, zeitgenössischer Komponisten; und das Glasperlenspiel, des Dichters verwegenste Schöpfung, droht an ureigenster Degeneration zugrunde zu gehen, sofern nicht, wie Josef Knecht, der personale Träger seiner problematische Idee, unabweislich erkennt, eine Revolution die kastalische Idylle vom Kopf auf die Füße zu stellen vermag. Wenden wir uns also zunächst den brüchigen Fundamenten zu.

Das Glasperlenspiel ist eine Geheimsprache. Aber nicht Überheblichkeit und Dünkel einer esoterischen Elite haben es dazu gemacht, sondern neben dem Bedürfnis nach Schutz vor Mißbrauch durch Uneingeweihte und Unwissende, vor allem die Gewissenhaftigkeit einer Zeichensprache gegenüber, die an ihren Gebraucher die höchsten Anforderungen stellt. Handelt es sich doch um eine alle Disziplinen und geistigen Inhalte umfassende Universalsprache, zu deren Entstehen beinahe alle Wissenschaften mitgeholfen und zusammengewirkt haben, um eine Sprache also, die durch einen langen, mühevollen Gang von Vermittlungen zu ihrer eigenen spontanen Unmittelbarkeit immer nur erst

unterwegs sein kann. Es spielt sich nicht so leicht in den abstrakten Gefilden des kastalischen Geistes. Wie nur der höhere Mathematiker höhere Mathematik, nur der höhere Philologe höhere Philologie treiben kann, so kennt das Glasperlenspiel nur den Unterschied von privatem und öffentlichem Elitespieler, nicht aber den Begriff des Dilettanten. Von der immerwährenden Gefahr bedroht, dem Fluch auswendiger Gedächtnisvirtuosität oder bloß wiederkäuender Gelehrsamkeit anheimzufallen, kann es nur neiderfüllt auf das Paradies einer schöpferischen Vergangenheit schauen, wo das Höchste einfach und unmittelbar, das Tiefste reflexionslos verständlich, das Sinnliche der Künste und Religionen eine begnadete imitatio dei war. Wo Johannes Kepler aus der Euklidischen Geometrie das Wunderwerk seiner Weltharmonik entfaltete, wo in der Heiligen Schrift das ebenso einfache wie unauslotbare Offenbarungswort des verborgenen Gottes formuliert und in der abendländischen Musik durch die klassische Gebärde das Empfinden des Unaussagbaren erlebbar wurde. Und dieser abendländische Geist der klassischen Musik wird letztlich und erstlich zum Vorbild des Glasperlenspiels erhoben. Das übermenschliche Lächeln, die unsterbliche Heiterkeit und Weisheit der klassischen Gebärde in Bachs und Mozarts Musik stehen am Anfang und am Ende des kastalischen Geistesspiels. Vor allen anderen Geistesmächten ist die zwischen 1500 und 1800 vollendete Musik der anregende Quellpunkt, aber auch der angestrebte Zielpunkt als das Leitbild des neu zu gewinnenden Paradieses eines absoluten Wissens vom Weltganzen, das zugleich spontane, schöpferische Unbewußtheit und Natur, also Kunst und Spiel des allwissenden Geistes geworden wäre. Denn merkwürdig: eine fast zweihundertjährige Anstrengung und Übung aller Wissenschaften – etwa von der Mitte unseres Jahrhunderts an – vermochte den Zeichen des Glasperlenspiels nicht jene sinnbildende und sinnmächtige ratio zu verschaffen, die es zur Ursprache des unendlich beziehbaren Sinnes alles Seienden erhoben und den Urtraum der abendländischen Menschheit verwirklicht hätte: mit dem Organon des Logos die erkennbar gewordenen Räume von Mythos dun Magie wiederzubetreten. Den Zeichen des Glasperlenspiels muß eine magische Kraft des Symbolisierens und Verfügens über die Inhalte zugemutet werden. Eine bedeutungsgebende und bedeutungsempfindende Kraft, die sich letztlich nur der erleuchteten Meditation erschließt und verdankt. Eine magische kraft der Darstellung aller wesentlichen Inhalte der Geistesgeschichte, vorgestellt in engster Analogie zu der Art und Weise, wie im Bewußtsein und Spiel des Musikers das Notenbild der Töne in wirklich erklingende Musik verwandelt wird. Und die Erfinder und Pfleger des Glasperlenspiels sind voll der Zuversicht, daß etwas vom Geist der abendländischen Musikschrift, etwas von der magischen Nachahmungspotenz dieser Zeichenschrift, aber auch etwas von der magischen Ausdrucksweise, mit der die Klänge der Musik ihre Inhalte klangsymbolisch ausdrücken, in das konzentrierte Wesen der Spielzeichen übergegangen sei. Die schmerzhafte und unerlöste Differenz zwischen Spielzeichen und geistigem Weltinhalt werde sich daher dereinst, und sei es in unendlicher Annäherung, durch

