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40 Analogia entis

 

  1. Theologumena

 

Das analogische Seinsverhältnis versucht das Verhältnis einer ungewissen oder unklaren Proportion zwischen zwei Faktoren auszudrücken. Die Proportion zwischen einem unendlichen Sein Gottes und dem endlichen Sein aller Seienden beispielsweise sei eine nur analoge, keine gewisse oder gar mathematisch darstellbare Proportion. Als mathematische wäre sie als direktes und simples Verhältnis ausdrückbar: Gott als der Dreieinige stünde als Einheit dreier Personen gegen das Lebewesen Mensch als Einheit nur einer Person. Exakt Minus 2 wäre der Wert der Proportion in der Perspektive des Menschen. Denn Gott ist um zwei Personenwerte höher, dichter und geeinter als der Mensch, der nur einen Personenwert sein eigen nennt.

Eine andere Art, das Analogieverhältnis zwischen Gott und den Menschen zu erörtern, wäre eine Erörterung der Heiligtümer jeder, besonders der christlichen Religion. Die dogmatische Frage, wie beispielsweise die Hostie als Leib Christi zu verstehen sei, bleibt auch dann virulent, wenn behauptet wird: Es handle sich ausschließlich um eine Frage des Glaubens und der Theologie, und allein die Theologie sei befugt und befähigt, die Frage nach dem „Wie zu verstehen ist“ zu beantworten. Denn zur Beantwortung dieser Frage wird auch die Theologie nicht umhin können, ein Analogieverhältnis zu beantragen, weil eine direkt abbildende Proportion (1:1) auf eine problematische Identität hinausläuft. „Dies ist mein Leib“, dieser biblisch überlieferte Spruch Christi, hat daher trotz seiner direkten und unmißverständlichen Aussage mehr Deutungen evoziert, als den Theologen seit jeher lieb und angenehm sein konnte.

Welche Analogien zwischen historisch ursprünglichen und insofern „ersten“ Sprüchen einerseits und überlieferten und insofern immer schon (um)gedeuteten Sprüchen anderseits vorliegen, diese Frage führt in die bodenlosen Labyrinthe der Hermeneutik. Ein überlieferter Spruch verhält sich zu seinem gedeutet überliefernden Spruch, (analog)vereinfacht gesprochen, wie der Bote einer Botschaft zu dieser selbst. Der Bote setzt dabei voraus, daß der Empfänger der Botschaft fähig sei, diese zu deuten und zu verstehen, obwohl der Bote weiß oder wissen sollte, daß im Gang der fortschreitenden Geschichte stets neue und andere Empfänger anzusprechen sind. Die Botschaft mag noch so „buchstabenidentisch“ verharren, es hilft ihr nicht, ihre bisherigen Deutungen müssen der nächsten Deutung weichen. Und auch für diese Flaschenpost ist fraglich, ob sie jemals ihre letzte Insel erreichen wird.

 

  1. Die nicht-ontologischen Sprachspiele des Wiener Kreises

 

Es ist philosophiegeschichtlich trivial, daß die meisten ontologischen und „idealistischen“ Philosophien den Ausdruck „Sein“ (nicht nur in deutscher Sprache) als eindeutigen (univoqen) Ausdruck auffaßten, wenn sie über göttliche Dinge, Wesenheiten, Akte und Seinsgründe nachdachten, sprachen und schrieben. Woraus natürlicherweise folgt, daß alle nicht-ontologischen und nicht-idealistischen Systeme und Ansätze der behaupteten Univozität des (Gott unterstellten) Seins, mit äußerstem Mißtrauen und Mißbehagen begegneten und begegnen.

In den modernen Philosophien scheint sich das Problem erledigt zu haben: Wer heute noch „in Ontologie“ arbeitet, ist in der postmodernen Moderne noch nicht angekommen, er ist auf schmalem Segelboot im Ozean der Ewiggestrigen unterwegs.

Als sich der Wiener Kreis in den 1920er-Jahren um eine neue Einheitswissenschaft bemühte, die als neue Leitwissenschaft die alten philosophischen Systeme ablösen sollte, galt es zunächst die Grundübel der traditionellen Systeme zu beseitigen. Denn es sei maßgeblich die Vieldeutigkeit der traditionellen philosophischen Grundbegriffe gewesen, die zum Verlust von Ansehen und Glaubwürdigkeit der vormodernen Philosophie geführt habe.

