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69 Die größte aller (Wende-)Zeiten ist angebrochen

  1. Alles relativ im Haus der Zeit

Die Frage, ob die Zeit oder der die Zeit erfahrende Mensch einer relativistischen Zeitdilatation unterliegt, scheint eine Scheinfrage zu sein: Ist denn die Zeit unabhängig von Menschen, die sie erfahren oder als existent behaupten, überhaupt ein Etwas und nicht vielmehr ein reines und völliges Nichts? Behauptet wird die Existenz der Zeit gewöhnlich für ferne und fernste Zeiten, erfahren wird sie normalerweise durch Menschen, die ihre Gegenwart als ein Moment der Zeit erfahren.

In unserem Weltbild dürfen wir daher die Existenz der Zeit für jenen Zeitraum behaupten, der sich mit dem Urknall-Beginn unserer Welt – vor knapp 13 Milliarden Jahren – ereignet hat. Und von unserer Lebenszeit dürfen wir behaupten, daß sie sich nicht außerhalb der Zeit vollzieht bzw. vollzogen hat, nachdem wir „das Zeitliche gesegnet haben.“

Das Gesetz der Zeitdilatation besagt, daß Wesen, die die Existenz der Zeit behaupten, beobachten und messen, somit alle Menschen, die Zeit immer nur in Abhängigkeit von ihrem eigenen (menschlichen) Beobachtungsort und dessen Eigengeschwindigkeit behaupten, beobachten und messen können. Und in der Tat, Menschen, die vor zwei Millionen Jahren lebten, hätten nicht behaupten können, daß der Urknall vor exakt 12,8 Milliarden in die Weltzeit eintrat oder diese in Gang setzte, weil der Urknall diesen Menschen noch nicht als Ereignis bekannt war.

Und wenn die Stimmung in einem Fußballstadion im entscheidenden Finalspiel knapp vor Schluß immer noch unentschieden steht, pflegt die Zeit für die Anhänger der einen Partei quälend langsam, für die Partei der Gegnermannschaft unerträglich rasch zu verfließen.

Dennoch will uns das Gesetz der Zeitdilatation nur schwer in den Sinn. Ähnlich wie uns auch die Behauptung, daß sich die Erde um die Sonne bewege und nicht umgekehrt, obwohl wir das Umgekehrte tagtäglich vor unseren Augen erblicken, nur schwer und eigentlich gar nicht sinnengefällig wird.

Doch fordert die Zeitdilatation ein noch tieferes Umdenken und ein noch radikaleres Umverhalten des Menschen: Da sich in dieser Welt keine unbewegten Standorte finden lassen, von denen aus gesehen wir die Zeit unbewegt und frei von relativierenden Faktoren erleben und erfahren könnten, sondern immer nur von bewegten und sehr verschieden rasch bewegten Standorten aus, würden wir immer nur eine bald raschere, bald langsamere Zeit erleben, niemals aber eine konstant vergehende oder konstant entstehende Zeit, um von einer ruhenden Zeit, die keine wäre, ganz zu schweigen.

Auch diese These widerspricht unserer alltäglichen Erfahrung der Zeit und auch allen zeitlichen Behauptungen unserer Wissenschaften: 12,8 Milliarden Jahre seit Urknall werden als abgeschlossen vergangene Jahre behauptet. Eine exakte Anzahl von Jahren wird als nicht mehr veränderbare Anzahl von Jahren behauptet. Vergangensein ist vergangenes Sein.

Beim gestrigen Fußballspiel fiel das alles entscheidende Siegestor in der letzten Spielminute: Die Erinnerungszeit, die wir aufwenden, um dieses Ereignis zurückzurufen, mag eine völlige andere sein als die Erlebniszeit, die wir als Zuschauer des Spiels verbrachten, aber die verflossenen Zeitpunkte und Zeitstrecken von Spiel, Tor und Sieg lassen sich nicht mehr relativieren.

Das Gesetz der Dilatation der Zeit hält beharrlich dagegen: wissenschaftlich formuliert lautet seine Verkündigung: „Alle inneren Prozesse eines physikalischen Systems laufen relativ zu einem Beobachter langsamer ab, wenn sich dieses System relativ zu einem Beobachter bewegt.“ Sehen wir von dem Lapsus ab, daß nicht alle physischen Systeme dieser Welt auch „physikalische“ Systeme sind, bleibt noch die Kuriosität, daß es in dieser Welt nur physische Systeme geben soll können, die relativ zu Beobachtern „ablaufen“. Woraus aber folgen würde, daß kein menschlicher Beobachter jemals auch nur die geringste Chance hätte, die wahren Prozesse in den realen Systemen, deren wahre Richtungen und wahren Geschwindigkeiten jemals genau bestimmen, jemals genau messen zu können, oder auch nur relativ genau beobachten zu können.