Verbindung der wissenschaftlichen mit den künstlerisch-magischen Erkenntnismitteln schließen, die Kluft zwischen subjektiver und objektiver Kultur – man denke an Georg Simmel – werde sich überbrücken, die Wunde des wissenmüssenden Menschen werde sich heilen lassen.

Kierkegaard hat Hegel angegriffen, nicht nur weil dieser das Individuum in den Ozean der begriffenen Gottheit aufgelöst, sondern weil er sich in seiner Logik angemaßt hätte, mit Menschenworten das Selbstgespräch des Unbedingten, die Seinsrede des Absoluten wiederzugeben. Wie könne er nur so einfältig sein zu glauben, mit gewöhnlichen Worten wie Sein, Nichts und Werden, worin sich die Reste anschauenden Bewußtseins, gleich Sedimenten des geschichtlichen, niedergeschlagen hätten, an das absolute Sein zu rühren; wie könne er nur so naiv sein zu meinen, mit den ungereinigten Mythologemen unserer Alltagssprache den Begriff eines Wesens denken zu können, das nichts als reines, sich selbst denkendes Denken sein solle. Hegel, dessen Werk Josef Knecht von allen philosophischen weitaus am stärksten anzieht, hat in der Vorrede zur Logik auf Kierkegaards Einwand im Voraus erwidert, daß es allerdings nötig wäre, seine Logik wenigstens noch siebenundsiebzigmal umzuarbeiten. Der Philosoph wußte um die Voraussetzungen, der er als geschichtlicher und eine geschichtliche Sprache gebrauchender Philosoph zu machen hatte. Er muß eine innere Magie der Sprache und des spracheverstehenden Bewußtseins voraussetzen, eine überrationale Abbildfähigkeit der Wortsprache, ein magisches Residuum in der gegebenen Sprache, kraft welcher Voraussetzung allein die Worte als übergeschichtliche und übersprachliche Zeichen gesetzt werden können. Solcherweise könnte man, vom kastalischen Standpunkt aus freilich nur ironischerweise, in Hegel einen der wichtigen Vorläufer Kastaliens, einen der archaischen Glasperlenspieler der Wortsprache erkennen. In unserem Jahrhundert wäre in diesem Zusammenhang an den seinsblinden Traum vieler positivistischer Kreise zu erinnern, den Positivismus mathematischer Ausrichtung zur Metaphysik aufzublähen, die Gesamtheit aller ontologischen Fragen endlich sprachgereinigt mit mathematischen Formel darzustellen und dabei die meisten der metaphysischen Begriffe und Heiligtümer als leeren Schein, als Null und Nichts zu entlarven und dem Abfallhaufen der Ideologiegeschichte zu übergeben. Thomas von der Trave, amtierender Glasperlenspielmeister und über die Zweifel des Studenten Josef Knecht gegen das kastalische Spiel unterrichtet, warnt das angehende junge Ordensmitglied vor dem Irrtum der Jugend, mit den Mitteln des Glasperlenspiels philosophieren zu wollen. „Unser Spiel aber“, so der weltgewandte Magister ludi – sinnigerweise dem philosophiefreudigen Autor des Musikromans Dr. Faustus in bekannten Zügen nachgebildet – „unser Spiel aber ist weder Philosophie, noch ist es Religion, es ist eine eigene Disziplin und im Charakter am meisten der Kunst verwandt, es ist eine Kunst sui generis.“ Eine Kunst sui generis, aber beschreibbar doch am eindringlichsten und anschaulichsten auf gesichertem Grund und Boden des vertrauten

