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44 Völkerwanderung nach Europa

VÖLKERWANDERUNG NACH EUROPA

1.

Besorgte Europäer stellen auf ihren digitalen Foren die bange Frage, ob und wie man die „Völkerwanderung aus Afrika und Asien nach Europa noch stoppen könnte.“ 1 Ob die Zeitungen und TV-Sender Europas diese Frage als Titel eines Print-Textes oder einer Talk-Show zulassen würden, ist fraglich. Denn eine Mehrzahl der Redaktionen würde vermutlich nicht eine „bange“, sondern eine gefährliche und falsche und daher „unmögliche Frage“ erkennen, die man schleunigst unter jenen dicken Teppich kehren sollte, unter dem bereits viele ähnliche Fragen auf spätere Behandlung oder endgültiges Vergessen warten.

Wenn in der säkularen Welt des Westens gewisse Fragen tabuisiert werden, und das Tabu wird befolgt, als wäre ein Verbot durch politische und juridische Institutionen erlassen worden, kann dies nur bedeuten, daß die demokratisch verfaßten Gesellschaften Europas eine unangenehme Diskussion befürchten. Vermutlich bereits über die unvermeidlich mitklingende Begleitfrage, ob die verbannte Tabufrage wichtig oder unwichtig, schicksalshaft oder doch nur herbeigeredet sei.

Man kennt das Problem aus dem Schicksal von Familien, unter deren Mitgliedern eine unlösbare Entzweiungsfrage offen oder verborgen lodert. Um „des lieben Friedens willen“ ist man bereit, Dauerdiskussionen, die vorhandene Entzweiungen nur verstärken und vertiefen würden, zu vermeiden. Jeder drohende Streit wird vermieden oder vertagt, jede Entscheidung so lange wie möglich hinausgeschoben.

2.

Könnte die Frage, ob die seit 2015 ermöglichte Völkerwanderung nach Europa noch aufzuhalten ist, eine Frage von Belang und Schicksal für Europa und vor allem für den Fortbestand der EU sein? Gleichgültig, ob man diese Frage mit Ja oder Nein beantwortet, auffällig bleibt, daß ein Kontinent, der seine heutige Kultur dem Geist von Aufklärung und Vernunft, von Freiheit und Demokratie verdankt, keine Generaldebatte (auf allen Ebenen von „Diskurs“) über sein eigenes künftiges Schicksal zuzulassen scheint.

Oder trügt dieser Schein, und die Auseinandersetzung findet längst statt, sogar mit einer Vehemenz und Unvermeidlichkeit, die in den meisten Staaten der EU und Europas zu labilen Parteien- und Regierungskonstellationen geführt hat? Zur Polarisierung zwischen Links- und Rechtspopulisten, in deren Mitte die vor Kurzem noch dominierenden Volksparteien mehr und mehr erodieren? Und um diesen Prozeß einer flächendeckend durch Europa rasenden Verunsicherung nicht weiter anzufachen, ist man bereit, den Schleier der Tabus über jede Frage zu werfen, die sich als Schicksalsfrage erweisen könnte? Fürchtet man, in Europa und innerhalb der EU einen unlösbaren Familienstreit auszulösen, – mit verhängnisvollen Konsequenzen für die Zukunft des Kontinents?

Aber wer oder was ist das „Man“ Europas? Eine müßige Frage, wenn soeben richtig festgestellt wurde, daß ein Prozeß der Polarisierung den ganzen europäischen Kontinent, den EU-internen wie auch den EU-externen, erfaßt hat. Nicht ein Man undnicht ein Europa, sondern zumindest zwei wären daher zu berücksichtigen, wenn die fragliche Völkerwanderung nach Europa realitätsgerecht erörtert werden soll. Droht Europa das Schicksal eines unlösbaren Familienstreits?

Diese Frage unter Tabu zu stellen, ist für die Kultur Europas nicht nur entehrend, es ist letztlich auch sinnlos und unmöglich, ebenso unmöglich, wie ein Verbot der Frage, welches „Man“ welchen Europas aus welchen konkreten Gründen gewisse Tabus über gewisse oder ungewisse Schicksalsfragen zur Zukunft Europas durchzusetzen versucht. Schicksalsfragen verbieten und unter Tabu stellen, ist jedenfalls solange unmöglich, als das freie Fragen und Antworten noch nicht aus der modernen Kultur Europas verschwunden ist.

3.

Gedankenfreiheit ist die Grundlage jener Art von Aufklärung, die im Namen von Vernunft, Freiheit und Demokratie fragt und antwortet. Daran im Europa von heute zu erinnern, ist weder herbeigeholt noch unwesentlich, weil noch im Europa von vor 1990 eine andere Art von Aufklärung halb Europa den Marsch geblasen hat. Zu den festen Doktrinen der kommunistischen Ideologie zählte ihr Glaube, die erste Aufklärung Europas durch eine zweite und bessere überboten zu haben.

Ein Glaube, der noch heute das „man“ nicht weniger Europäer an den Marterpfahl einer Erinnerungskultur fesselt, die ihre Opfer mit dem Versprechen einer diesseitigen Erlösung von den Übeln der modernen Welt verblendet. Und dies, obwohl der Kommunismus, in Deutschland erdacht, in Rußland vollstreckt, als Weltkommunismus eine beklagenswert katastrophale Bilanz hinterlassen hat. Eine Bilanz, die nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, daß dieser Familienstreit ein (vorläufiges?) Ende finden konnte.

Sollte sich der neue Familienstreit Europas an der Völkerwanderungsfrage entzünden oder in ihr kulminieren, wäre auch dieser Streit zwei verschiedenen Konzepten von Aufklärung, die einander ausschließen, geschuldet. Wie die kommunistische Aufklärung Europa demolierte und mit Gewalt in zwei Teile trennte, ist bekannt. Ob eine neue Aufklärung mit ihrer Interpretation der Völkerwanderungsfrage diesem Schicksal entgehen könnte, ist noch ungewiß.

Gewiß ist jedoch bereits heute, daß die neue, nunmehr globalistische und hyperliberalistische Aufklärung in den Grundfesten Europas einen Grabenbruch bewirkt hat, der zu radikal entgegengesetzten Begriffen von Vernunft, Freiheit und Demokratie geführt hat. Als könnten zwei oder mehrere Grundbegriffe von Vernunft, Freiheit und auch Demokratie einen für Europa und die ganze Welt und Menschheit begehbaren Weg in die Zukunft gewährleisten.

4.

Dieser Befund erstaunt, weil er doch das Prachtstück der Aufklärung, die Universalität der Menschenrechte, in Abrede zu stellen scheint. In deren Perspektive stellt sich die Völkerwanderungsfrage bekanntlich ganz anders dar als in der Perspektive jener Europäer, die fragen, ob man die Völkerwanderung noch stoppen könnte.

Als Aufforderung nämlich zu einer Mission und Vision eines neuen Europas samt neuer EU, die das historische Glück hätten, Partner einer großartigen Win-Win-Situation zu werden. Die möglicherweise begonnene Völkerwanderung nach Europa sei als „globales“ Erfolgsprojekt zu gestalten. Und zwar im Namen einer höheren „Gerechtigkeit“, die erlaube und nötige, vorhandenes (nationales und internationales) Recht jederzeit zu brechen, und wenn es sein muß durch die Macht von Gerichten, die auch vor einer europäischen Richterdemokratie als heiliges Mittel für den neuen heiligen Zweck nicht zurückschrecken.