  • Jupiter und Mondsichel

Manchmal – aber periodisch wiederkehrend – steht die Mondsichel dem Planeten Jupiter ziemlich nahe gegenüber: ein für alle himmelsbegeisterten Menschen faszinierendes Bild. Doch schon am nächsten Abend hat sich der große Gasplanet weiter vom Mond entfernt oder sich ihm angenähert. Aber angesichts dieser „himmelsmechanischen“ Veränderung nimmt kein vernünftiger Mensch und keine astronomische Wissenschaft an, diese Veränderung sei das Produkt unserer Beobachtungsposition. Obwohl wir sehr wohl wissen und unterscheiden können: die ziemlich kleinen Raumgrößen, die Jupiter und Mond vor und in unseren Augen einnehmen und ebenso die erstarrte Bewegungslosigkeit, in der sich beide zu befinden scheinen, schulden sich unserer großen Entfernung von den erblickten Himmelskörpern. Nicht aber die von uns angenommenen (und längst schon genau vermessenen und bestätigten) (Bahn-)Geschwindigkeiten von Jupiter und Mond.

Folglich erblicken wir die Geschwindigkeiten der beiden nicht unmittelbar (sie lassen sich nicht augenscheinlich wahrnehmen), sondern nur durch unser Wissen vermittelt, das uns darüber belehrt hat, daß und wie die Himmelskörper in einer permanenten (kontinuierlichen) Bewegung ihre Bahnen ziehen. Es ist ein Wissensblick, mit dem wir die „Himmelskugeln“ erblicken, und es ist weder der ptolemäische noch gar der mythische Wissensblick der antiken oder anderen archaischen Religionen, der uns orientiert.

Würden wir nun unseren astronomischen Wissensblick durch einen relativistischen ersetzen oder erweitern, müßten wir behaupten: es ist die Eigengeschwindigkeit unserer Beobachterposition auf dem Planeten Erde, die uns zwingt, bestimmte Entfernungen von und bestimmte Geschwindigkeiten für Mond und Jupiter anzunehmen. Und alle diese bestimmten Entfernungen und Geschwindigkeiten wären nur dadurch genau bestimmte und vermessene, weil sie in Relation zur Bahngeschwindigkeit und Planetenposition unser Erde stünden. Diese These ist entweder eine Tautologie oder eine kühne Behauptung.

Kühn, wenn sie unterstellt, kein Himmelskörper verfüge über eine autonome („freie“) Bewegung, Tautologie, weil die Bewegungen aller Himmelskörper nichts anderes wären, als ihre Relationen zu anderen Bewegungen. Die Kategorie „Eigenbewegung“ wäre eine Illusion, und daß die moderne Astronomie immer noch stolz darauf ist, die Eigenbewegungen aller Sonnen und sogar entferntester Galaxien exakt feststellen zu können, wäre ein weiterer Grund, die moderne Astronomie zu einer radikal relativistischen zu erweitern oder durch diese zu ersetzen.

  •  „Absolute Eigengeschwindigkeit“

 Nun ist aber die „Eigengeschwindigkeit“ der Erde, diesen Wortausdruck beim Wort genommen, eine tatsächlich mehrfache: Die Bahngeschwindigkeit (1.) der Erde liegt bei etwa 107 000 km /h, ihre Rotationsgeschwindigkeit (2.) liegt bei 1000 bis 1670 km/h, und die galaktische Bahngeschwindigkeit (3.) (die Erde partizipiert als Teil des Sonnensystems an der Rotationsgeschwindigkeit der Milchstraße) bei ungefähr 220 Kilometern, aber in der Sekunde. Fehlt noch die kosmische Bahngeschwindigkeit (4.) der Milchstraße, an der die Erde gleichfalls teilhaben muß, diese wird auf ungefähr 370 bis 630 Kilometer pro Sekunde berechnet je nach Positionierung unser Milchstraße in der „Lokalen Gruppe“.