Vorbildes Musik. Das Glasperlenspiel sei ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kulturgeschichte, schreibt der Biograph Josef Knechts in seinem Versuch einer allgemein verständlichen Einführung in die ‚Geschichte des Glasperlenspiels. Das ganze ungeheure Material von geistigen Werten werde vom Glasperlenspieler etwa so gespielt wie eine Orgel vom Organisten, und diese Orgel sei von einer kaum auszudenkenden Vollkommenheit: ihre Manuale und Pedale tasteten den ganzen geistigen Kosmos ab, ihre Register seien beinahe unzählig, theoretisch ließe sich mit diesem Instrument der ganze geistige Weltinhalt im Spiele reproduzieren. In diesem Idealbild eines unmittelbar spielbar gewordenen Glasperlenspiels lesen wir von der ungeheuren Vielfalt möglicher und immer verschiedener Spiele innerhalb eines feststehenden Gefüges von Manualen, Pedalen und Registern, deren Zahl und Ordnung feststehe und eigentlich nur mehr in der Theorie einige Versuche zur Vervollkommnung zulasse. Der ganze geistige Weltinhalt wird also nicht durch die mühsame Anstrengung des Begriffes aus einem Seins- und Denkgrund deduziert und von den Erfahrungswissenschaften approbiert (wofür Hegel von seinen Gegnern als bloßer Spieler mit Begriffen verspottet wurde), sondern, unter Berufung auf Nikolaus von Cusanus, einem anderen großen Dialektiker der abendländischen Philosophie, mißt der Glasperlenspieler mit Symbol und Vergleich die Inhalte und Ergebnisse nahezu aller Wissenschaften und bezieht sie als gegenseitige Gleichnisse aufeinander, um dem Gedächtnis- und Gedankenspiel der nachschöpfersiechen Einbildungskraft die unendlichen Räume aller geistigen Sinnbeziehungen zu eröffnen. Ein kulturgeschichtlicher Index von Inhalten und Werten, eine riesige Enzyklopädie von Geisteskristallen, durch magisch-wissenschaftliche Symbole bezeichnet und einer strengen, weil allgemeingültigen Assoziationslogik unterworfen, zu der in einem späteren Entwicklungsstadium des Spiels die meditative Versenkung hinzutritt, um das Glasperlenspiel vor dem Abfall in geistlose Gedächtnisvirtuosität und gelehrsame Stoffwucherung zu bewahren. Inhalte und Werte, also ihre hieroglyphischen Symbole, liegen daher auf der koordinierenden Ebene eines gleichartigen Sinnniveaus, nicht auf einer subordinierenden, hierarchisch aufbauenden Pyramide. Ein bedenkenswürdiger Widerspruch zum Geist strenger Hierarchie, der sonst alles soziale und erzieherische Leben der Kastalier prägt und regiert. Ein Widerspruch aber auch zur klassisch-abendländischen Musik. Denn die tonale Grammatik des klassischen Tonsystems errichtet bekanntlich ein kreisförmiges System von Tonarten, deren Einzeltöne ihrem vorgeordneten Grundton durch strenge Hierarchie unterworfen sind. Und erst auf dem Fundament dieser hierarchischen Grundordnung von Haupt- und Nebentönen, Haupt- und Nebenakkorden, Grund-, Ober- und Mittelstimmen usw. vermag der Einzelton so etwas wie demokratische Beweglichkeit und Freiheit zu entfalten, vermag er verschiedene Funktionen und harmonisch-melodische Tonbedeutungen anzunehmen. In formaler Bestimmung ist jeder Ton nur das, was er in seinen Beziehungen ist, in seinen Beziehungen zu allen anderen Gliedern der