Die höhere Gerechtigkeit, meist im Namen von totaler und globaler Gleichheit angerufen, ist das Zentrum der neuesten Aufklärung. Im Kern des gordischen Knotens, an dem die neue Aufklärung knüpft, ertönt ein bisher unbekannter Orakelspruch: alle Minderheiten sollen mehrheitstauglich sein und sind dementsprechend zu achten und zu behandeln. Zwar war die Demokratie immer schon ein vergängliches Projekt, aber die neue Vergänglichkeit scheint ganz anderer Art zu sein.

Deren globalistisches Zentralargument fordert ultimativ: Menschenrechte, die noch nicht für alle und jeden Ort der Welt durchgesetzt sind, sind noch keine wirklichen Menschenrechte. Gleiches Recht auf gleiche Rechte für jedermann und jedefrau: Diese Botschaft vernehmen auch die Kirchen gerne, um ihr neues Projekt einer Weltkirche, in der sich irgendwie alle Religionen friedlich nebeneinander einfinden sollen, zukunftsfähig zu machen. (Wie auch Nietzsche wußte: was aus Liebe gehandelt wird, das geschieht jenseits von Gut und Böse.)

5.

Gelingt, was gelingen soll, trage Europa nicht nur seine Schuld aus Kolonialzeiten endlich ab, auch werde eine völlig neuartige „Kolonialisierung“ der außereuropäischen Kulturen durch Integration aller Fluchtreisenden in die westliche Kultur einen großartigen Aufschwung in Afrika und Asien ermöglichen. Denn bereichert durch westliches Wissen und Können, durch totale Toleranz und „Offenheit für alles Fremde“ werden die Heimkehrer in die Zweite und Dritte Welt deren Rückstand gegen die Erste Welt vollständig beseitigen. – Womit sich, last not least, auch die leidigen „Fluchtursachen“ der aktuellen Völkerwanderung verflüchtigen sollten.

Ohne auf die Widersprüche dieser Argumentation näher einzugehen, – sie genießt besonders in Deutschland hohen politischen Kredit -, sei nochmals festgestellt, daß über die politische und kollektive Tragfähigkeit neuer Konzepte von Aufklärung und Vernunft allein deren Zukunft, somit deren Zukunftsfähigkeit entscheidet. Noch heute lehrt die Doktrin einiger (weniger) Staaten und nicht weniger (linker) Parteien, daß die Zukunft der kommunistischen Aufklärung noch gar nicht in der Geschichte der Menschheit angekommen sei.

6.

Jene, die eine in ihrer Sicht bedrohliche Völkerwanderung nach Europa aufzuhalten versuchen, erscheinen in der Sicht ihrer Gegner, die überzeugt sind, die fortgeschrittenste Version der europäischen Aufklärung zu repräsentieren, lediglich als letzte – „nachgelassene“ – Version der europäischen Gegenaufklärung. Diese setze nur den früheren Antimodernismus der Kirchen und die restaurative Ideologie der monarchischen Systeme des 19. Jahrhunderts fort. Ideologien und Systeme, von denen sich das moderne Europa längst verabschiedet habe, nachdem seit 1989 auch der Irrweg des Kommunismus verlassen wurde.

Folglich sei die politische Avantgarde Europas berufen, die aktuelle Völkerwanderung als gerechte Erhebung der bisher ungerecht behandelten Menschheit zu erkennen. Nur noch die letzte Gegenaufklärung möchte Europa „abschotten“, die wahre Aufklärung möchte Europa für alle Welt öffnen. Das letzte Banner jener versammelt alle rückwärtsgewandten „Rechtspopulisten“, die linksgrüne Avantgarde der letzten Aufklärer hingegen feiert sich als endgültige Befreierin einer erschöpften Kultur eines altgewordenen Kontinents. Nur noch „das Fremde und Andere“ kann Europa erneuern und verjüngen.

Jene sehen mit großer Sorge auf eine Zukunft, die Europas Staaten und Regionen auf den Substandard der Dritten Welt absenken könnte. Diese sind überzeugt, daß im Zentrum der kommenden neuen Welt jeglicher „Eurozentrismus“ obsolet geworden sein wird. (Übersehen oder ignorieren sie den Widerspruch, daß sie neuerlich mit Ideen des Westens, mit Prinzipien der Ersten Welt die ganze Welt missionieren und zu neuem Glück führen möchten?)

7.

Lediglich in den Eskapismen des Privaten, der Künste und der Religionen ist eine Mitte möglich, die aber als apolitisch gleichgütige nur am Rande erwähnenswert wäre, wenn sie sich nicht stets wieder anmaßte, im Namen einer „höheren Politik“ Botschaften, Visionen und Verheißungen zu verkünden.

Auch in der aktuellen Völkerwanderungsfrage werde schlußendlich doch das „Menschliche“ der Menschheit siegen; noch das Ende jedes Imperiums sei letztlich durch eine Völkerwanderung besiegelt worden. Diese „höhere Mitte“, die gefahrlos über aller Geschichte schwebt, darf ihre Hände in Unschuld waschen. Verdichtet sich die Vorstellung von „biblischen Völkerwanderungen“ zum theologischen Argument speziell italienischer Kardinäle, wonach das kolossale „Biblische“ abermals begonnen habe, die Menschheit zu beglücken, ist auch das Todesurteil über die moderne Staatenwelt: „Gott kennt keine Ausländer“, mit allerhöchstem Segen verkündbar.

Was folgt in der realen Welt der gegenwärtigen Geschichte aus diesen höchst gutgemeinten Sprüchen? Nichts weiter als eine Wiederbegegnung mit einer vulgärhistorischen Deutung: Völkerwanderungen sind periodisch wiederkehrende Naturereignisse, gegen die ohnehin kein politisches Kraut gewachsen ist. Dieses Denken über die Zukunft Europas und der Welt kann nicht irren.

8.

Ist in der Völkerwanderungs-Frage zwischen den visionären („globalistischen“) Erneuern Europas und ihren Kontrahenten, den nüchternen Sachwaltern eines sich bewahrenden Europas ein politischer Mittelweg möglich? Eine tragische Frage, auf die uns die aktuelle Geschichte, jene, die wir als Heutige einsehen können, ein tragisches Nein als Antwort erteilt. Demnach wird sich die nächste und übernächste Zukunft Europas unter düsteren Wolken, unruhig und unfriedlich gestalten.

Daß Europa auf die Ereignisse des Jahres 2015 kaum hinreichend vorbereitet war, dürfte zwischen den – naturgemäß verfeindeten – Kontrahenten in der Völkerwanderungsfrage der einzige Punkt sein, in dem sie übereinstimmen. Egal ob sie das Jahr 2015 für Europa als Beginn einer katastrophalen oder einer glorreichen Entwicklung deuten. Augenscheinlichster Beweis ist die Tatsache, daß das Chaos in „Migration und Integration“ bis heute fortdauert und beide Kontrahenten gezwungen sind, – naturgemäß nach ihren eigenen Vorstellungen von Ziel, Mitteln und Wegen – neue Wege zu einer durchsetzbaren Kontrollmacht über die chaotische Entwicklung zu finden. Die finster leuchtenden Fanale auf den Inseln Griechenlands und der unkontrollierbaren „Balkanroute“ sind bei Weitem nicht die einzigen, die verhängnisvolle Alarmsignale nach Europa senden.

Vor 2015, als das Schicksal Europas noch an vergleichsweise idyllischen Gestaden ruhte, schien seine Zukunft gesichert: der grenzenlosen Freiheit innerhalb des sogenannten „Schengenraumes“ drohte keine Gefahr, ein sogenanntes „Dublin-Abkommen“ genügte, um allfällige Migranten in den südlichen und östlichen Grenzstaaten von Schengenland anzuhalten, zu prüfen und in aller Ruhe nach geltenden Gesetzen über deren Asylanträge zu entscheiden. Mehr schien zum Schutz der EU-Außengrenzen weder nötig noch möglich.