Anfangs versuchten die sprachskeptischen Philosophen der neuen Philosophie die Sprache der Mathematik als neue Einheitssprache durchzusetzen; aber nachdem sich dieser Versuch als undurchführbar erwiesen hatte – in Zahlen läßt sich nur mühsam mit- und gegeneinander streiten – mußte man der Wortsprache zu Leibe rücken. Jedes Wort wurde unter der Folter eindeutiger Definitionen gezwungen, nimmermehr zu täuschen, nimmermehr zu lügen, nimmermehr vieldeutig zu reden und zu schreiben. Ein neuer Sisyphos moderner Sinnlosigkeit war geboren. Selbstverschuldete Unmündigkeit hatte gesiegt: ein Pyrrhussieg, wie bekannt.

Denn ein Sieg der Eindeutigkeits-Ideologie des Wiener Kreises hätte bedeutet, jedes Wort der Alltagssprache, das sich manifester Vieldeutigkeit schuldig gemacht hat, durch eine Vielzahl von Neuworten im Range von Eigennamen für Eigen-Sachen zu ersetzen. „Bank“ kann in normaler deutscher Sprache sowohl Sitzgelegenheit, Geldinstitut wie auch Wetteinsatz auf (scheinbar sichere) Spielpartien bedeuten. (Unerachtet vieler weiterer Bedeutungen, die das Wort-Schlitzohr „Bank“ unter seinen Fittichen versteckt.)

Sitzbank, Geldbank, Spielbank wären somit durch philosophische Sprachzensur durchzusetzen gewesen, und wer nochmals „Bank“ ausgesprochen oder niedergeschrieben hätte, wäre durch saftige Geld- oder andere Strafen dem Umerziehungsprogramm des nunmehr politisch korrekten Sprechens zugeführt worden. (Die heutigen Versuche, Nachrichten in „einfacher Sprache“ für einfache Gemüter durchzusetzen, zehren offensichtlich von einer modernen Tradition dieses wissenschaftlichen Aberglaubens. Die Verfechter der neuen Sprach-Einfalt sind übrigens oft dieselben Meinungsbeschleuniger, die sich in anderen, vor allem politischen Zusammenhängen, wutentfesselt über „Populismus“ und „Populisten“ zu erregen pflegen.)

 

  • „Das Wuchern der Metaphern“

 

Aber die Vieldeutigkeit der Worte ist weder das einzige noch das ärgste Verbrechen, das unser großes Schlitzohr Wortsprache tagtäglich und meistens ungestraft verübt. Denn zwischen den vielen Bedeutungen eines Wortes haben sich gewisse analoge Bedeutungen einzelner und mehrerer Worte eingenistet, die durch das „Wuchern der Metaphern“ – unheilbaren Tumoren der Sprache gleich – zu unausrottbar vielen Mißverständnissen führen (können). Dagegen sind beinahe nur Nativ-Speaker mit den nötigen Wassern gewaschen, um den Fallstricken der Mißverständnisse ihrer Sprache stets und überall zu entschlüpfen. Man weiß (fast) immer, wovon die Rede ist, indem man die dunkle Seite des Spiels der Worte nicht mitspielt.

Heute ist der Himmel über uns klar, weil die Wolken von gestern verzogen sind; unser Verstand ist heute beinahe schon klar, weil der Whisky-Pegel unseres Gehirns von gestern abgesunken ist. Klar ist, wovon hier klarerweise die Rede spricht und die Schrift schreibt. (Eindeutig und daher letztlich immer unklar zu reden und zu schreiben, ist erste Pflicht jedes Politikers, weil ihm erstens der Geist der Stammtische folgen muß können, und zweitens nur auf diesem Weg der politische Wille zur Macht erfolgreich sein kann. Ohne Lemminge kein Zug durch die Wüste. „Merkeln“ ist die politische Metapher eines epochalen Denk- und Redeverfalls.)

Was beim politischen Sprachgebrauch noch einigermaßen durchschaubar bleibt, weil Denkfreiheit, trotz der diversen Ideologien von „political correctness“, in den westlichen Demokratien immer noch besteht, wird beim philosophischen Sprachgebrauch gleichfalls „einigermaßen“ nebulös und fraglich. Nimmt ein (ontologisch denkender Philosoph) das Wort „Sein“ in den Mund und läßt dieses mechanisch oder händisch aufs Papier seiner Schrift setzen, ist guter Rat sehr teuer, will man die Bedeutung(en) dieses seines Wortes sachgerecht erfassen. Intellektuell teuer, versteht sich, – eine Metapher, die darauf anspielt, daß das Denken in Begriffen nicht nur gewisse „Sprachprobleme“ hat, sondern überdies noch gewisse „Seinsprobleme“, die natürlicherweise im Denken aller nicht-ontologischen Philosophen und Wissenschaftler (wie die „sprachlogische“ Akrobatik des Wiener Kreises und seiner Nachfolger gezeigt hat)nichts als „Scheinprobleme“ sind. (Nicht Scheinprobleme zu sein scheinen, sondern wirkliche Scheinprobleme sind bzw. sein sollen.)

