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15 Mount Everest

Jährlich bewege sich „Mount Everest“ drei bis sechs Millimeter in Richtung
Nordost; die höchste Erhebung der Erde sei außerdem zwei Meter höher als
bisher angenommen: zwei moderne Weisheiten, die den Agenturen aller Länder
dieser Erde nicht vorzuenthalten, der National Geographic Society in
Washington auferlegt zu sein scheint. Neuerdings führt sie ihre Vermessungen
mittels hyperexakter Satellitennavigation aus, und deren Offenbarungen, so
hoffen wir vertrauensvoll, möchten nicht nur unser infantiles Bedürfnis nach
einem zeitzerstreuenden Wissensspiel mit aberwitzigen
Genauigkeitsinformationen über alles und nichts befriedigen, sondern
irgendein tief in uns verborgenes Bedürfnis erlösen helfen. – Wollten wir
angesichts unserer Existenz auf einem Planeten immer schon wissen, unter
welchen höchsten und verborgensten Maßen seiner irdischen Bewegungen
unsere eigenen, oft wenig maßbestimmten Lebensbewegungen sich zutragen?

Der zwölfzeiligen Zeitungsspalte, die uns unter der Rubrik „Tagesspiegel“ das
Neueste vom Schicksal des „Mount Everest“ mitteilt – über ein Geschehen der
Natur, das uns trägt, ohne uns zu betreffen -, ist die ambivalente Zufriedenheit
noch anzumerken, mit der sie von ihrem Redakteur als Delikatesse hyperexakter
Weltvermessung dem Informationsmarkt zu rascher Verdauung vorgesetzt
wurde. Denn eine äonenhaft schleichende wurde diesmal dem nach stets
neuesten Neuigkeiten gierenden Zeitungsleser verabreicht; eine beinahe schon
ewig fortwährende, an der sich aber gleichwohl das zynische Schicksal einer
schicksalslosen Vergleichgültigung aller Neuigkeiten und Informationen im Sog
des modernen Lebenstages vollziehen wird, – denn auch die letztaugenblickliche
Neuigkeit wird noch auf derselben Zeitungsseite einer nächsten
Wissensneuigkeit weichen, um nach vollendeter Lektüre mit allen gemeinsam in
das Meer des halben oder ganzen Vergessens abzutauchen.

Dennoch steht die neueste Meldung über das zähe Treiben des Erdmutterleibes
im Reflexaugenblick des Informationsaustausches wie eine Verkündigung vor
uns, an deren Wahrheit nicht zu rütteln ist, weil sie kraft wissenschaftlicher
Evidenz in sich ruht. In der Spontaneität der informellen Sekundenanimation
vernehmen wir daher aus den altmenschlichen Höhlen unseres
Gefühlshaushaltes nichts als zustimmende und ungetrübt autoritätsgläubige
Rückmeldungen. Hatten wir doch schon irgendwo und irgendwann gelesen,
wissen wir daher längst, daß sich die Kontinente unter unseren Füßen einer
unfaßbaren Gemächlichkeit befleißigen.

Doch kann ein Wissensvorsprung dank Daten letzter Exaktheit nie schaden;
diese balsamieren unser Selbstverständnis verläßlich mit neuesten Prisen eines
Wissens, dem wir eine spezifische Unsterblichkeit nicht absprechen können.
Und mit dem Stolz von Kindern freuen wir uns im Vorbeiflug der rasenden                                           Lektüre, daß von nun an den Heinzelmännchen der Wissenschaft auch nicht                                                 die geringste Bewegung im und am Bauch der Erdmutter entgehen wird, weil die allgegenwärtigen Wichte neuerdings mit technologischen Organen ausgestattet und mit transirdischen Satelliten kommunizierend Tag und Nacht für uns arbeiten, auf daß nichts außer Kontrolle gerate.

Und vollends beruhigt und bestätigt die fanatische Exaktheit der geographisch-
geologischen Meldung unsere skrupulöse Annahme, es sei vielleicht nicht nur
blinder Zufall, daß der Erdmantel unsere Heimatregion vor seinen Blähungen
zumeist gnädig zu beschützen wisse, indem er das menschenmordende Grauen
seiner Erbebungen fast immer in anderen Erdteilen über die Menschheit
hereinbrechen läßt.