Daß man angesichts dieser zwar begrenzten, aber doch respektablen Vielfalt an Geschwindigkeiten nicht von einer „absoluten Eigengeschwindigkeit“ der Erde reden kann, und daß keiner der Abermilliarden Himmelskörper über eine „absolute Eigengeschwindigkeit“ verfügt, ist unleugbar objektiv und wahr. – Wer oder was rät unseren Physikern, die sinnlose Kategorie „absolute Eigengeschwindigkeit“ in den Mund zu nehmen? Woher der Aberglaube, Himmelskörper könnten oder sollten als „absolut einzelne“, als frei herumlaufende „Einzelküken“ existenzfähig sein? Mit diesem Aberglauben hätten sie nicht einmal die Aufnahmeprüfung in die Taferlklasse der modernen Astronomie bestanden.

Existieren aber in diesem Kosmos keine falschen, sondern immer wahre als wirkliche Himmelsküken, sollte man, mit dieser ontologischen Einsicht im Gepäck, die erkannte Vielfalt von Eigengeschwindigkeiten richtigerweise als Relationismus, niemals als Relativismus begreifen und bezeichnen, schon weil die Eigenbewegungen einander weder anfänglich (ursprünglich) erzeugen noch einander vernichten.

Ein Relationismus, der keine naturwissenschaftliche Hypothese ist, die empirisch bestätigbar oder bestreitbar wäre, denn die Einholung der Bewegungsdaten von Abermilliarden Himmelskörpern würde uns an kein Ende führen, und dieses „Kein-Ende“ ist die Negation einer Limitation, der sich unsere Vernunft nicht entziehen kann, wie wir nicht erst durch Kants Kritik der reinen Vernunft wissen. (Folglich sind wir durch unsere Vernunft befähigt, in die Taferlklasse der modernen Astronomie aufgenommen zu werden.)

„Schluckt“ eine „sterbende Sonne“ einen ihrer mitsterbenden Planeten, wie kürzlich durch fotografische bzw. filmische Evidenz belegt (ZTF SLRN-2020), „gucken“ wir interessiert zu, wissen aber alles Weitere und Eigentliche schon durch apodiktisch beweisende Astronomie, nicht durch unser Zugucken bei einem Einzelereignis, das in der Perspektive des nominalistischen Hypothesen-Wissens der modernen Physik eine Ausnahme von der Regel und insofern ein „Wunder“ sein könnte.

  • Hypothesen und Apostel des Nominalismus

Um nochmals den unhaltbaren Nominalismus „im Keller“ der modernen Hypothesen-Physik und ihres „unfehlbaren“ Falsifikationsglaubens zu demonstrieren: Wenn uns ein relativistisch denkender Astrophysiker stolz und wie ein berufener Apostel mitteilt: es gäbe keine „absolute Eigengeschwindigkeit“, hat er offenbar nicht bedacht, was er unter „absolut“ zu denken gelernt hat. (Vermutlich liegt lediglich ein „vernichtendes Urteil“ über Newton voraus, der naiverweise noch an eine „absolute Zeit“ geglaubt habe, die dann mit Einstein glücklich begraben wurde.)

Wäre es möglich, daß im Universum „absolute Eigengeschwindigkeiten“ (sei es eines, sei es aller Himmelskörper) existierten, wäre es tatsächlich möglich, daß absolut Einzelnes existieren könnte. Diese Fiktionskategorie des philosophischen Nominalismus seit Occam, die ihre philosophische Widerlegung längst schon erfahren hat, läuft auf existierende Himmelskörper hinaus, die so einzigartig wären, daß sie keiner Art von Himmelskörper und somit auch keiner Gattung derselben angehören würden. Sie wären der Pegasus unter den Himmelskörpern, ein geflügelter Stern oder Planet, dem seinesgleichen niemals begegnen kann. (Diese Fiktion fand in der Ästhetik der modernen Kunst einen seinerzeit einflussreichen Philosophen als Fürsprecher: Auftrag der modernen Kunst sei, hatte Theodor W. Adorno verkündet, „Dinge zu schaffen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“)

Mit einem Wort: Im Universum begegnen uns allüberall „absolut bestimmte Eigengeschwindigkeiten“, die aber nicht „absolute“ im falschen Sinn des Nominalismus und seiner experimentellen Hypothesen, sondern „absolute“ im richtigen Sinn einer wohlfundierten kosmischen Natur sind.