 

  1. Sein und Schein: univok, äquivok, analog?

 

Ob das Wort „Sein“ von und über die verschiedenen Wirklichkeiten der empirischen und intelligiblen Welt entweder univok oder äquivok oder analog ausgesagt werde, war spätestens seit Aristoteles eine grundlegende Frage der zentralen Disziplinen der Philosophie. Weder Metaphysik und Ontologie, noch Erkenntnis- und Sprachtheorie konnten diesem Fels im ewig anbrandenden Gedankenozean ausweichen. Woran auch die vielen verschiedenen Sprachkleider des Wortes „Sein“ – beispielsweise griechisch einai, lateinisch esse, englisch to be – nichts ändern: Was den einen ein unverzichtbarer Begriff alles Denkens über alle Inhalte dieser Welt zu sein schien und scheint, scheint den anderen, wie erwähnt, eine nur scheinhaft schillernde und verwirrende fata morgana über dem Meer jeder und somit aller Sprachen zu sein. Sein oder Schein?, lautet die zeitlose Frage in der Dunkelkammer des menschlichen Denkens.

Denn für beide, Sein und Schein, gilt wiederum die peinliche Nachfrage: univok, äquivok oder analog aussagbar, wenn überhaupt aussagbar? Die antike Sophistik kannte sowohl das Vergnügen, das Sein des Seienden als Nichts zu provozieren, wie auch den tollen Spaß, die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt zu leugnen. Die Nachfrage mußte naturgemäß dort kulminieren, wo das Sein nicht nur des Seienden (aller Wirklichkeiten), sondern das Sein des Seins selbst ins Visier der Philosophie geriet. Und notwendigerweise mußte dies in den ontologischen Richtungen der Philosophie geschehen.

(Es ist zwar nicht gänzlich, doch weithin gleichgültig, ob das Sein des Seins vor 2500 Jahren in Griechenland oder schon vor weiteren tausenden von Jahren in Asien das Licht der Welt des Denkens erblickte. In beiden Fällen bemühten sich Menschen der einen Menschheit, in einem Abgrund namens Sein, einen erkennbaren Erst- und Letztgrund zu finden.)

Daß die philosophische Frage nach dem Sein des Seins mit der Entstehung und Entwicklung monotheistischer Religionen teils einander befruchtende, teils einander abstoßende Wirkungen zeitigen würde, wäre von einem übergeschichtlichen Standpunkt, den ein fiktiver Beobachter über der Geschichte hätte beziehen können, sozusagen handgreiflich zu beobachten gewesen. In den Gottesdiensten der Christenheit, die sich früh schon in einander unversöhnlich bekämpfende Konfessionen teilte, wäre ein trinitarischer Gott bei seiner sonntäglichen Wiederkehr, bei den Juden das Festhalten an den alttestamentarischen Kulten und Riten, später bei den Mohammedanern ein analoges Festhalten an den Riten und Praxen des neu erschienenen oder wirklich neuen Gottes (Allah) zu beobachten gewesen.

Vom Sein des Seins wäre allerdings in allen drei monotheistischen Religionen nur in den Stuben und Auditorien der Theologen und ihrer vorgeschobenen Repräsentanten etwas zu beobachten gewesen. Zu abstrakt waren und sind die philosophischen Begriffe, und die neu hinzukommenden des Neuplatonismus (Plotin, Proklos), die das Denken in ontotheologischen Begriffen zugunsten einer analogisch denkenden Theologie schwächten oder verließen, konnten die Spaltung von Philosophie und Theologie nur steigern. Bis hin zu einer alle philosophische (Gottes)Erkenntnis verweigernden Theologie bzw. Philosophie – das Eine des Plotin ist keiner begreifenden Ontologie zugänglich. Kurz: Die Frage, ob das Sein des Seins univoq oder äquivok oder analog zu lösen sei, hatte sich – in dieser spätantiken bzw. frühmittelalterlichen Entwicklung – als hinfällig gewordene Frage aufgelöst.

Eine Einigung in der Frage der analogia entis, ob nämlich das als unendlich angenommene Sein Gottes durch ein endliches Denken des Menschen überhaupt erkennbar sei, wäre somit ohnehin nur in den Philosophien, niemals in den Theologien der monotheistischen Religionen zu erreichen gewesen. Und wenn doch in den Theologien (wenigstens der christlichen Religion), dann nur durch begrifflich denkende Philosophien, weil die genannten Begriffe – Sein, Schein endlich, unendlich usf. – im Alten und Neuen Testament entweder gar nicht vorkommen oder, wenn doch, nicht als Begriffe ernstgenommen werden. Offenbarungsreligionen haben keine begrifflichen Sorgen. Offenbarung und Glaube sollen jenseits aller Vernunft das höchste Gut erfassen.