Wer hätte es nicht an sich erfahren: in der Sekundenanimation der neuesten
Welt-Information wird unser säkulares Bewußtsein von kaum mehr als einem
flüchtigen Kreis banaler Vorstellungen und Erinnerungsbilder bewegt. Nicht ins
Bewußtsein dringt – wo wäre auch Zeit dazu? – was sich längst unter der
bewußten Schwelle der Informationssekunde angelagert hat, – ein
unentwirrbares Gemisch aus Verblüfftsein und Geborgensein, Verstehen und
Nichtverstehen, erschreckendem Erstaunen und anheimelnder Bewunderung.
Ein vermutlich arg wankelmütiges Gemisch, das als unbewußte
Untertagesschicht unser säkulares Tagesbewußtsein stets begleitet, ohne je
aufgedeckt gewünscht zu werden, als lauere unterhalb der stupend exakten
Sicherheit, die uns die Prognostik der modernen Wissenschaften zu gewähren
scheint, eine bodenlose Unsicherheit.

An dieser Verdeckung beteiligt sich die Sprache mit ihrem Schein von sachlicher
Unschuld: der scheinlose Aussagesatz über Höhe und Bewegung des
Allerhöchsten auf Erden gibt sich so einfach und erhellend wie ein biblischer
Psalm. Wie bei diesem wissen bei jenem die gläubigen Träger des nun säkularen
Sprachgewandes in vertrauendem Vorverständnis, was auf dem Spiel steht; und
auch der sakrale Bann läßt sich verkümmert wiedererkennen, demzufolge nur
wenigen Heiligen vorbehalten bleibt, zu angesichtiger Teilhabe und
auserwählter Vollendung zu gelangen.

Denn daß wir nun exakt 8.850 Meter über unser irdisches Niveau hinaufsteigen
müßten, um dort zu sein, wo am Ende der Zeiten nur wenige Auserwählte
gewesen sein werden, und daß der himalayische Gipfel-Koloss jährlich
höchstens nur sechs Millimeter nach Nordost vorwärtskommt, was
wahrzunehmen den geologischen Argusaugen unserer Apparate vorbehalten
bleibt, – all dies untergräbt unser Vertrauen in die universale Herrschaft der
weltdurchdringenden Wissenschaften keineswegs, ein Vertrauen, daß längst
begonnen hat, eine Religion des sich entgrenzenden Wissens und Machens in
uns zu erwecken.

Deren Sprache scheint zunächst noch den Unterschied zwischen
symbolisierendem Wort und numinos vorgegebener Realität nicht zum
Verschwinden zu bringen. Die Reibung der Sehnsucht, es könnte einst die
Wunde der Trennung von sprachlichem Ausdruck und dem, was dieser als
gesichertes Realitäts- oder Glaubensgut anzusprechen versucht, geheilt werden,
scheint diesmal nur tiefergelegt und verhüllt, abgeschoben in jene unbewußte
Untertagesschicht, die unser säkulares Tagesbewußtsein stets unaufgedeckt
begleitet.

Denn einerseits verdichten sich die Maße und Quanten, die in den szientifischen
Sätzen mitgeführt werden, zu Chiffren unfehlbarer Eindeutigkeit. Als
verkündeten wir mit göttlicher Stimme per Dekret, einer Letzterkennung von
Welt beizuwohnen, weil wir des unwiderleglich exakten Blickes eines
allesdurchdringenden Mess-Auges teilhaftig geworden wären. Andererseits
jedoch stoßen unsere Aussagen über die Realität überall an die von Metaphern
stigmatisierten Grenzen der Sprache. Die Kopulation der Satz-Subjekte mit ihren
Prädikaten in kühlen Sätzen, die eine objektiv vorhandene Welt scheinbar nur
abbilden, setzt unreflektiert voraus, daß wir uns bisher über das, was wir
objektive Welt nannten, immer nur in den Setzweisen bestimmter Sprachen
universal verständigen konnten.

Schon der Satz: „Mount Everest bewege sich“, ist nicht eigentlich gemeint, weil
er nur als Ausdruck eines metaphorischen Ausdrückens gemeint werden kann.
Denn nicht er bewegt sich, sondern er wird bewegt; und nicht ein „er“ wird
bewegt, weil keines da ist, das der bombastische Eigenname als Subjekt
beschwört. Worauf der Name fällt, widerspiegelt nur den Geist des
Namengebers, dessen besitzergreifendes Benennen seit altersher.