Hat jeder Himmelskörper seine absolut bestimmte Eigengeschwindigkeit, besagt dies im Grunde dasselbe, was schon Leibniz (mit Platon und Aristoteles) wußte: jeder muß ein „unvergleichbares Individuum“ sein, eine Formel, die allerdings sogleich wieder die Gefahr des Nominalismus birgt. Denn die Unvergleichbarkeit betrifft nur das Individuelle des Individuums, nicht dessen Gegründetsein im System seiner Art von Himmelskörper. Gäbe es für den Vergleich von Individuen nochmals einen individuellen Vergleichsmaßstab, müßte dieser zugleich ein allgemeiner sein können, was unmöglich ist. (Wie auch in moderner Kunst die Hypothese eines „unvergleichlichen Personalstil“ nur die Kuratoren-Dummheit ist, die sich für eine erlösende Verkündigung hält.)

In der Himmelskörper-Frage hat uns die limitative Negation der Vernunft abermals eingeholt und eine wegweisende Vernunftgrenze aufgezeigt. Sie ist nicht eine Grenze unseres Denkens allein, ist existiert nicht nur „in unserem Kopf“ (so wäre sie wiederum nominalistisch, nichts als ein Generator für weitere Hypothesen), sondern sie regiert zugleich als Vernunft einer Welt, die als natürliche und nichtnatürliche existiert.

Sie allein konnte uns, nach Überwindung der mythischen Weltbilder, in denen Himmelskörper noch als mächtige Gottheiten verehrt wurden, auch darüber belehren, daß „Individuum“ in der Welt der Natur nicht dasselbe bedeutet wie in der Welt des (Menschen)Geistes. Von ihrer individuellen Unvergleichbarkeit mit ihren Abermilliarden Sonnenverwandten weiß unsere Sonne nichts, und wird auch niemals ein Jota davon wissen. Anders steht es um die Lage der Sonne(n) unter Menschen: Schon heute sind individuelle Spektren unzähliger Sonnen im – Astronomiebahnhof der Menschheit registriert und zur Dauerbeobachtung angemeldet.

  • Das Licht als Maß aller Geschwindigkeiten?

Aber wie wäre es mit dieser Hypothese: Vernunft (in und über dieser Welt) hätte – im Anfang der Welt – entschieden: Einzig dem Licht soll eine „absolute Geschwindigkeit“, – als schnellste aller möglichen -, zukommen. Und diese Entscheidung wäre nicht dezisionistisch, nicht zufällig und kontingent, sondern aus einsehbaren Vernunftgründen erfolgt. Nur eine Welt, in der der Schall niemals imstande sein wird, das Licht zu überholen, könne als bestandsfähige Welt (wenigstens für einige Milliarden Jahre) empirisch existenzfähig sein.

Lassen wir außerdem Tatsache beiseite, daß auch diese schnellste Geschwindigkeit aller möglichen insofern relativ ist, als sie die weniger schnellen der andern Materien und Leiter-Medien dieser Welt, (etwa Schall und Luft, nachdem die Hypothese eines Äthers das Zeitliche gesegnet hat), hinter sich lassen muß, wobei die dabei entstandenen Relationen ein erstaunliches Maß an regelhafter Gesetzlichkeit aufweisen.

So bleibt doch die Frage unbeantwortet stehen: was mag mit der Feststellung einer „absoluten Lichtgeschwindigkeit“ für unser Verhältnis zu den anderen Geschwindigkeiten der anderen Dinge und Materien dieser Welt gewonnen sein? Läßt sich die Lichtgeschwindigkeit als Bemessungskalkül oder gar als Grundmaß aller Relativgeschwindigkeiten dieser Welt(en), die wir schon als „absolute Eigenbestimmtheiten“ erkannt haben, nachweisen?

Dies scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, deren Falsifikation bzw. Verifikation wir nicht erst abwarten müssen, weil die Schnelligkeit des Lichtes in Relation zu den Schnelligkeiten unser Himmelskörper zum größten Teil gleichsam außer Konkurrenz durch die Welt läuft. Irgendein Licht war immer schon da, selbst wenn eine rotverschobene Galaxie über den fiktiven (hypothetisch unterstellen) Rand des Universums hinaus in noch unbeobachtete Entfernungen entweicht. Diese Aussteiger-Galaxie hätte ihr Licht immer schon als kosmischen Igel vorausgeschickt, um mögliche Beobachter im Inneren ihrer Galaxie als staunende Hasen zu düpieren. Fazit: Die Lichtgeschwindigkeit taugt nicht als Grundmaß aller Eigengeschwindigkeiten dieser Welt(en). Und als Bemessungskalkül taugt sie nur für mathematische Gleichungen und deren algebraische Spiel-Künste.