9.

Soweit das Traumdenken und Traumplanen der neuen (globalistischen) Gründerväter, die für das neue Europa Verträge ausdachten und unterschrieben, deren Tinte noch kaum trocken war, als auch die Inhalte ihrer Anordnungen schal und hinfällig geworden waren. Heute, vier Jahre nach 2015 weiß auch der letzte Uneinsichtige, daß „Dublin“ gescheitert und „Schengen“ gefährdet ist.

Gestern meldete das Innenministerium Deutschlands, es sei optimistisch, ein neues europäisches Asylrecht gemeinsam mit verbündeten EU-Ländern auf den Weg bringen zu können. Doch ebenfalls noch gestern meldete die oberste Stimme Tschechiens zurück: für Tschechien sei diese Frage und Diskussion seit 2018 definitiv beendet. – Was tun, um ein neues EU-Asylsystem, das das Chaos im Dschungel von „Migration und Integration“ beenden könnte, „auf den Weg zu bringen?“ (Die blumige Rhetorik seiner EU-Oberen ist jedem EU-Bürger seit Jahren vertraut; was je nach Parteienzugehörigkeit entweder neue Hoffnung oder neue Skepsis und Verzweiflung erweckt. „Nur gemeinsam“ wurde Legende.)

Lohnt es sich, die Vorschläge Deutschlands (Seehofer „federführend“) im Detail anzusehen? Vielleicht. „Dublin“ soll durch einen neuen „Pakt für Migration und Asyl“ abgelöst werden. Dieser existiert zwar vorerst nur als „non-paper“, das lediglich „food for thought“ biete. Aber eine Koalition der Willigen, vier oder fünf oder vielleicht auch mehr von den 27 verbliebenen EU-Staaten stünde für Gespräche bereit.

Die Chance auf ein „Momentum“, das „man“ nützen müsse, bestehe, erklären die neuen Kommissare, eine Schwedin und ein Grieche. Die EU wolle „ein Zeichen für einen Neuanfang setzen.“

10.

EU-Kommission und EU-Innenministerrat arbeiteten hart daran, wird der internationalen Presse mitgeteilt, „schon“ bis März kommenden Jahres soll der neue Plan in EU-Paragraphen gegossen sein. Die Zeit drängt, aber die Mühlen des intereuropäischen EU-Regierens mahlen langsam. Ein halbes Jahr ist für die obersten „Entscheider“ eine kurze Zeit, für Migranten und deren „Helfer“ eine lange Zeit.

Auch sie beobachten die neuen Beschlüsse, um rechtzeitig neue Wege und Routen, neue Strategien und Finten zu finden, – nur die Hartnäckigen belohnt das Abenteuer mit erfolgreicher Zielankunft. Und sei es auch, um ein Überleben unter erbärmlichen Umständen organisieren und ertragen zu müssen. Eine Art von „Krieg“ grassiert, und folgerichtig spricht man beim neuen Plan von einer „Entlastung für die Frontstaaten.“ Was genau soll das neue „Momentum“ beenden?

Soll die „ungeregelte Migration“ durch eine „gerechtere Verteilung“ in eine „geregelte Migration“ verwandelt werden? Auf die ungeregelte würde demnach die geregelte Migration folgen. Pointiert gefragt: Statt XX-Millionen würden nur mehr X-Millionen „gerechter verteilt“? Aber warum von Millionen reden, wenn alljährlich doch nur von Tausenden oder Hunderttausenden berichtet wird?

Weil das Hochrechnen von Anfangssummen in Europa nicht mehr erlaubt ist? Weil man fürchtet, was allerdings zu fürchten ist, wenn man nicht zu den No-Border-Unterstützern der Völkerwanderung nach Europa zählt?, – unbewältigbare und unregierbare Zustände in Neu-Europa?(Als die Dogmen der „Wir schaffen das“ – Lehre verkündet wurden, lautete die oberste Parole: 500 Millionen Europäer können doch „ganz leicht“ eine Million „Flüchtlinge“ aufnehmen und integrieren. Durch wie viele Jahre, blieb offen.)

11.

Aber es gibt noch einen anderen Grund, der Verdacht erregt und Furcht berechtigt: Die jeweils existierende EU kann die allermeisten ihrer jeweils neuen Abkommen vulgo Verträge, die auf jeweils aktuelle Anläße reagieren, immer nur befristet ansetzen. Die künftige Geschichte Europas wird aber nicht allein durch „mittelfristige“ Abkommen bestimmt, sie wird nach dem Maß eines oder auch mehrerer Jahrhunderte bestimmt, – sofern Europa nach dem 21. Jahrhundert noch als erkennbare Einheit bestehen sollte. Das Hochrechnen von Tausenden auf Millionen ist kein fiktives Problem. Es entscheidet über die Zukunft Europas.  

Nächstes und dringliches Ziel des gesuchten neuen Migrations-Asyl-Abkommens: Die jetzigen Frontstaaten der Massenmigration nach Europa sollen entlastet werden. Seitdem ihnen nicht mehr gestattet wird, die Angelandeten und Angekommenen einfach Richtung Zentraleuropa „durchzuwinken“, beklagen sie unhaltbare Zustände in unhaltbaren Lagern. Es sei ihnen unmöglich, und dies seit 2015 ununterbrochen: den Verpflichtungen von „Dublin“ nachzukommen.

Daraus läßt sich aus der wankenden Tradition der EU-Abkommen schließen: das Nachfolgeabkommen des unumkehrbar gescheiterten von „Dublin“ wird eher nicht den Namen „Dublin II“ tragen; „München I“ ist wahrscheinlicher, auch „Seehofer I“ wäre möglich. Noch der politische Untergang Europas kann dazu dienen, die Eitelkeit europäischer Minister, die in die Geschichte einzugehen wünschen, mit Hoffnung und Zuversicht zu erfüllen. Mag der Patient Europa die fortwährenden Notoperationen an Leib und Seele auch nicht überleben, das gute Gedächtnis der bestwilligsten Operateure wird bleiben. (Zwar kann uns der Friedensnobelpreis Obamas „gestohlen bleiben“, dem unsterblichen Träger selbst haftet sein Preis für immer und ewig an.)

12.

Aus drei Elementen bestehe der Entwurf des neuen Abkommens. Diese Elemente waren zwar schon bisher bekannt, doch seinerzeit wurden sie voneinander getrennt angesetzt, weshalb sie „nicht einmal ansatzweise zustimmungsfähig“ waren. Vermutlich ein Versehen, das auf das Schuldkonto des oft nebelverhangenen Dublins geht.

Doch nun – ziemlich lange nach 2015, die Geschichte belehrt auch unaufmerksame Schüler – ist die entscheidende Wende gekommen: Das Neue des neuen Vertrages sei eine „untrennbare Verknüpfung dieser Elemente.“ Warum sollen Zauberer nicht aus drei toten Hasen einen lebendigen herbeizaubern können?

„Nur kurz“ soll nun an der EU-Außengrenze eine Art Vorprüfung derer erfolgen, die einen Asylantrag für die Reise in die Zentralstaaten Europas, voran Deutschland, wie zu vermuten steht, beabsichtigen. Unter „EU-Außengrenze“ werden stets nur Griechenland und Italien genannt, offenbar unter der Annahme, daß Spaniens Sonderverträge mit seinen afrikanischen Nachbarstaaten wenigstens in dieser Ecke seiner Außengrenzen für eine „Entlastung“ von EU und Europa sorgen. (Warum die maghrebinische Route meistens vergessen oder unterschlagen wird, wäre noch zu klären.)