Und nur scheinbar verträglich kollidiert nun in uns die szientifisch exakte
Sprache der modernen Wissenschaften mit jenem von altersher Welt
benennend umgreifenden Geist, der in unseren Sprachen bis heute säkularisiert
fortwest. Wie im Erdmantel Kontinentalplatten, stoßen moderne Wissensweise
und herkömmliche Sprachweise in den Tiefen unseres heutigen Bewußtseins
von Welt und Realität aufeinander. Zwei arg verschiedene Weltbilder, die sich
nur scheinbar versöhnlich ergänzen; ein prekärer Schein, angesichts dessen in
der Tiefe kollidierenden Seins sich daher der Verdacht erhebt, die szientifische
Platte habe sich längst über die in Namen umgreifende zu schieben begonnen.

Wie sehr die Numinosität der traditionellen Sprachweltbildung – zumindest in
der Ersten Welt – säkular erloschen ist, zeigt sich an allen neuen Realitäten und
Dingen, die im Visier des modernen Bewußtseins erscheinen. Jede neue Realität
trägt sogleich die zufälligen Namen ihrer säkularen Entdecker und Produzenten,
oft auch von deren Apparaturen, Verfahren und technischen Mitteln; auch die
letzten Nachklänge sakraler Genehmigung für weltvereinheitlichende Namen
sind inzwischen mutiert und verklungen. Wer einen bisher unentdeckten                                            Kometen zuerst erblickt, einen bisher unbestiegenen Berg zuerst                                                             besteigt, nach dessen zufälligem Namen oder Apparatur wird er fortan                                                 benannt, – dem säkularen Codex der Forscher- oder anderer Gemeinschaften                                              gemäß. Unsere Namen fungieren – längst von den Dingen verdinglicht                                                  getragen – als Dinge zweiter Ordnung, während eine Welt von Dingen                                                         erster Ordnung – der einst von Göttern gehaltene und vorbenannte                                                          Kosmos – in der totalen Durchmessung und willkürlichen Benamung                                                           ihrer Erscheinungen verschwindet.

Der szientifischen Weltherrschaft ist daher nicht nur nichts heilig, – aus ihrer
freigesetzten Negativität totaler Quantifizierung und der Codierung bisheriger
Welt in exakte Quantitätssprachen und deren medialer Darbietung und
Vernetzung folgt auch die Freigabe aller Güter in Natur und Kultur zu totaler
Verarbeitung, Vernutzung und Veränderung. Weder Gott noch Mensch sind nun
das Maß aller Dinge, sondern des szientifischen Menschen beliebig
entgrenzbares Denken und Verfügen über alle Dinge.

Kein Vernünftiger kann die grandiosen Erfolge dieses Verfügens leugnen; die
Triumphe der naturwissenschaftlich-technischen Revolutionen definieren seit
dem 19. Jahrhundert das globale Leitbild fortgeschrittenster Zivilisation für alle
Kontinente und Kulturen. Dennoch bedarf es keines Herbeiredens eingebildeter
Gefahren, um einzusehen, daß wir als Handlanger allmächtiger Technologien
und ihres experimentellen Weltbildes zu demiurgischen Zauberlehrlingen
werden müssen, wenn uns alsbald eine Welt erscheint, die nicht mehr durch
vorgegebene Grenzen wesensverschiedener Realitäten definierbar ist.

Besteht die Welt aus beliebig entgrenzbaren Substanzen, verdampfen diese
nicht nur in unserem Erkennen zu bloßen Funktionen materieller Elemente,
auch deren erscheinende Gestalten – die bisher sogenannte normale Welt
natürlicher und geschichtlicher Dinge -, sind dann nicht mehr als eine bloß
zufällige Realität, – nur eine verwirklichte Möglichkeit von unzähligen
unverwirklichten Möglichkeiten mikromaterieller Baupläne. Und ist unser
Zauberlehrling erst einmal in deren Besitz, kann er wähnen, die unendlichen
Versäumnisse der bisher unendlich säumigen Evolution nachholen zu müssen,
auch wenn dabei unter unseren Apparaturen auf Teufel komm raus Monster
entstehen und die bisherige natürliche und kulturelle Welt in Zerstückung
zerfällt und in Zerstörung versinkt.