  • Reale und ideale Nullpunkte

Wenn aber nicht durch eine falsche Verallgemeinerung der Lichtgeschwindigkeit, woher kommt dann die Konstruktion einer absoluten Geschwindigkeit im Denken der modernen (Astro-) Physik? – Versuchen wir diese Konstruktion zu rekonstruieren: In bewegten Mehrkörpersystemen (und unser Sonnensystem ist ohne Zweifel ein geradezu prototypisches Mehrkörpersystem) existiert kein erkennbarer Nullpunkt, von dem aus und auf den hin man die Bewegungen der Systemteilnehmer „absolut“ messen könnte. Folglich muß man beispielsweise im Sonnensystem einen immanenten Bezugspunkt wählen, etwa das gravitative Baryzentrum des Sonnensystems. Ohne Zweifel läßt dieses Auswahlverfahren die mathematische Schlagseite des astrophysikalischen Denkens erkennen.

Der gewählte Punkt, soll ein System-Nullpunkt sein, aber wirkliche Nullpunkte existieren allein in geometrischen und arithmetischen Systemen, allen anderen (körperlich und materiell existierenden) Systemen, von Planetensystemen bis zu Fußballfeldern, müssen sie äußerlich „aufgedrungen“ werden, früher mit Lineal und Bleistift, mit Senkblei und Schnur, heute durch eine der vielen Arten der Trigonometrie, deren digitale Erfolge speziell in der „Raumfahrt“ der Menschheit mit großem Erfolg exzellieren.

Unsere Teleskope sind mit angewandter Geometrie und Arithmetik gefüllt, weshalb wir auch fähig wurden, jeden Punkt in unserem System, potentiell aber auch in anderen (Sonnen- und Galaxien-) Systemen anzusteuern, sei es zu theoretischen Beobachtungszwecken, sei es zu praktischen Sondierungs- und Landungszwecken mittels Raumschiffen oder Sonden.

Wenn wir in unserem Nachbarsystem von Proxima Centauri (ein real existierendes Mehrfachsternsystem) einen real existieren sollenden Mittelpunkt als Nullbasis für Entfernungs- und Geschwindigkeitsberechnungen festlegen, simulieren wir ein „fremdgesteuertes“ Interesse: Wir tun so, als ob es für einen fiktiven Centauri-Bewohner (Einsteins „rein physikalisch“ existierender Beobachter) wichtig wäre, genau zu wissen, wo der wahre Mittelpunkt „seiner“ Welt liegt.

Wenn wir aber bei den Jupitermonden den Jupiter, bei unserm Mond unsere Erde als „Nullpunkt“-Bezugspunkt wählen, trotz aller wirklichen und vermeintlichen „Relativitäten“, die diese Setzungen als bloße Projektion unwissender Alltags-Astronomen desavouieren, haben wir eine Grenze von Physik und Astronomie erreicht: Beide können nicht erkennen und daher auch nicht wissen und nicht einmal eine vernünftige Antwort-Hypothese für die Frage entwerfen: Warum die Erde ein auserwählt ruhender Beobachtungsort und die Vernunft des Menschen eine auserwählte ruhende Beobachterin ist. Könnten Physik und Astrophysik diese Fragen beantworten, wären sie Physik und Astrophysik nicht mehr.

Daß aber für uns Menschen (immerhin „wirkliche Beobachter und Astronomen“) die Relationsgeschwindigkeiten der Himmelskörper vor allem in Relation zur Erde wichtig sind, als wäre unser Planet der eigentliche oder doch ein überaus bemerkenswerter „Nullpunkt“ unter allen Planeten und geradezu der zentrale Beobachtungsmittelpunkt des ganzen Universums, ist keine unerlaubte oder vorwissenschaftliche oder gar unastronomische Mystifikation und „Selbstbeweihräucherung“, sondern eine absolute (!) Bedingung wirklich möglicher Astronomie.