Ton- und Satzart, und diese Beziehungen waren von Epoche zu Epoche durch die Gesetze und Regeln der musikalischen Grammatik geregelt. Ein endlicher Vorrat von Beziehungen, der aber dennoch Unendlichkeit und Individualisierung mitermöglichte, da ein und dieselbe Tonbeziehung unter den Händen und der Phantasie des tonkünstlerischen Genius eine unerschöpflich neuartige inhaltliche Bedeutung erhalten konnte, ein je eigenes Leben, einen je eigenen Geist, der eben Bach von Telemann, Mozart von Salieri scheidet.   Das Glasperlenspiel übernimmt nun für seine enzyklopädischen Zwecke das formale Verhältnis der tonalen Tonbeziehungen, übernimmt deren absolute Relativität und freies Aufeinanderbezogensein, ihr gegenseitiges Bestimmen und Bestimmtwerden, – ersetzt das Moment von Phantasie und Genius durch die meditative Versenkung und läßt die Grundtonbeziehung, also die geistige Gravitation der Inhalte und Werte in einen letzten einigenden Sinngrund wegfallen.   Aber gerade an der gleichsam freischwebenden Tonalität der Bedeutungsgehalte, gerade am Fehlen eines Grundtons im Fundament des Glasperlenspiels entzünden sich Josef Knechts langjährige Vorbehalte. Und seine Zweifel richten sich nicht nur gegen die ideologische Tendenz der großen öffentlichen Spiele, die dialektisch geführten Sinngehalte kontrapunktisch auszugleichen und einem glücklichen harmonischen Schluß zuzuführen. Vielmehr erscheint dem Josef Knecht der kritischen Studentenjahre der grundsätzliche Anspruch des Glasperlenspiels, eine abschließende Gestalt des absoluten Wissens zu sein, zumindest überstiegen, zumindest nicht mit den herkömmlichen Spielmitteln und Erkenntnissymbolen erfüllbar. Wenn das Glasperlenspiel schon der Region des wissenden Bewußtseins, ja der wissenschaftlichen Bewußtheit angehöre, so Knechts Einwand, warum richte es dann seine Grammatik und seine Sprache nicht unmittelbar in gerader Linie auf die Artikulation des Absoluten aus? Warum verabsäume es, das assoziative Spiel der Ideen und Werte so zu gestalten, daß deren Verwandtschaft und Herkunft aus dem absoluten Bedeutungsgrund aufgezeigt und verfügbar werden? Solange dieser Grund nur unbewußt und ungestaltet mitschwinge, werde das Glasperlenspiel unausweichlich von Verflachung und leerer Spielvirtuosität bedroht sein. Zweifel und Vorbehalte dieser Art lassen Josef Knecht während langer Zeit unentschlossen darüber, ob er sich nicht doch lieber zum Musiker und zur Musik ausbilden sollte, wo er derlei Sorgen überhoben wäre und doch, wenn auch auf den altbewährten Wegen künstlerischer Mimesis, sich mittels unbewußten Besitztums des höchsten Seins versichern könnte. Ausgedehnte und gründliche Studien in mehreren Wissenschaften können diese Unentschlossenheit und Zweifel nicht beseitigen. Eines wird aber deutlich: die bewußte Hereinnahme des wie auch immer artikulierten Absoluten, die spielsymbolische Darstellung und Mitwirkung des Einen und Unbedingten würde zugleich das Ende des Spiels und die Verflüchtigung des Spielens bedeuten. Denn jener Glasperlenspieler, der einmal mit dem Machtmittel des gewußten Grundes ausgerüstet wäre,