Dennoch schien das Mittelalter wie kaum ein anderes Zeitalter – vorher und nachher – berufen, eine Einigung in der Analogie-Frage zustande zu bringen. Kaum eine Theologie des Mittelalters, die nicht zugleich großartige philosophische Systeme über das Sein von Gott und Welt entworfen hat. Und dennoch und auch trotz des gemeinsamen Übervater Aristoteles (schlechthin als „der Philosoph“ gepriesen) kam eine Einigung nicht zustande. Der Antagonismus zwischen Analogisten und Univozisten blieb unüberwindbar bestehen. Thomas von Aquin und Duns Scotus mußten auf ihren Standpunkten beharren, keiner konnte den anderen von der Richtigkeit seiner Position überzeugen. Der Analogie des göttlichen Seins des einen widersprach die Univozität von göttlichem und menschlichem Sein des anderen.

 

  1. Die Schnecke der Zoologen

 

In der endlichen Welt des Menschen ist dessen Wahrnehmung von Welt, jedoch in unwillkürlicher Verbindung mit seiner Alltagssprache eine sozusagen oberste und letzte Instanz bei der Feststellung von Sein und Wirklichkeit. „Diese Schnecke ist auf diesem Tisch“, sie bewegt sich von links nach rechts und hinterläßt einen gleichsam irdischen Kondensstreifen auf der Tischfläche, ist für zwei menschliche Zoologen, die das Objekt ihrer Begierde betrachten, völlig unstrittig und kein Objekt von Diskussion. Beide setzen eine direkt abbildende Macht und Funktion der menschlichen Sprache, nicht eine nur metaphernde oder gar nur analogische Macht und Funktion derselben voraus.

Obwohl beide, (auch Zoologen sind Menschen und einer gewissen sprachphilosophischen Nachdenklichkeit fähig), nicht leugnen würden, daß das reale Sein auf dem Tisch der Realität vom sprachlichen Sein derselben Realität gewisse Unterschiede aufweist. Unterschiede, die der Satz: „es ist nicht in Sätzen“, daß und wie sich Schnecken real bewegen, auszudrücken versucht. Vermutlich spätestens hier und jetzt würden vernünftige Zoologen jedes weitere unwissenschaftliche Nachdenken über das Verhältnis von real erscheinendem und sprachlich erscheinendem Sein (der beobachteten Schnecke) an der Garderobe der Philosophie wieder abgeben.

Würde nun die reale Schnecke durch die nur behauptete, nicht sinnlich beobachtbare Realität eines göttlichen Seins ersetzt, würden unsere Zoologen, falls noch mitdenkend, ohne Zweifel ein reales Abbilden dieser Realität durch Worte und Sprache bezweifeln. Denn das, was noch nicht wahrgenommen wurde, kann ihnen keine Sätze entlocken. Sinnliches Wahrgenommensein ist und bleibt Erst- und Letztinstanz gegen alles Ausgesprochensein von Sein und Realität. Weshalb die Ur-Schnecke nicht sagen mußte, „wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen.“ Sie sagte lediglich, ohne auch nur ein Wort aussprechen zu müssen: wer mich erblickt hat, darf aussprechen, was er gesehen hat.

Wird aber auf dem Tisch der menschlichen Beobachter nichts als ein Satz erblickt, der das Verhältnis eines unendlichen (göttlichen) Seins zu allem endlichen (menschlichen) Seins ausdrückt, sind die noch übriggebliebenen Beobachter eine nicht nur zoologische, sondern auch eine menschliche Minderheit. Ihr Name sei Theologe oder Philosoph, deren Schicksal läuft auf dasselbe hinaus: im Nichtbeobachtbaren erkennen und aussprechen zu müssen.

 

  1. Vormoderne und moderne Freiheit

 

Aber vormoderne Beobachter, Denker und Menschen waren andere Beobachter, Denker und Menschen. Jene waren Menschen vormoderner Kulturen, diese sind seit der Neuzeit mit wachsender Beschleunigung und Überzahl zu Angehörigen moderner Kulturen geworden. Bringen wir den Namen „modern“ daher auf einen ersten Vorschlagspunkt: neue Wissenschaften und neues Wissen zieren den modernen Menschen, und daher auch alle seine Weisen und Methoden, Beobachtbares zu beobachten und auszusprechen sowie auch Nichtbeobachtbares zu bedenken und auszusprechen.