Und überdies eine überlebensnotwendige Bedingung im Kampf der Menschheit gegen unfreundlich gesinnte Asteroiden, die stets wieder die Bahn unserer Erde zu belästigen versuchen. In den einschlägigen astrophysikalischen Lexika hat man dafür einen „diplomatischen“ Ausdruck aus der unterhaltungsgeeichten Autodrom-Szene gefunden: „Kollisionsgeschwindigkeiten“ nennt man die Relationsgeschwindigkeiten ungezählter Asteroiden, wohl wissend, daß uns Diplomatie nicht helfen wird, wenn wir eines Tages versuchen müßten, das Schicksal der Dinosaurier von uns abzuwenden. Nur punktgenaue Schläge, die keinerlei „Relativität“ zulassen, sind gefragt und gesucht.

Warum aber ein auserwählt ruhender Beobachtungsort und eine auserwählt ruhende Beobachterin? Naturphilosophie, die diese These vertritt, kann doch nicht leugnen, was sie nur durch das exakte Wissen der modernen Naturwissenschaften wissen kann: Unruhe und Bewegung wohin man blickt, Vielfalt an Geschwindigkeiten sonder Zahl, Prozesse des Erschaffens und Vernichtens ohne Ende.  – Ruhe? Nirgendwo und nirgends.

  • Auf Hawaii

Auf Hawaii hat sich vor Kurzem der Vulkan Kilauea wieder einmal übergeben. Nach einer dreimonatigen Pause, die kein Bewohner der Inselgruppe für die Einkehr einer dauerhaften Ruhe hält. Hawaii ist ein Hotspot der Erdkruste, gleichsam ein Dauerabonnent vulkanischer Eruptionen. Aber zugleich auch ein astronomischer Ruheort für einige der wichtigsten Observatorien der Menschheit (Mauna-Kea). Auch die dort amtierenden Astronomen wissen, daß sie einen „Hotspot“ bewohnen, der zu den unruhigsten Orten dieser Erde zählt: chronische Vulkanausbrüche zu erleiden, ist Hawaiis Existenzkrankheit und sein Lebenselixier zugleich.

Und als Angehörige ihres wissenschaftlichen Weltbildes wissen sie auch, mit welcher Eigengeschwindigkeit die Erdoberfläche rotiert und die Gesamterde um die Sonne „fliegt.“ Dennoch erblicken sie in naher Ferne gemächlich vor sich hinfließende Lavaströme, dann wieder eine aus dem Erdmantel aufschießende Feuersäule. Noch gemächlicher gibt sich das Meer, jene Partien des pazifischen Ozeans, die sich auf Hawaii in den menschlichen Blick nehmen lassen. Auch der Sternenhimmel läßt sich, besonders in den nächtlichen Stunden, auf Hawaii in einen menschlichen Blick nehmen, der an prachtvoller Ruhe nichts zu wünschen übrig läßt. Mit Begeisterung berichten Astronomen von diesem Anblick, als hätten sie Kants „Der gestirnte Himmel über mir“ als religiöse Botschaft in bleibender Erinnerung.

Stammt diese Begeisterung von einem bösen Geist, der die Astronomen mit ihrem wissenschaftlichen Gewissen in einen unlösbaren Konflikt bringt? Sie wissen doch, was (Welt) Sache ist und erblicken dennoch über sich einen vollkommen ruhigen Himmel mit vollkommen ruhenden Sternen und sogar relativ ruhenden Planeten, deren Bewegung mit „freien Augen“ kaum wahrnehmbar ist. Und erscheint dennoch ein Sternenregen, glauben sie nicht mehr, daß es sich um Zeus handelt, der in seiner obersten Weltkammer vergnügliche Schießübungen ausführt, sie erkennen „Sternschnuppen“ und wissen über deren Kausalität bis aufs letzte statische I-Tüpfelchen Bescheid.

Mit einem Wort, sie haben den falschen Wahrnehmungs-Schein unserer sehenden Augen durchschaut, aber nach Einstein noch nicht den falschen Gleichzeitigkeits-Schein unseres Denkens über den Himmel über uns und seine vielbewegten Galaxien, Sonnen und Planeten. In der Tat setzen sie eine gegenwärtige Gegenwart (!) einer Jetztzeit voraus, wenn sie uns mit bewundernswerter Exaktheit vom Alter der Galaxien und Sterne, ebenso von deren Eigengeschwindigkeiten und sogar von deren vorhersehbaren Finalzuständen nach ihrer erfolgreichen Aufblähung zu Roten Riesen oder ihren Supernova-Explosionen Richtung Schwarzes Loch berichten.

Und wie schon erwähnt könnte auch Andromeda nicht auf dem Weg zu unserer Galaxie unterwegs sein, wäre sie nicht in der realen Vergangenheit einer gegenwärtigen Gegenwart gestartet.