13.

Ist die Prüfung erfolgreich absolviert, folgt das eigentliche Novum des neuen Abkommens: Jenen, die bestanden haben, weil sie nachweisen konnten, erstens asylberechtigt und zweitens keine Gefahr für die „Sicherheit“ im Aufnahmeland (und hoffentlich auch ganz Europas) zu sein, wird ein Aufnahme-Land zugewiesen. Nach Plan A, – dem einige Folgepläne ganz offen widersprechen – in einem unter allen Staaten der EU. Wer „alle“ sind, ist bekanntlich ungewiß, weil einige von allen schon seit langem erklären, sie möchten am deutschen Wesen nicht schon wieder genesen. Gegen diesen Unwillen, ihre völkerwanderungsfeindliche Grundhaltung ausheilen zu lassen, drohen deutsche „Qualitätsjournalisten“ bereits mit einem „Ende der deutschen Engelsgeduld.“ (FAZ 3. Dezember 2019, S. 8)

Es ist verständlich, daß die EU die Kontrolle über eine geregelte Verteilung aller potentiellen Asylberechtigten wiedergewinnen möchte. Nicht länger sollen „schlechte Bilder“ von Chaos und Verelendung auf der Balkanroute und in der sogenannten Binnenmigration zwischen Italien und Frankreich sowie Frankreich und England, um nur diese Beispiele zu nennen, in den Medien erscheinen.

14.

Nochmals: Der offizielle Grund des neuen Abkommens lautet: die beiden südeuropäischen Frontstaaten hätten eine ultimative Überforderung gemeldet: Sie möchten nicht mehr nur bei „außergewöhnlichen Anstürmen“ von Migranten entlastet werden, sondern „grundsätzlich.“ Ein kryptisches Wort einer kryptischen Kategorie, die einer „schlechten“ Vermutung Tür und Tor öffnet: Kehrt das Durchwinken wieder, doch nun als geregelter und gewöhnlicher Durchlauf? Was Ansturm war, ist nur noch Routine?

Und unter den neuen Prinzipien des neuen Migrations-Abkommens, die nur die alten Prinzipien des gescheiterten Dublin-Abkommens in neuem Wortgewand zu sein scheinen, wären „Frieden und Ordnung“ an den Außengrenzen der EU erreichbar? Jenseits oder diesseits von fragwürdigen Merkel-Erdogan-Deals? Jenseits oder diesseits aller Aktivitäten einschlägiger NGO-Aktivisten? Milchmädchenrechnungen dieser hanebüchenen Art erschüttern stets nur weiter und tiefer das Vertrauen in eine EU, die nun schon seit Jahren das Mantra verkündet, mittels neu aufzustellender „Frontex“-Einheiten die „EU-Außengrenzen besser schützen zu wollen.“

15.

Die deutschen Masterminds des neuen Abkommens räumen allerdings ein: um das neue Abkommen realistisch durchführen zu können, bedürfe es einer noch anderen „grundsätzlichen“ Maßnahme: Eine neue, erst noch zu schaffende „europäische Asylagentur für Migration“ müsse diesmal mit „umfassenderen Rechten“ ausgestattet werden, um erfolgreich registrieren, prüfen und zuweisen, „gegebenenfalls“ auch abweisen zu können. Das Denken in grundsätzlichen Grundsätzen war immer schon ein Anliegen des leitungswilligsten unter den europäischen Völkern.

Das Prüfungsverfahren könnte auch in einer „geschlossenen Einrichtung“ stattfinden. Ist dieses offenbar (noch) erlaubte Wort mehr als ein Versuchsballon der neuen Behörde, um zu prüfen, ob es für korrekt befunden werden könnte? Bisher schien zu gelten: alle Worte (sogar noch „Häuser, Hotels, Kasernen“ usf.) wären erlaubt und möglich, wenn sie nur nicht an das heilig-stupid ausgegrenzte „Lager“ anstoßen. Denn dieses anstößige Wort erzeugt in Deutschland sofort Assoziationen, die zwar neuerdings zur „Identität Deutschlands“ zählen, aber eben ebendeshalb nicht nach EU-Europa exportiert werden sollen.

(Ein durch gleichgeschaltetes Denken nicht mehr freies Sprechen verrät sich auf Schritt und Tritt. Das neu zu schaffende EU-Volk muß noch viel und lange lernen, um das richtige EU-Esperanto zu sprechen. Erst dann wird es die Kunst beherrschen, innerhalb der Grenzen seiner neuen Sprache richtig zu denken.)

16.

Auch „geschlossene Einrichtung“ dürfte bald fraglich werden, wenn nämlich die Nähe zu „Irrenhaus“ und ähnlichen Einrichtungsworten der Heilkunst für Geisteskranke auffällig wird. Die bereits korrekt denkenden Avantgarden der neuen hyperliberalen Heilslehre haben diesbezüglich in ihren Zirkeln längst vorgesorgt: Es gibt keine „Irrenhäuser“ mehr, es gibt nur noch Anstalten für Menschen mit besonderer Begabung. (Sind alle Minderheiten politisch inkludiert, ist keine mehr exkludiert: Dieses Dogma klingt wie das Echo eines früheren: Haben alle Proletarier das Kapital mit „gleicher Gerechtigkeit“ unter sich verteilt, ist jeder sein eigener König, Bürger und Künstler. Das Schreckwort „Kapital“ wurde auf ewig entsorgt.)

In dieser ausweglosen Zwangslage: alte Worte sind unmöglich geworden, neue sind grundsätzlich verdächtig, hilft der gute alte „Flughafen.“ Geschickt mit dem ebenso neutralen „Verfahren“ zu „Flughafenverfahren“ gekoppelt, hat er überdies den Vorteil, in Deutschland bereits als gängige Praxis organisiert zu sein. Dank deutscher Gründlichkeit sind Denken, Reden und Handeln wieder eins geworden.

17.

Die    reale Zwangslage auf dem Balkan hat es schwer, gegen diesen ablenkenden und verharmlosenden Krieg der Worte anzukommen. Derzeit (Dezember 2019) „hausen“ oder vagabundieren ungefähr 100 000 Migranten verschiedener Religionen, aber nicht feststellbarer Personal-Identität, Richtung Norden. Autobusse, deren Herkunft „unklar“ ist, wie EU-konforme Investigativ-Journalisten von heute berichten, fahren sie an abseits gelegene Regionen an den Grenzen Ungarns und Kroatiens heran.

Wenn sie den stacheldrahtbewehrten Grenzzaun überwunden oder durch selbstgegrabene Tunnels unterwunden haben, folgt auf dieses Erfolgserlebnis allerdings kein symmetrisches auf der Seite der Grenzschutzorgane in Ungarn und Kroatien. Da der neue Typ von „Flüchtling“ (auch „globaler Migrant“ – in der Perspektive von UNO und VATIKAN) sich seiner Personaldokumente rechtzeitig entledigt hat, genügt sein Zuruf „Asyl“ und sein Hinweis, er sei aus einem der vielen Ländern mit einschlägigen „Fluchtursachen“ gekommen, um ein „ordentliches“ Prüfungsverfahren durch magische Worte mit magnetischen Wirkungen einzuleiten.

18.