Doch ist dieser Vorschlagspunkt durch einen anderen nicht nur zu ergänzen: ohne moderne Freiheit wäre das wissenschaftliche Weltbewußtsein des modernen Menschen und seiner modernen Kultur nicht möglich gewesen. Man muß an diese mittlerweile trivial gewordenen Voraussetzungen erinnern, um die Behauptung, von einem vorwissenschaftlich-vormodernen sei ein wissenschaftlich-modernes Bewußtsein und dessen Kultur zu unterscheiden, nicht unter das Tabu eines Denkverbots zu stellen.

Frei waren auch die Menschen und Philosophen der antiken Welt, wie überhaupt alle Menschen und Kulturen der Vormoderne (bis zurück zu den ersten protoarchaischen Kulturen, mögen diese auch Millionen Jahre zurückliegen) frei genannt werden müssen, weil sie sich von den „Kulturen“ der vormenschlichen Lebewesen unterschieden haben müssen. Sie sprengten die Unfreiheit der vormenschlichen Lebewesen, die innerhalb der Grenzen ihrer spezifischen Instinktwelten leben mußten und bis heute leben müssen.

Dennoch gilt: einer auch qualitativ gesteigerten Intensität menschlicher Freiheit verdankt sich zuletzt und zuerst die Entstehung moderner Kultur und Menschheit. Nicht nur der Aufstieg der wissenschaftlichen Moderne, zugleich und zuvor schon der Aufstieg einer politischen Moderne, die das führende Zentrum der modernen Kultur und Welt übernahm. Nur scheinbar erfolgte Galileis Einspruch und Widerstand gegen den Machtanspruch der Inquisition, das wahre Wissen und die wahre Freiheit zu repräsentieren, jenseits von Politik und transreligiöser Moralität.

 

  • Ungeschaffenes und geschaffenes Sein

 

Daß die theologisch-philosophischen Fragen der analogia entis – wie sich ein unendliches (göttliches) Sein zu allem endlichen (menschlichen) Sein verhalte, ob jenes durch dieses denkbar und erkennbar sei oder nicht -, der vormodernen Welt und Menschheit entstammt, wird erstens schon daran ersichtlich, daß das unendliche Sein eines Gottes als unerschaffenes Sein, das endliche Sein des Menschen als geschaffenes Sein gedacht wurde. Mit einer Selbstverständlichkeit, deren selbstverständlich erscheinende Selbstbegründung noch heute beweist, daß das vormoderne Paradigma von den Zweifeln und Unsicherheiten des modernen Paradigmas noch nicht einmal angehaucht war.

Zweitens auch daran ersichtlich, daß der Begriff des Seins, der entweder univoq oder doch nur äquivok, wenigstens aber analog für das ungeschaffene wie für das geschaffene Sein sollte applizierbar und aussagbar sein, in allen vormodernen Philosophien bis hin zu den ontologisch-theologischen Systemen des Deutschen Idealismus durch alle fundamentalphilosophischen Grundbegriffe ersetzt werden konnte. Nicht nur das Sein, auch die Substanz und deren entelechiale Kausalität, auch die Freiheit und zuletzt und zuerst auch das Denken des Denkens konnten als Äquivalente eingesetzt, appliziert, ausgesagt und gedacht werden.

Allerdings zerbrach diese vormoderne Selbstverständlichkeit und Zuversicht bereits in den letztgenannten Systemen an der Unbeantwortbarkeit der Frage, wie das Schaffen eines Erschaffens (jenseits aller religiösen Vorstellungsweisen) zu denken und auszusagen wäre. Die Frage wurde als Frage beiseitegeschoben, weil Erschaffen (von Welt und Mensch)ein für Philosophie und Wissenschaft nicht anerkennungswürdiger Mischbegriff eines mythischen oder halbmythischen Denkens und Vorstellens sei. Auf die problematische Frage eines Anfangens durch Erschaffen konnten keine ontologischen und auch keine transzendentalen Antworten gegeben werden, und die wissenschaftlichen Antworten (etwa durch spezielle Evolutionen) setzten die (wissenschaftlich erwiesene) Unsinnigkeit von „Erschaffen“ schon voraus. Unsanft landete der vormoderne Geist, der in den Religionen noch am ehesten überlebt hatte, auf dem harten Boden der modernen Welt.

 

  •  Aristoteles‘ Hylemorphismus

 

Um in der Frage der analogia entis voranzukommen, schlossen sich die bedeutendsten Vertreter der theologisch-philosophischen Vormoderne des Mittelalters zunächst dem Hylemorphismus des Aristoteles an. Für alles Seiende mußte ein Verhältnis von Form und Materie als wirklich seiend vorausgesetzt sein. Wenn dies aber auch für alles endlich Seiende fraglos zutrifft, stand doch die Behauptung, daß es auch für das Sein des Seins zuträfe, unter argem Analogieverdacht.