Nicht einzusehen, weshalb es unter der Sonne nicht Menschen mit zwei Köpfen,
andere mit sieben Augen, wieder andere mit vier Füßen geben soll können und
müssen. Aus einem degenierten Begriff von natürlicher Gattung lassen sich
unendlich verschiedene Arten degenerieren und klonen. Die steuernde Matrix
von gehirngenerierten Robotern, deren Gestalt von sogenannten natürlichen
Menschen ununterscheidbar wäre, dürfte dann allerdings nicht auf den                                               dummen oder superben Gedanken verfallen, uns für natürliche Feinde zu halten.

Heute fordern wir klagend, es dürfe nicht alles gemacht werden, was machbar
sei, nur weil es machbar ist; in jener künftig wirklich neuen Welt aber würde
nicht bloß alles gemacht, was machbar ist; sondern weil alles Vorhandene
bereits nur mehr als beliebig Gemachtes erfahren wird, würde bei der Machung
des Nochnichtvorhandenen im vorhandenen besten Wissen und Gewissen nur
weiter verfahren.

Die neue Welt würde in den Bahnen einer Sprache vorgestellt und realisiert, in
der bis in die alltägliche Kommunikation hinein die Setzung identischer Wesen
und vorgegebener Substanzen nicht mehr zugänglich, weil unausdrückbar
geworden wäre; die Rede über Wesen, denen eine unantastbare Seinswürde
zukäme, wäre mit schlichtem Schweigen in das Jenseits der Geschichte
entglitten. Nicht nur wäre Alltag und Normalität unmöglich, deren Manen
gestürzt, auch ließe sich in einer Sprache der durchgängigen Nichtidentitäten
nur mehr über nichts einhellige – also vernichtend realapokalyptische –
Verständigung erzielen, – der Wunsch nach kollektivem Selbstmord wäre der
Menschheit nicht mehr auszureden.

Allein das nullum negativum verfügte noch über eine unantastbare Identität, –
eine von unbestimmbarer Tiefe und Unendlichkeit, – wir adorierten die Freiheit
eines verrückt gewordenen Absoluten, das sich sinnlos in sich selbst verzehrte.
Vergeblich würden dannzumal Ethik- Kommissionen ausrücken, denn nichts
mehr gäbe es zu kommissionieren in einer Welt, die ebenso exakt vermessen
und beherrschbar, wie zugleich infolge innerer Wesenlosigkeit maßlos und
unbeherrschbar geworden wäre.

Die libertinen Prinzipien totaler Entgrenzung, die in der ästhetischen Moderne
und ihrer kontingenten Künste ihr notwendiges, wenn auch beliebiges Recht
haben, wären eingedrungen in das Reich der szientifischen Weltprotokollsätze,
und mitten in deren exaktestem Denken und Verfügen herrschte das egalitäre
Recht von allem und nichts. In einer Welt grenzenlos transformierbarer
Materialien und Kräfte regierte die vollendete Ohnmacht über eine Menschheit,
die sich universale Verfahren verbindlicher Natur- und Kulturbeherrschung gar
nicht mehr vorstellen könnte. Schon die Worte Moralität und Sittlichkeit,
Schönheit und Heiligkeit, Wahrheit und Wirklichkeit wären längst in allen
Bereichen von Wissenschaft und Politik, Kultur und Gesellschaft zur
rhetorischen Maskerade einer nur mehr ruinös vorhandenen Öffentlichkeit
verkommen.

Zwar verdankt sich die bis heute namengebende Sprache, in der sich die
Numinosität der Wesen setzenden Sprachen der vormodernen Weltbilder
säkular erhalten hat, der Ichwerdung des Menschen durch seine soziale
Zerstückelung in der Überwindung aller archaischen Stammesgesellschaften.

Im Verschwinden der naturreligiös fundierten Stämme, deren letzte Reste                                                  noch bis vor kurzem real existierten, ehe auch diese mit ihrer Entdeckung                                             sogleich verschwanden, konnte der Mensch nur mehr in Ichen, die                                                        einander tödlich bewußt ausschloßen, in das Eigentum individueller
Körper mit universaler Freiheit aufsteigen.

Eine Freiheit, die zugleich natur- und körperunabhängig gelten mußte, wenn sie
universal und zugleich icheinsam existieren und die unausweichliche Einsamkeit
aller auch allheitlich – in einer Menschheit, der sich heute noch der einsamste
und ärmste Wüstenbewohner zugehörig weiß – vergemeinsamen sollte können.
Das Reich Gottes ist in uns, aber über seine Individualisierung in freigesetzten
Individuen kann seit Anhebung der Moderne auf eine Menschheitsgesellschaft
hin nicht mehr universal verfügt werden.