Doch an diesem Punkt ist die reale „Zwangslage“ von heute – wohl nicht nur auf dem Balkan, dort aber konzentriert, am Gipfel ihrer Ausweglosigkeit angekommen. Was auch getan wird, es ist falsch getan: Durchwinken nach Norden und Westen geht nicht mehr, sofortige Rückführung in die „Herkunftsländer“ ebenfalls nicht, denn diese „Gewaltmaßnahme“ würde die Verhaftung der illegal Eingedrungen voraussetzen, was gegen geltendes EU-Recht verstieße.

Ist aber Durchwinken so illegal wie Rückführen, bleibt nur noch Notwehr und List: „Transitlager“ lautet das neue Zauberwort, der den ausweglosen Ausweg eröffnet, aus diesen Lagern, die keine sein dürfen, doch noch einmal rückzuführen. Obwohl alle Beteiligten sehenden Auges wissen: die Rückgeführten werden nur rückgeführt, um demnächst ihr nächstes Grenzabenteuer zu starten – unter „menschenunwürdigen Umständen“, wie das ferne Brüssel-Europa „entsetzt“ feststellt. (Der Brandstifter heult angesichts des verheerenden Feuers Krokodilstränen, ohne daran zu ersticken.)

19.

Wie weit und tief die organisierte Schleppermafia auf dem Balkan involviert ist, ob zusammen mit oder „nur“ parallel neben der Mithilfe von NGO-Aktivisten, möchten die Journalisten von heute nicht erst genauer untersuchen. Noch vor wenigen Jahren eine Frage, die für jeden wahren Investigativ-Journalismus in Europa, der noch nicht verurteilt war, unter der Knute der selbstverschuldeten Unmündigkeit als Rudeljournalismus von Infotag zu Infotag dahinzuvegetieren, ein erfüllendes Abenteuer gewesen wäre. Wenn wir heute die Signalmeldung „Hintergründe völlig unklar“ vernehmen, wissen wir: Der zeitgemäße Journalismus zieht dem „Untersuchen“ der Wahrheit das „Untertauchen“ unter die „politisch“ erlaubte Meinung vor. Vorauseilender Gehorsam, eine deutsche Urtugend, missioniert das neue EU-Europa.

In den Transit-Lagern des Balkans bleiben illegale Migranten Asylanten in spe, doch zugleich werden sie von den pakt-unwilligen Balkan-Staaten als nicht geduldete Ausländer eingestuft: nationales Recht kollidiert mit globalem EU-Recht. Die glücklich Unglücklichen, vom nahen Magnet „magisch“ angezogen, befinden sich bereits in einem Schengenland des EU-Paradieses, und dann diese Enttäuschung: böse Mächte im Osten Europas (neue Tyrannen) trüben das gute Klima des lustigen oder gleichgültigen Westens in Europa. Nun müssen die vorerst „Gestrandeten“, in die Tiefen des südlicheren Balkans zurückgeschoben, einen neuen Versuch unternehmen. Mafia und Helfer-Bataillone stehen bereit.

20.

Kommentar eines deutschen Starkomikers dazu: „Das ist zum Schämen.“ (Komiker machen neuerdings quer durch Europa immer öfter politische Quer-Einsteiger-Karriere. Besonders in Deutschland ist komisches Sich-Totlachen sehr beliebt. Das ehemalige Land der Dichter und Denker dürfte die höchste Komikerdichte Europas beherbergen.)

Der Promi-Witzbold meinte selbstverständlich, es sei zum Schämen, daß nicht alle Europäer dem vorbildlichen Beispiel von Merkel-Deutschland folgen. Eine mahnende Drohung, die eine kaum versteckte Kritik am aktuellen Stand des Wir-schaffen-das-Dogmas durchhören ließ: Kann Deutschland das nötige Durchwinken Hunderttausender ins europäische Mutterland der Migration nicht mehr durchsetzen? Weder in der EU noch mithilfe der UNO, noch weniger in den restverbliebenen Nationalstaaten Europas? Muß Deutschland den Balkan neuerlich besetzen, diesmal mit kirchen- und komikerunterstützen NGO-Bataillonen?

21.

Zurück zu Dublin II. – Das neue, wiederum für ganz Europa gültige Verfahren (Kurze Vorprüfung in den Frontstaaten vor gerechter Verteilung in den europäischen Binnenstaaten) habe zuerst zu klären, ob ein Schutzanspruch auf Asyl überhaupt „hinreichend wahrscheinlich“ ist.

Nun existiert möglicherweise eine EU-Website, die dem EU-Bürger von heute, der gern einer von morgen geworden wäre, paragraphengenau über den Unterschied von ‚hinreichend‘ und ‚nichthinreichend‘ aufklärt. Falls nichtexistent, müßte ein verbesserter Hinreichenden-Unterschied nach dem Scheitern des jetzigen nachgereicht werden, – spätestens nach dem Scheitern von Dublin II oder Seehofer I. Politische Kategorien sind grundsätzlich fallibel (offen für Irrtum und Täuschung), dies unterscheidet sie von philosophischen und wissenschaftlichen Kategorien. 2

Überhaupt zieren viele Konjunktive das „non-paper-Papier“, – die neue Speise muß erst noch gekocht werden, auch aus einem politischen Non wird nicht über Nacht ein entschiedenes Sic, das wenigstens einer Minderheit in der obersten EU-Etage einleuchten könnte.

22.

Das zweite Kriterium des neuen Vorprüfungsverfahrens fordert, daß der zur Einreise entschlossenen Person rechtliche Unbescholtenheit zuerkannt wird. Sie darf nicht als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ verdächtig sein. Und da die neue Behörde „rechtlich umfassender“ agieren soll als die alte, darf man annehmen, daß sie mittlerweile über genauere und besser vernetzte Dateien verfügt als die der vielen altgewordenen Behörden von Dublin I.

Dennoch gilt moralische Neutralität auch für die neuen Behörden, – fern sei ihnen der (böse) Gedanke, unter den Migranten könnten sich Verbrecher oder gar – horribile dictu – Terroristen alias Jihadisten – eingereiht haben, um zu versuchen, nach Europa zu gelangen. Aber Neutralität schützt vor Naivität nicht: An den Nasenspitzen der Migranten, die Kontrollpunkt Punkt 1 und 2 passiert haben, läßt sich nicht ablesen, ob sie Groß- oder Kleinverbrechen, heilige oder unheilige Taten im Schilde führen.

Sind aber beide Migranten, die friedliebenden wie auch die durchgeschlüpften und unentdeckten Scheinmigranten einmal in das europäische Paradies der Menschenrechte gelangt, haben sie gleicherweise Anspruch auf Asyl oder doch auf „geschützten Aufenthalt.“ Befunden und attestiert von Richtern der obersten EU-Gerichtshöfe, die über die aktuelle Entwicklung der Menschrechte genau Bescheid wissen. Denn in ihren Herkunftsländern hätten straffällig gewesene oder künftig in Europa noch werdende, keinerlei Anspruch auf menschengerechte Behandlung.

23.

Womit Punkt 2 des Vorprüfungsverfahrens offenbar nicht so ernst gemeint war, wie die Denker des neuen Abkommens zunächst ausgedacht hatten. Europa gönnt auch immigrierenden Verbrechern und Jihadisten die Chance auf ungeahnte Aufstiege.

(Auf diese glänzende Idee waren die alten Trojaner noch nicht gekommen. Hätten sie den Haudegen um Achilles Asyl und wohlwollenden Aufenthalt gewährt, aller Zorn der Götter wäre ihnen erspart geblieben. Die alten Haudegen des Trojanischen Pferdes mußten noch kämpfen, um Troja zu besiegen, die heutigen werden gebeten, das Pferd des drohenden Unheils über die Sicherheitsstiege zu verlassen.