Welches Verhältnis wurde vorgeschlagen? Das hylemorphistische als spezielle Art des analogen: ohne ein Verhältnis zur Form konnte die Materie nicht Grundlage des materiell Seienden und seiner Kausalitäten sein. Eine bestimmte Form des bestimmten materiellen Seins mußte demnach immer schon vorausliegen, wenn das materiell Seiende entstand (anfing) und sich durch eigene Kausalität fortsetzte.

Demnach sollte die Materie als Materie zur Form in einem („inneren“) Analogieverhältnis stehen. Aber dieser Aussage wurde dadurch widersprochen, daß die Form schon in der Materie in einem unentwickelten Zustand (status nascendi) präsent sein mußte. Also umgriff und durchgriff die Form immer schon die Materie, und jede bestimmte Form jede ihrer bestimmten Materien. Die aristotelische Entelechie taugte gerade nicht dazu, der gesuchten analogia entis Vorschub zu gewähren. Ein materiell Seiendes ohne Form ist ein Ding der realen Unmöglichkeit.

Sollte dieser Satz aber auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht gelten, entstand ein weiterer Widerspruch: Wenn das Erkennen des Seins (genetivus subjektivus) eine (nur) analoge Relation von Form und Materie enthält, steht der unbewegte Beweger Gott zu sich selbst, zu seinem Tun und Schaffen, zu seinem Formieren aller Materie und auch zu seinem Denken des Denkens in einem nur analogen Seinsverhältnis. Unter dieser Prämisse wären schon die Axiome des menschlich logischen Denkens (denen vernünftigerweise nicht kann widersprochen werden) unhaltbar, weil nicht als objektive Norm möglich.

Also doch keine vollständige Univozität zwischen göttlichem Sein und Denken einerseits, menschlichem Sein und Denken andererseits? Dies scheint die eigentliche Konsequenz einer aristotelischen Formmetaphysik und Formontologie zu sein. Woran angeknüpft wurde, das mußte wieder abgeworfen werden.

Beim materiell Seienden pflegte man von einer inneren Attributions-Analogie von Form und Materie sprechen, (modern: Affinitäts-Analogie)von einer qualitativen Analogie somit, weil sich für das gesuchte Verhältnis keine mathematische Analogie auffinden läßt, die als quantitative Proportion anerkennungsfähig wäre. Schon der Kreis ist in jeder seiner Erscheinungen als individueller Kreis nicht durch deren quantitative Unterschiede Kreis. In jedem seiner (beliebig differenten) Beispiele kehrt er durch seine identischen Qualität(en) und deren Proportionen „ewig“ in sich zurück.

Kein individueller Kreis hat ein nur analoges Verhältnis zum Kreis als Kreis, zum Kreis aller Kreise. Jeder ist vom Vater gezeugt und ihn bezeugend, – und aus der Mutter Raum geboren, könnte man mit einer analogisierenden Metapher abrunden, weil wir nunmal gern mit den unbegrenzten Analogien der Sprache spielen. Logisch könnte man trocken und fast technokratisch formulieren: an und in jedem individuellen Kreis begeht der allgemeine Kreis einen Kurzschluß: schneller als gedacht, ist er da und hat sich als Erscheinung manifestiert. Der geometrische Raum und dessen Selbstanschauungen leben.

 

  1. Thomas und Hegel im Duell

 

Wie aber nun beim höchsten Analogie- oder Identitätsverhältnis, das sich denken läßt? Für Thomas von Aquin ist ein Identitätsverhältnis ausgeschlossen: ungeschaffenes und geschaffenes Sein (und Denken) stehen in keiner quantifizierbaren Proportion. Die Formulierung von 1215 (Laterankonzil) redet zwar quantitativ, ist aber nicht quantitativ gemeint. Das an- und ausgesprochene Unendliche ist kein mathematisches, übrigens auch nicht das geometrische des in sich kreisenden Kreises. Weshalb sich zwischen dem Aquinaten und Hegel nur ein Duell, kein Konsens arrangieren läßt.

Daher bleibt auch die wohlwohlende Rede vom „Ebenbild Gottes“ im Ungefähr grenzenlos ausdehnbarer Vermutungen befangen, wenn sie als ontologische Rede reüssieren möchte.

Die Frage, ob Hegels Unendliches, das das Endliche in sich aufgehoben hat und nur durch diese Aufhebung als Unendliches figuriert, mehr ist als ein durch Negation des mathematisch Unendlichen gewonnenes spekulativ Unendliches, könnte noch erörterungsbedürftig werden. (Die grenzenlosen Grenzen der modernen Kosmologien hantieren im kategorialen Ungefähr.)