  • Jetztzeit als gegenwärtige Gegenwart und Descartes‘ „maligner Gott“

Diese Zeit ist offenbar keine transzendentale Fiktion metaphysiksüchtiger Philosophen, sondern eine transzendentale Realität, der sich nicht nur die „Himmelsgesetze“ und Messungen unserer Astronomen, sondern letztlich auch die moderne Uhrzeit und deren planetarische Herkunft verdanken.

Denn der Mensch muß von aller rasenden Bewegung, und auch von allen Orten, an denen die Sucht nach Geschwindigkeitsräuschen und deren Betäubung regiert, frei sein, er muß in vollkommener Ruhe und Klarheit dasein, um behaupten zu können: ein Umlauf der Erde um ihre Sonne soll für uns als Zeitmaß eines vollständigen Tages gelten.

Auch wollten wir diesen Tag noch weiterhin in kleine und kleinste Sekundeneinheiten unterteilen, um uns endlich eine exakt beherrschbare Zeit untertänig machen und an die Wand hängen oder auf unseren Arm legen zu können. Und mit diesen rationalen Zaubermitteln würden wir auch fähig sein, die Zeiten und Räume des Universums zu vermessen.

Zur Errichtung von historisch befähigten Annalen der Menschheit reichen diese Mittel bekanntlich nicht aus, denn bis heute lassen Juden, Christen, Moslems und andere Religionen das Zählwerk ihrer Weltzeit-Annalen aus einem zusätzlichen und religiösen Ursprung (sui generis) entspringen.

Würden sich unsere wahrhaft „astronomischen“ Entfernungs- und Geschwindigkeitsangaben nicht auf eine ruhende Jetztzeit in unserem wissenschaftlichen Beobachten der kosmischen Welt gründen, wären sie Schall und Rauch, willkürliche Erfindungen, instabile Konstrukte von Wissenschaften, die uns zum Narren halten könnten. Sie sind aber exakte Angaben, und wir haben keinen Grund an ihnen zu zweifeln.

Daher ist auch kein „maligner Gott“, den Descartes noch aus religiösen Gründen für unmöglich hielt, als Urheber böswilliger und heimtückischer Täuschungen zugegen, wenn uns mitten in einer unendlich vielfältig bewegten Welt eine daseiende Ruhe umfängt, die unserem Verstand und unserer Vernunft ermöglichen, eine rational organisierte Welt zu erkennen. Irrational organisiert wäre hingegen eine „total relativistische“ Welt, weil in dieser alle verständigen und vernünftigen Weltgrundlagen „verschmolzen“ wären,- in dieser Gast sein zu wollen, kann sich kein vernünftiger Mensch wünschen.

Diese Vernunftmauer gegen die totale Relativierung, (deren Vernunftfundament auch die Konstanz von Einsteins bekannten Energiegleichungen bestätigt), begründet übrigens auch, daß wir weder befähigt noch befugt sind, mit astronomischen Millionen- oder Milliarden-Jahren, noch weniger mit Lichtjahren eine neue Weltgeschichte-Gesamtzeit im Sinne der historischen Annalen der Menschheit zu errichten.

Von kosmologisch denkenden Astrophysikern, die den „Urknall“, den sie mehrheitlich als wissenschaftlich bewiesene Tatsache betrachten, als Beginn aller Zeit und Zeitenzählung ansetzen möchten, wurde bisher noch nichts vernommen.

Zwar haben wir schon oft gehört, daß die Menschheit ursprünglich nur aus Sonnenstaub entstanden sein kann. Eine längst schon „wissenschaftlich bewiesene“ Botschaft, der seit einigen Dezennien allerdings die selbsternannten „Gottesteilchen“ der Quantenphysik entweder Konkurrenz oder Sekundanz machen. Auch ist uns der biowissenschaftliche Kult um Gene und Gehirne als Ersatzgottheiten noch unvergessen vertraut, um von den Primaten der Evolutionstheorie, die hinter Adam und Eva Pate standen, um dem Alten Testament ein biblisches Altväterspiel mit Brudermord und Inzest zu erlauben, zu schweigen.

Nicht schweigen läßt sich vom Glauben Karl Marx‘ angesichts aktueller Renaissancen seiner originellen Auffassung der Menschheitsgeschichte, wonach diese mit dem ersten Klassenkampf begann, der versuchte, die ungerechte Eigentumsverteilung unter Menschen erstmals zu überwinden. Eine jedenfalls metaphysisch amüsante („linkshegelianische“) Neudeutung der Geschichte von Kain und Abel.