Konnten aber unsere Iche nur als einander ausschließende zu individualisierten
Ichen einer universalen Freiheit werden, dann mußte auch deren Sprache, der
Projektion sozialer Organisation gemäß, das Seiende außer uns als ichhaft in
sich gekehrt deuten und sich und ihm entsprechenderweise benennen. Das
Urbild einer ganzheitlichen Welt wurde zum Gerücht einer verschollenen.

Und dennoch: ist dieses namentlich begreifende Ich, das langsam und unter
strengen patriarchalischen Hierarchien aus den archaischen Kollektiven
herauswuchs, und das sich eine kategorial verfaßte Welt in seiner qua ihrer
Sprache gegenübersetzte, nicht trotz der damit einhergehenden Projektion und
Weltvertraulichkeit immer noch wahrer gewesen als die nun erscheinende
Alternative einer wesenlosen Sprache, in der nichts als die hinfällige Einheit von
gebrochenen Subjekten und ihrer zerfließenden Objekte erschiene?

Auch wenn der Preis für den Namen als Bürgen für die Kategorie sehr hoch
war? Weil mit ihrer Hilfe der Gedanke zwar unangreifbare Identitäten in der
Hemisphäre von Subjekt und Objekt, und schon diese überhaupt als getrennte
Wesen festsetzen konnte, zugleich aber damit die hierarchische Macht des
Wissens die universale Freiheit aller wieder einschränkte, indem herrschende
über beherrschte Iche regierten?

Bisher wenigstens sollte außer uns derselbe Geist wohnen, der auch in uns
wohnte. Was wir auch fanden unter der Sonne, und was wir unter ihrem Schein
als Novität in die Welt setzten, ein jegliches Ding wurde auf einen ichsagenden
Geist der Sprache getauft, um zumindest darin nicht mehr als fremdes und
unbeherrschbar dämonisches Ding existieren zu müssen. Die szientifische
Sprache aber wäre in ihrer Vollendung eine von namenlosen Namen, eine
Sprache, in der sich variable Gleichungen und Virtualbilder zu hieroglyphischen
Amalgamen verbänden, eine Sprache, deren Trenn- und Verbindungskraft keine
numinose Herkunft und Magie gesegnet hätte, und die daher niemand vor dem
Sturz in den universalen Nominalismus bewahren könnte.

Natur und Geist wären derselben Matrix Ungeheuer; von maßlosen
Quantitätsmustern zufälliger Materie sinnloser Überfluß. Musils Utopie eines
exakten Lebens und Adornos Utopie einer Ontologie des Nichtidentischen
bemerkten nicht, daß über ihnen längst schon die szientifischen
Entgrenzungsmächte der Moderne sich auf Überholspur befanden.

Diesen drohenden Nominalismus verbirgt uns wie natürlich die Coolness
unserer Meldungen-Sprache in den Öffentlichkeit zeugenden Medien. Ihre Sätze
bewegen sich auf dem Laufsteg unseres chronisch neugierigen Bewußtseins
wie einfach verständliche und ganz normale Sätze, mit Subjekt und Prädikat
weltordentlich ausstaffiert, worin sich Wesen auf ihre Eigenschaften, Gesetze
auf ihre Erscheinungen und Dinge auf ihre Kräfte beziehen. „Mount Everest“
ahnt daher noch nicht, wessen Händen er sich in unserem neuen Geist von Welt
ausgeliefert hat.

Und wehe ihm, er wüßte die ganze Wahrheit über das expertise Kleid seines
präzisen Vermessenseins. Trug und Täuschung die treuherzige Annahme, es sei
vom Hobbyismus geologischer und geographischer Forscherpassionen
geschneidert worden, denn im Anfang auch dieser neuen Dinge stand Vater
Krieg, – im 20. Jahrhundert ein Auftrag des Pentagon. Das satellitengestützte
Globale Positionierungssystem (GPS) ist Teil eines die Erde umspannenden
Koordinatennetzes (ITRF), das ebenso wie das Internet zuallererst für das
amerikanische Militär entwickelt wurde. Potentiell ist längst jeder Punkt der
Erde im Visier von Waffen, die sich ihre Ziele über selbststeuernde
Computerprogramme suchen und millimetergenau treffen. Die Köpfung des
Mount Everest ist jederzeit möglich, auch über ihm schwebt die Guillotine des
atomaren Sprengkopfes.
Juni 2007