Ohne über das Nähere oder gar Innere der analogia entis nähere Auskunft geben zu können, hielt der Aquinate dennoch an ihr fest: Denn eine völlige Trennung der beiden – unendliches Sein und Erkennen Gottes dort, endliches Sein und Denken des Menschen hier – wäre nicht nur theologisch eine Vorwegnahme der künftigen „Kränkungen des modernen Menschen“ gewesen. Auch ist es evident, daß man von Analogie zwischen Getrennten nicht sprechen kann, wenn nicht gewisse „Teile“ der verglichenen Getrennten dennoch übereinstimmen – auch wenn man dies mit konkreten Begriffen kaum belegen kann.

Schon daß keine anderen Wesen als nur der Mensch Begriffe von Wesen und Wesenheit sich erkühnen auszudenken, legt den Verdacht nahe, daß auch Meister Ekkeharts Formel, „Mensch, werde wesentlich,“ ohne die aristotelische Bedeutung von Wesen (ousia) für Sein nicht möglich und nicht verständlich ist. Besteht aber zwischen höchstem und zweithöchstem Wesen eine formulierbare Gleichheit, besteht auch noch Hoffnung in aller Ungleichheit.

Die Lehre des Aquinaten rettet bekanntlich die Möglichkeit theologischer Aussagen über Gott, indem sie deren ontologische Grundlage analogisch bricht. Seinsaussagen über Gott sind demnach nur analogisch möglich, womit sich die Theologie des Christentums zwar einerseits von den unlösbaren Streitfragen über die Trinität löste, die in der spätantiken Welt zu Religionskriegen der christlichen Konfessionen führten, die mehr Todesopfer forderten als alle Christenverfolgungen durch das römische Imperium zusammen.[1]

Doch andererseits auch dem Einfluß und der Macht der jeweils führenden Kirchenoberen auslieferte, wie sich in der Vormoderne an den extrem entgegengesetzten Unfehlbarkeitsprämissen von Inquisition und Reformation zeigte, – in der Gegenwart der Moderne an der Beliebigkeit, in der fast alle theologischen Begriffe verschwunden sind.

Daß aber ontologische Theologien als analogisierende nicht als autonome theologische Wissenschaft(en) möglich sind, muß die kirchlich praktischen Theologien nicht weiter bekümmern, diese reden nicht vom und nicht zum Sein und Denken Gottes und des Menschen, sondern von der Erbarmungswürdigkeit beider: Gottes und des Menschen, denn das Eine ist nicht ohne das Andere.

Wenn aber Seinsaussagen über Gott nach der Lehre der analogen Theologie nicht als Aussagen über eine Seinsgattung unter dem Namen Gott möglich sind, weil Sein keine Gattung für das Seiende als (unermeßlich viele) Arten ist, erhebt sich die Frage, ob sich die analoge bzw. analogisierende Theologie mit der postulierenden praktischen Vernunft Kants deckt. Eine Frage, die klug philosophierende Theologen gewiß schon zu beantworten versuchten.

Nach Thomas ist das Sein in den verschiedenen Seienden verschieden, in sich selbst aber (esse ipsum) unverschieden. Ein solches unverschiedenes Sein kann daher auch nicht durch Negation in Bewegung versetzt werden, es kann nicht als werdende Bewegung von sich weg und zu sich selbst zurück gedacht werden. Der unbewegte Beweger des Aristoteles ist ein solcher von sich verschiedener Gott, das Werden, das ihm anhaftet oder angeheftet wird, reflektiert nur das Halbdunkel eines menschlich gedachten (obersten) Seins.

Nach der analogischen Theologie stürzt daher jede Ontologie, die sich als Ontotheologie versucht, in ihr Gegenteil ab: Der unbewegte Beweger trägt keine Ontotheologie, er ist nur eine schöne Metapher. Das Werden, als treibende Negativität in ein angeblich höchstes Sein aufgenommen, destruiert dasselbe zu einer nicht mehr belangbaren Form von Entwicklung, die entweder als pantheistische oder spekulative oder emanistische ihre Glaubwürdigkeit verliert. Ein ewiges Werden hätte zwar vielleicht Heraklits Segen, und unsere modernen Evolutionisten würden sogar mit Begeisterung zustimmen, aber wovon beim Sein Gottes die Rede sein soll, bleibt auf der Strecke, – eines Denkens, das sich verstiegen und verdacht hat.