Die moderne Analogie zum europäischen Experiment ist näherliegender: die „Amis“ sind wie ahnungslose antike Haudegen in den Irak und den Nahen Osten eingefallen, die klugen „Europis“ versuchen das genaue Gegenteil. Die neuen Götter der modernen Welt, mag diese nun aus den Fugen oder nicht aus den Fugen sein, mögen über das künftige Schicksal Europas entscheiden.)

Wäre es möglich, daß das neue Abkommen (Dublin II oder Seehofer I) den bisher besonders in Deutschland „umstrittenen“ Unterschied zwischen Wirtschafts- und wirklichen Flüchtlingen übersehen hat? Das wollen gelernte EU-Europäer vermutlich nicht einmal vermuten müssen.

24.

Hat unser Mustermigrant beide Kontrollbarrieren seiner Vorprüfung an der EU-Außengrenze passiert, wird er als moderner Odysseus seiner globalen Fluchtreise in einen „anderen EU-Staat“ überstellt, „menschlicher“ formuliert: einem anderen EU-Land „zugeteilt.“ Dies muß notwendigerweise ein europäischer Binnenstaat sein, weil die Frontstaaten, so die Absicht des neuen Abkommens, „grundsätzlich“ zu entlasten sind. Doch folgt als Klausel zum zuzuweisenden Staat, ein verdächtig verschämter Konjunktivsatz: „Das kann ein Land sein, in dem nahe Angehörige leben.“

Wie lange Seehofers diplomatische No-Paper-Mannen und -Frauen an dieser Formulierung gebastelt haben, um jede politische Inkorrektheit zu vermeiden, ist unbekannt. „Angehörige“ finden sich jederzeit und überall, – wo liegt das Problem? Wurde keines gefunden, ist jeder Satz erlaubt, der nicht verboten wurde.

25.

Dennoch wurde der Sprengsatz dieses Satz nicht tief genug vergraben. Denn jeder EU-Europäer weiß oder sollte wenigsten annäherungsweise ahnen, wie viele „Angehörige“ es mittlerweile schon geschafft haben, nicht nur in das Land des „Wir schaffen das,“ – nach Deutschland mittlerweile bereits via „Flughafenverfahren“. Abermals erhebt sich der Verdacht, das neue EU-Abkommen an den „EU-Außengrenzen“ plane insgeheim die Nachführung unbestimmbar vieler „Angehörigen“-Migranten. Mit einem Wort: geregeltes und kontrolliertes Durchwinken, schon weil „sich 2015 nicht wiederholen soll.“

Daß Angehörige und Nicht-Angehörige in der großen Schar der Migranten, die nach Europa strömen, mit denen, die nicht mehr strömen müssen, weil sie entweder Asyl erhalten haben oder wenn nicht, entweder auf ihre medial „umkämpfte“ Abschiebung warten oder als „U-Boote“ untergetaucht sind, in permanenter Verbindung stehen, sollte evident sein.

Das globale Digitalnetz zwischen denen, die es schon geschafft haben, mit denen, die es noch schaffen sollen, ist dicht geflochten. An der weltumspannenden Macht des digitalen Zaubergerätes für globale Kommunikation wird sich im 21. Jahrhundert, trotz klimatischem Weltuntergang, nichts mehr ändern.

26.

Sollten sich aber unter den Muster-Migranten ausnahmsweise doch einige Nichtangehörige befinden, die in ihren europäischen Zielländern keine Angehörigen haben, hat das neue Abkommen bereits vorgesorgt. Es könnte sich um Waisenkinder oder andere „Total-Singles“ handeln, die schon ihren heimatlichen Stammes-Gesellschaften, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu nahe kommen durften. Ein „Zufallsgenerator“ wird für sie ein „passendes“ Land auswählen und zuteilen. Doch dieser nach „künstlicher Intelligenz“ klingende Begriff wird noch unter Anführungszeichen gesetzt, als sei der Sanctus oberster Gerichtshöfe noch einzuholen. Hinter „Zufall“ könnten sich einige Gerechtigkeitslücken verstecken, sie könnten mit der EU-Menschenrechte-Gerechtigkeit unvereinbar sein.

Gelangt nun der eine „unbegleitete Jugendliche“ etwa in die Speckgürtel um Hamburg und Berlin, ein anderer aber, möglicherweise sein Freund, der ihn auf der gemeinsamen „Flucht“ begleitet hat, in die Magergürtel um Städte in Bulgarien oder Rumänien, dürfen sich die Schlepperbanden in den europäischen Mager-Staaten auf erhöhten Umsatz freuen. Und in den Rechtsberaterbüros der EU-NGOs tut sich ein neues Feld für Migrations-Studien und Hilfeleistungen auf.

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Mit der Erfüllung des neuen Punkteprogramm sei nun der „entscheidende Punkt“ gewonnen, berichten deutsche Journalisten, – in der interessanten Globalisierungs-Angelegenheit „Migration“ bekanntlich äußerst unvoreingenommene Beobachter und Ausdeuter. Nämlich: daß sich Migranten „nicht mehr aussuchen können, wohin sie gehen.“ Deutschgründlich gedacht: Ordnung muß sein, wo kämen wir hin, wenn sich jeder aussuchen könnte, wohin er gehen will? Noch  hintergründiger gedacht, wie schon erwähnt: „Deutschland möchte sich nicht mehr in Engelsgeduld üben.“

Besonders deutsche Migrationsexperten lieben Forschungsprogramme, die die Migration nach Europa als nur einen von vielen Migrationsfällen in der heutigen Welt untersuchen, vergleichen und vergleichend beurteilen. Vermutlich auch deshalb, weil es unter diesem globalen Aspekt leichter fällt, die baldige Wiederherstellung des „objektiven“ Sicherheitsgefühls in den Städten und an den Grenzen Deutschlands vorherzusagen. Daher der optimistische Ton und Duktus ihrer Forschungsresultate, ganz im Gegensatz zu den katastrophal betrüblichen, die den langjährigen Statistiken über sterbende Gletscher und überfließende Meere zu entnehmen sind.

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Daher kaum verhaltener Jubel der einen, ebenso kaum verhaltenes Entsetzen der anderen: korrekt gute und inkorrekt böse Journalisten sind schon an der Nasenspitze ihrer ersten Sätze erkennbar. Diese möchten immer noch an einen mehr als nur „besseren“ Schutz der „EU-Außengrenzen“ glauben, jene haben erkannt: So viele Millionen Zuwanderer können kein Irrtum sein. Die Wiederauferstehung Europas als verjüngter Neukontinent könnte schon um 2050 gefeiert werden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands von 1989/1990 eine globale Steigerung von „Wiedervereinigung“ auf dem richtigen Weg zur Endrettung und Endvereinigung der ganzen Welt.

Zuerst will aber Afrika als bessere Hälfte Europas geheiratet sein. Doch ist Unfriede in der neukolonialen Ehe und Familie vorhersehbar: Millionen aus Asien und dem Nahen Osten wollen gleichfalls bedient und nicht verraten sein, von den „Flüchtlingen“ aus den abtrünnigen ehemaligen Sowjetstaaten nicht zu reden, obwohl oder weil deren Zurückgebliebene (Angehörige und Nicht-Angehörige) neuerdings wieder russische Staatsbürgerschaften empfangen. Heim ins russische Großreich dort, fort ins europäische Globalreich hier. Manchen Tschetschenen bleibt keine Wahl.

29.