würde nicht mehr mit den Glasperlen der Ideen und Werte alles Seienden, sondern höchstselbst mit der göttlichen Schöpferhand spielen, in der die Glasperlen alles Seienden, alles Gewesenen und Künftigen in ewig kreisender Unruhe ruhen. Das Los des Zwitters, unausgegoren und unversöhnt zwischen den getrennten Polen seiner Gattung zu existieren, trifft das Glasperlenspiel auf der beweglichen Grenzscheide zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Musik und Begriff. Entweder neigt sich das kastalische Spiel den Wissenschaften und der Philosophie zu; es übernimmt die Formeln des Begriffsgrundes, – aber um den Preis eines Verlustes von freiem Spiel, ästhetischem Schein, begnadeter Meditation. Oder es neigt sich der geheiligten Musik zu, es wird spontanes, unbewußtes Spiel, befreit von jeder vermittelnden Reflexion, erlöst von jeder Brechung seiner spielerischen Unmittelbarkeit, – aber um den Preis von Bewußtheit und eigenständigem Wissen. Es wird am Ende in die Musik zurückkehren, aus der es entstanden ist, im kindlichen Vertrauen auf das unbewußte Mitschwingen des ewigen Seinsgrundes in den Ton- und Klanggebärden der klassisch-abendländischen Musik. Es ist nicht zu verwundern, es ist vielmehr unausweichlich, wenn die kastalische Kultur die begeisterte Verherrlichung der Musik durch die romantische Musikphilosophie, gipfelnd in Schopenhauers Metaphysik der Tonkunst, noch einmal ins Heilige und Kultische überhöht und übersteigert. Die unsterbliche Heiterkeit, das übermenschliche Lächeln und die übersprachliche Seligkeit der klassisch abendländischen Musik erfährt der kastalische Geist als Zeichen und Gleichnis, ja als Beweis für die unübertroffene Fähigkeit dieser Kunst, unmittelbarster Ausdruck des innersten Wesens der Dinge und des Göttlichen zu sein, so unmittelbar, daß auch noch dessen Unbegreiflichkeit und Namenlosigkeit in der musikalischen Darstellung gewahrt bleibt und die Hybris des Wortbegriffs ebenso zurückgewiesen wird wie die seit der Aufklärung herrschende, letztlich gnostische Hybris des modernen Menschen, ohne Gleichnis und Analogie, ohne Bild und Beschwörung ein letztes zusammenschauendes Wissen erlangen zu wollen. Sitzend zur Rechten der Meditation, wird daher die Musik im kastalischen Himmel in den Rang des religiösen Mysteriums erhoben und als des unbekannten Gottes eigene Symbolsprache verehrt; die Werke aber ihres Goldenen Zeitalters als höchste Kulturleistungen des Abendlandes, höher als Religion, Philosophie und Wissenschaft, in den Kanon der kastalischen Güter aufgenommen. Uns aber – die wir hineingestellt sind zwischen das Ende der absoluten Künste und die Ungewißheit einer utopischen Verheißung – bleibt die Zukunft des Glasperlenspiels. Wie auch am Ende des biographischen Berichts, nach Josef Knechts Verlassen des Ordens und seinem sagenumwobenen Opfertod, das Glasperlenspiel suchend in eine ungewisse Zukunft entlassen wird. Von Hermann Hesse ohne Zweifel mit hintergründigem Lächeln als Leitstern gedacht, als Wegzeichen für uns suchfähige und suchwillige Nachgeborenen.

Als unendliche Aufgabe, ein Bewußtsein und ein Zeitalter herbeizuführen, dem alles durchscheinend wäre, alles bedeutsam, alles aufeinander verweisend, einander dolmetschend, in unendlicher Spiegelung und unerschöpflicher Sinnerfüllung; kraft einer Versenkung, die den Geist der großen Musik, die Strenge der Philosophie und Wissenschaft und die Magie der Meditation verbände, um ohne Rückversicherung in einem verfügbaren Absoluten vorerst die Dinge und den Menschen in eine unendliches Zwiegespräch zu erheben und eine erleuchtete Welterfahrung vorzubereiten, die wieder verdiente, den Namen Kultur zu tragen.

Erschienen in: Hermann Hesses Glasperlenspiel. – 4. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 1986. Hrsg. von Friedrich Bran und Martin Pfeifer. Bad Liebenzell/Calw 1987, – S. 91-98.