Der Grenzbegriff eines Seins, der keine Hinzufügung eines bestimmenden Attributs zuläßt, weil er dadurch in einen Gattungsbegriff für Seiendes verwandelt wird, ist somit der Kern aller analogischen Theologie und jeder philosophischen Theologie, die in der Spur des Aquinaten bleibt. Seine berühmten Aussagen „Gott fällt nicht unter eine Gattung“ oder „Gott ist nicht das Sein als Form aller Dinge“ lassen freilich auch unbestimmt, wie schon angedeutet, welche praktische Theologie an die analogische anschließbar ist.

Und vor allem, ob und wie die Sätze der analogia fidei im Licht der analogia entis zu lesen sind, nachdem sie nicht im Licht einer ontologischen oder anderen (etwa historischen gar evolutionären) Vernunft zu interpretieren sind.

Eine bis heute ungeklärte und vielleicht niemals eindeutig beantwortbare Frage, wie sich im 20. Jahrhundert auch am Theologen-Streit um die analogia entis bei Erich Przywara (1889-1972) zeigte.

 

  1. Erich Przywara und Konstantin der Große

 

Dieser katholische Theologe hatte die analogia entis der analogia fidei vorgesetzt, woraus folgte, daß diese zwar nicht auf jener gründe, denn damit wäre aus der christlichen Offenbarungsreligion eine abgeleitete Vernunftreligion geworden. Aber alle zentralen Sätze des Christentums, die zunächst nur als biblische Sätze das Licht der Welt erblickt hatten, ehe sie durch denkbemühte Apostel, Kirchenväter und Theologen zu geoffenbarten Glaubenssätzen wurden, sollten unter der Präambel der analogen Vernunft zu verstehen sein.

Folglich eingegrenzt durch den vernunftbegründeten Vorbehalt, daß mit Glaubenssätzen kein absolutes Wissen, weder in Wort- noch in Satzform verknüpfbar ist. Womit auch Luthers sola scriptura unter vernünftigen Vorbehalt gestellt wurde. Am stürmischen Protest vor allem protestantischer Theologen (Karl Barth voran) wurde jedoch klar, daß diese Position, die eine denkende, wenn auch „nur“ analoge Vernunfttheologie in die christlichen Kirche einführen wollte, nicht oder noch nicht durchsetzbar war.

Neuerlich wurde daher die machthabende Theologie der aktuellen Konfessionen zur letzten Instanz erklärt, die über die sogenannten geoffenbarten Glaubenssätze urteilen dürfe. Nur daß diesmal, da wir nicht mehr am Anfang des Christentums stehen, die Fragen der Inkarnation zu keinen bürgerlichen Religionskriegen mehr führten. Ob und wie der Sohn mit dem Vater eins oder nicht eins oder beides zugleich sein könne, erregte nur noch die Diskurse der Theologen.

Przywara und seine Lehre erschienen wie späte, allzu spät gekommene Berater Konstantins des Großen. Dieser hatte, als der Trinitätsstreit der Theologen und Bischöfe seiner Zeit, trotz vieler Beratungen und Konzile, keine Lösung erbrachte und bald darauf zu religiösen Bürgerkriegen mit vielen Toten führte, eine zornige Intuition verkündet:

Wenn Menschen über göttliche Dinge streiten, die zu Fragen führen, die sich durch menschliche Vernunft nicht entscheiden lassen, sollten auch streitbare Theologen davon ablassen, bestreitbare Thesen und Gegenthesen aufzustellen. Sie sollten so klug und gütig sein und vor allem für ihre Gemeinden verantwortlich handeln, nicht etwas als vernünftige Glaubenswahrheit zu behaupten, wovon niemand wissen könne, ob es eine sei. Die Verkündigung wurde nicht gehört, das Machtstreben der Bischöfe obsiegte und führte in den Abgrund jahrhundertelanger Konfessionskriege.

Für uns scheint der Inhalt der Verkündigung Konstantins des Großen leicht verstehbar: nur als geglaubtes und vorgestelltes Geheimnis könne und werde das Innenleben der Trinität tradierbar sein. Nur als Analogien des Glaubens könnten die familiären Vorstellungen, die seit Anfang des Christentums an die Trinität herangebracht wurden, einen (analogen) Schein von Wahrheit repräsentieren. Die bischöfliche Vernunft sui generis konnte weder den ontologischen Status ihrer Trinitätstheologie klären, noch konnte sie als Vernunft sui generis ihre tödliche Gegenvernunft loswerden. Sie redete mit zwei Stimmen, mit gespaltener Zunge, mit zwei Vernünften. In einem opaken Jenseits der Vernunft sollte eine noch nicht offenbarte Vernunft zu entdecken sein. Wäre der Konzilsbeschluß von 1215 schon um 313 verbindlich gewesen, hätte Konstantin bei seinen Theologen gnädiges Gehör gefunden.

Leo Dorner, Mai 2018

 

 

 

[1] Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Band II. (Gedächtniszitat).