In welche Abgründe welcher Polarisierungen der deutsche Mitläufer-Journalismus mittlerweile das öffentlich Meinen in Deutschland abgeführt hat, ist bekannt. Europa weiß schon heute, wie es bis 2050 die ganze Welt vorm Klimatod, ansonsten unvermeidlich, retten wird, aber die Vorschläge des No-Paper-Embryos für ein neues Asyl- und Migrationsabkommens für das künftige Europa, sind entweder rührend naiv oder von berechnender Hinterlist. Oder beides, falls immer noch die Weisheit eines alten Satzes altgewordener Großväter gilt: Dummheit und Stolz wachsen auf demselben Holz.

Doch das neue Modell werde nur funktionieren, wird mit zweckpessimistischer Vorwarnung zugestanden, „wenn die Mitgliedstaaten genügend Plätze anbieten.“ Eine Mitteilung, die erneut Verdacht erweckt: denn das beschwichtigende Gute-Note-Wort „genügend“ ist entweder bezogen auf einen spontanen oder einen jährlichen oder einen immerwährenden (zumindest bis zum Jahr 2050) Bedarf, Flüchtlingsströme zu lenken, wenn erneut „Fluchtursachen“ (neue und alte) ihre mehr als „dramatischen“ Wirkungen nach Europa tragen.

Und auch „Plätze“ ist ein vernebelndes Gute-Nacht-Wort: Wie ein prominenter Künstler kürzlich in Paris bewies, wo er nach einem Spaziergang oder nach einer Spazierfahrt durch die Stadt per Interview bekannte: hier und in Frankreich (noch größer und weiter als Paris) ist noch „genügend Platz“ für viele Migranten. Platz ist Platz, eine geometrisch-geographische Größe, besonders in Paris, der großen Kapitale der immer noch oder nicht mehr großen Grande Nation verflossener Tage.

Deren imposante Plätze machen leicht vergessen, daß auch Künstler sich erbarmen sollten, beim wohlwollend gemeinten Mengenbegriff „Migranten“ nicht an Plätze zum Spazieren und Befahren, sondern an Versorgungsplätze, Krankenhaus- und Ordinationsplätze, Untersuchungshaft- und Gefängnisplätze, Zelt- oder Wohnungsplätze und ähnlich prosaische „Plätze“ des alltäglichen Lebens eines Migranten zu denken. Gleichgültig, an welche Art von „Integration“ diese selbst denken oder nicht denken, welche sie wünschen oder nicht wünschen. Künstler denken über Migration wie Päpste: in ganz Europa stehen doch genügend Liebe und Plätze bereit.

30.

Und noch ein Verdacht ist nicht abzuweisen: ein Behörden-Monster (die EU-Zentrale in Brüssel), das in ganz Europa jede Transaktion jeder Bank, jedes ökonomische Gebaren jeder Firma, jeden förderungswürdigen Bauernhof, jeden Millimeter Gletscherrückgang, jedes Gramm CO2 Ausstoß exakt observiert, sollte über die künftige Entwicklung einer möglichen Völkerwanderung nach Europa bis 2050 keine prognostischen Statistiken führen? Auch nicht in verborgenen Schubladen und lesegeschützten Dateien?

Oder enthält man sich der chronischen Sammlung für künftige Feiern und Selbstbelobigungen, weil man am fernen Erfolg der globalen EU-Migrationspolitik, (durch UNO und deren Mitläufer gefordert und gefördert) doch nicht recht glauben kann und will? Auf diese Frage wäre eine Antwort wohl nur möglich, wenn ein heutiger Augur mit alleshörenden Ohren und allessehenden Augen durch die Brüsseler Wandelgänge spazieren könnte.

Daß die Nationalstaaten Europas von Statistiken über die „laufenden Ereignisse“ und Entwicklungen der aktuellen „Flüchtlingspolitik“ nicht ablassen können, erklärt sich aus ihrem Selbsterhaltungstrieb. Zum Unwillen Brüssels, das über die Entwicklung der „Verläufe“ und „Vorfälle“ am liebsten nicht oder nur ungenau Bescheid wissen möchte, führen sie im Schengenraum neuerlich national geschützte Grenzen ein.

31.

Zur aktuellen Unsicherheit trägt das Pressewesen der offiziell „verlautbarenden“ EU nicht wenig bei. Unvermeidliche Pressekonferenzen und Medienaussendungen über die „Flüchtlingsfrage“ versuchen das Fragen nach den Gründen und Ursachen entweder peinlich zu umschweigen oder mit Phrasen von und zu Merkel zuzudecken oder gar den üblichen Verdächtigen „von Rechts“ in die Schuhe zu schieben.

So landen sie – die endlos wiedergekäuten Phrasen – wie hohle Knochen im Rachen der ab- und nachschreibenden Zunft. Dabei wären die Ungeheuerlichkeiten der realen EU-Nichtpolitik in der früher noch „Flüchtlingskrise“ genannten Agenda mit Händen zu greifen und noch für den gehorsamsten Hund des Hofes zu erschnappen, wenn er nur fähig wäre, seiner investigativen Spürnase nochmals unvoreingenommen zu folgen. Stattdessen berichtet er treuherzig über „unhaltbare“ Zustände in den „Lagern“ von Griechenland bis an die Grenzen Kroatiens und Ungarns.

Über die „Einhaltung“ eines Merkel-Erdogan-Deals zwischen der Türkei und Griechenland wird gelogen, was das Papier hält. „Balkanroute“, „Binnenmigration“ und quasisakrale „Seenotrettung“ stehen unter Denktabu samt Krokodilstränen. Schon gerät die besonders in Deutschland beliebte Seenotretttung (Oster- und sonstige Friedensmärsche werden nur noch aus Traditionsgründen gepflogen) unter Überbietungsdruck: die oberste Weltflüchtlingsorganisation der UNO fordert: Landnotrettung in Afrika sei dringlicher als nur Seenotrettung auf dem Meer.

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Angesichts dieser chaotischen und unberechenbaren Gesamtlage kann man jene Eliten in Brüssel verstehen, die am Erfolg noch zweifeln und abwarten möchten. Man will nicht zu genau wissen und beobachten, was geschieht, untergeordnete „Zuständige“ sollen gutreden, was nicht gutgehen könnte.

Offen verstörend werden Berichte oder Visionen von journalistischen Querschlägern empfunden, die ein „Narrativ“ ins öffentliche Meinen Europas einschleusen, das für möglich hält, daß „Millionen Afrikaner auf ihren Koffern sitzen.“ Da wird auch Kardinälen und Bischöfen für einen Augenblick schwarz vor den Augen, und nur die Augen der strammsten Visionäre eines ganz neuen und ganz anderen Europas leuchten immer noch beglückt auf. Vermutlich Grund genug für die leitenden Eliten der EU, diese Visionen vorerst auf niedriger Flamme zu halten.

33.

Außerdem hat die EU zu viele andere Sorgen am Hals, um sich auch noch gründlich und „nachhaltig“ um das in die Jahre gekommene Thema „Migration“, „Flüchtlingskrise“, „Völkerwanderung“ zu bekümmern. Ohnehin ein Chamäleon von Thema, das ständig Farbe und Gestalt wechselt: von hoffnungshell zu verzweiflungsdunkel. Andere Themen und Sorgen binden die Kräfte der EU durch Monate, wenn nicht Jahre: die Weltklimarettung wird noch einige kolossale Weltkonferenzen und Unsummen an umzuschichtenden Geldern erfordern, um die EU als führende Welt-Retterin in die Weltgeschichte eingehen zu lassen.