  • Metaphysische Hinterwäldler und wahre Wissenschaftler im Trubel der großen Wendezeit

Doch um auf die Behauptung von einem ruhenden Beobachtungsort namens Erde und einer ruhenden Beobachterin namens Vernunft zurückzukommen: In den Augen der modernen Wissenschaften kann diese These nur ein abergläubischer Ausfluss einer wenig amüsanten metaphysischen Deutung von Welt und Menschheit sein. Metaphysische Hinterwäldler seien obskurantistisch am Werk, um alles rückgängig zu machen, wodurch moderne Physik und Biologie eine neue Wirklichkeit von Welt und Menschheit offenbart haben.

Darauf ist zu antworten: eine verbindliche Weltzeit und Astronomie wird sich die Menschheit allerdings nicht mehr nehmen lassen. Anders als in den Maßen und Messungen von Raum und Gewichten, herrscht bezüglich der Zeit und ihrer Maße und Messungen sogar zwischen dem angelsächsischen und europäischen Kulturraum der Konsens einer gemeinsamen Terminologie und Skalierung. Die Zeit scheint dem Raum und der Schwere auch in dieser Hinsicht an praktischer Bedeutung überlegen zu sein.

Aber in einem wissenschaftlichen Zeitalter, das ohne Vernunft und Philosophie aus – und durchzukommen versucht, müssen noch ganz andere und noch gewichtigere Fragen strittig werden. Bisher glaubte man in der abendländisch christlichen Kultur mit unbelehrbarer religiöser Verbissenheit an die Existenz von nur zwei Geschlechtern. Nun aber sind neue Humanwissenschaften erschienen, die uns eines (viel) Besseren belehren und uns ersuchen, den Aufbruch in völlig neue Menschheit nicht mehr blockieren.

Bisher an eine Sprache, deren verbindliche Allgemeinheit auch für die Allgemeinheit von Vernunftaussagen mündiger Menschen unersetzlich sei und daher nicht für Geschlechterkämpfe mißbraucht werden dürfe, soll sie nicht eines Tages als verbindliches Verständigungsmedium einer gemeinsamen Kultur das Zeitliche segnen.

Bisher an ein Klima des Planeten Erde, das von unübersehbar vielen Faktoren – terrestrischen und kosmischen – abhänge, in die weder selbsternannte Wissenschaftsmächte noch mitläufernde politische und religiöse Mächte „nachhaltig“: ein vermeintlich selbstverschuldetes Schicksal abwendend, eingreifen können.

Bisher an die Existenz von Staaten und Staatenbünde, die für die Sicherung ihrer Grenzen verantwortlich sind und nicht als Steigbügel eines noch nicht vorhandenen Weltstaates dienen dürfen, sollen sie nicht eines Tages in Anarchie und Unregierbarkeit abstürzen.

Bisher glaubte man auch an eine auktoriale und individuelle Schöpferkraft des Menschen, die sich nicht von einer programmierten „Intelligenz“ programmierender Computeringenieure abhängig machen dürfe, um nicht Opfer und Sklave einer neuen Unmündigkeit zu werden.

Obwohl man sie schon nicht mehr hören konnte, Kants Mahnung „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, glaubte man doch noch daran –  irgendwie und irgendwo. Vielleicht, weil Kant nicht vergaß, auch das Wesen der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu definieren – als „das Unvermögen sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Dem Denker von 1784 erschien es jedenfalls noch besser und „sinnvoller“, ein frei denkender als ein unfrei „abdenkender“ Mensch zu sein.

Allerdings würde auch einem Kant von 2023 nicht entgehen, daß der Menschheit soeben ein neuer Verstand zuwächst. Der alte wußte noch nichts von den Möglichkeiten und Drangsalen des neuen Verstandes. Dieser muß nun erstmals mit unübersehbar großen Mengen an Dateninformationen leben, denken und handeln. Mit der Sammlung, Verwaltung und Anwendung dieses Datenhimmels läßt sich direkt und unmittelbar nur noch „rechnen“, – mittels „Rechnern“, die der Mensch bereits durch den Namen „Künstliche Intelligenz“ geadelt und zu sich oder auch weit über sich hinaus erhoben hat.

Leo Dorner, Juni 2023