Für die seit Jahren angedachte Transaktionssteuer will sich keine Nationen-Mehrheit finden; ebenso geteilt ist die EU in der Frage, ob man aus Klimarettungsgründen die Atomkraft generell ächten soll oder nicht. Wie und ob überhaupt die Balkanstaaten einer abermals erweiterten EU zugeführt werden sollen, muß nun mitten in den langwierigen Verhandlungen um die Folgen des Brexits entschieden werden, der Ende Januar 2020 erfolgen soll. Unter diesen Entwicklungen, die eher zu kumulierten Verwerfungen führen könnten, dürfte auch das bisher geltende
EU-Einstimmigkeitsprinzip schon demnächst in den Papierkorb wandern.

34.

In dieser Notlage: zu viele Bären los, als daß man sie wieder einfangen könnte, scheint die Notlüge zu helfen, daß in der Migrationsfrage ohnehin alles gut gehen würde, besonders nachdem Dublin I demnächst erfolgreich repariert sein wird, wenn nur endlich die Geister des Widerspruchs verstummen würden. Wenn nur endlich aufhören würde, daß „das Nationale“ und „die Rechtspopulisten“ und ähnliche Dunkelmächte das gute und große Projekt zu Fall zu bringen versuchen.

Und sollte es am Ende wirklich schief gehen und Europa als Dritte-Welt-Leiche zu bestatten sein, kann man immer noch „nachweisen“, daß das global und gut gedachte Projekt wirklich gut gegangen wäre, wenn nur die widerstrebenden Geister nicht permanent opponiert hätten. Dieses zurückblickende Umdeuten des eigenen Fehlentscheidens und Chaoshandelns folgt einem bekannten Muster aus der Vorgeschichte der jetzigen Migrationsgeschichte. Diese ist aus jener als unmittelbare Nachfolgeschichte hervorgegangen, somit unmittelbare Wirkung von jener Vorgeschichte als Ursache.

Das Muster (mit deutscher Politiker-Gründlichkeit erklärt) lautet: Hätte Bush die Büchse der Pandora im Irak nicht geöffnet, würde Saddam dank Friedensfürst Schröder immer noch friedlich regieren, und die von Bush für den „Nahen und Weiteren Osten“ prophezeiten Dominosteine wären nicht umgestürzt. Folgt man diesem beliebten Gerücht, ist die Spur des Fehlhandelns der wahren Übeltäter, die den Katastrophenweg der beginnenden Völkerwanderung über Obama zu Assad und Merkel, Erdogan und Konsorten eröffnet haben, erfolgreich verwischt und vergessen.

35.

Nach wie vor steckt Europa in der unmittelbaren Nachgeschichte jener Vorgeschichte fest. Zurzeit an der Frage, wie jene Staaten, die entschlossen sind, an neuerlichen Deals über Aufnahmen und Verteilungen von „Flüchtlingen“ nicht teilzunehmen, „harmonisiert“ werden sollen. Irgendwie muß Brüssel Wege finden, jene, die sich dem geplanten Regelwerk von Dublin II oder Seehofer I verweigern, „anlaßgemäß“ zu bestrafen und jene, die Migranten aufnehmen, aus einer neu zu schaffenden „europäischen Kasse“ zu entschädigen.


Diese „Lösung“ steht zwar noch nicht im non-paper-Papier, da sie aber seit langem „informell“ – unter den Diplomaten der EU-Staaten – diskutiert wird, ist mit baldiger Aufnahme und Kodifizierung der neuen Normen zu rechnen. Und da die EU zugleich plant, die „Sozialleistungen für Flüchtlinge“ – („so weit möglich“, wie der Souffleur des neuesten Gummiparagraphen im Hintergrund flüstert) – „EU-weit zu finanzieren“, ist die „neue Kasse“ ein Geschenk des (selbsterdachten) Himmels. Jene, die nicht aufnehmen, zahlen, jene, die aufnehmen, kassieren. Zuckerbrot und Peitsche als neues Mittel, um das Vereinigte Europa so rasch wie möglich auf einen „gemeinsamen Weg“ zu führen?

Jene, die nicht aufnehmen wollen, behaupten außerdem, unbelehrbar, wie sie nun einmal sind, das neue Regelwerk werde den globalen „Pull-Faktor“ verstärken. „Pull-Faktor“ lautet die aktuelle Verharmlosungsformel der wesentlich ungemütlicheren, wonach der „Magnet Europa“ seiner „Willkommenskultur“ zum Opfer fallen könnte.

36.

Die neu zu regelnden Sozialleistungen werden selbstverständlich gleichfalls in das neue Verteilungssystem „eingespeist.“ Millionen in Afrika und Asien, die „auf ihren Koffern sitzen“ und ihr tägliches Handy befragen, springen nun oder später wie magnetisiert von ihren Koffern herab, um den lebensgefährlichen Weg in das ferne und doch so nahe Europa anzutreten.

Wurde das neue Asylabkommen von Politikern ersonnen, die ihren Verwaltungstechnokraten zuviel kreative Mitarbeit zugestanden haben? Oszilliert es deshalb zwischen Wunsch und Realität, zwischen Märchen und neuem Chaos? Wurde abermals gepfuscht und verpfuscht? Der gelernte EU-Europäer wird immer hellhöriger, wenn ihm das Neueste vom Neuen als Erfolgsmeldung mitgeteilt wird.

Doch stehen die Politiker Europas unter großem Druck und Zwang, positiv formuliert: unter globaler Verantwortung. Nachdem sich eine Mehrheit der EU-Staaten bereit erklärt hat, dem von UNO-Gremien organisierten „globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ beizutreten, droht den Beigetretenen das Schicksal, zum „globalen“ Befehlsempfänger degradiert zu werden.

Und da sich unter den Beigetretenen auch jene Staaten befinden, die in der EU das neue Abkommen für Asyl und Migration in Europa planen und durchzusetzen versuchen, wäre es nur natürlich, den neuen EU-Entwurf nach den Richtlinien des UNO-Migrationspaktes auszurichten. Denn dieser wäre der allgemeine und große Entwurf, der EU-europäische nur ein spezieller und gehorsamer Nachfolgefall.

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Fast unnötig zu ergänzen, daß Deutschland bei der Konstruktion des UNO-Paktes, dem 151 Mitgliedsstaaten zustimmten, federführend beteiligt war. In Berlin wurde nach dem erfolgreich Abschluß verkündet: Die UNO sei demokratisch legitimiert, Kritik am Abkommen verbiete sich von selbst.

Auf jeden Fall handelt es sich um eine starke Koalition williger Williger, der zu widersprechen und zuwiderzuhandeln gefährlich ist, weil eine Institution, die sich als höchste moralische Macht der politischen Welt begreift, das höchste Gute (ein Verwandter des höchsten Heiligen) der aktuellen Weltgeschichte in Pacht genommen hat.

Sie ist der selbsternannte Hüter einer „Weltgemeinschaft“, deren Name bei jedem großen Konflikt in aller Welt angerufen wird. Und sei es nur, um die Trümmer von Obamas USA-Fluchtpolitik als fruchtbaren Samen einer geheiligten Völkerwanderung zu segnen.

Jenen Staaten, die sich geweigert haben, den UNO Pakt zu unterzeichnen, droht das Schicksal, vor einem UNO-Tribunal Rechenschaft über ihre bösen Absichten vorlegen zu müssen. Weil von wem denunziert und angeklagt? Entweder von den global umherschweifenden Organen der UNO selbst, von Genf bis Marokko, von Kairo bis Mexiko, oder in vorauseilendem Gehorsam von jenen, die das neue EU-Asyl-Abkommen in Europa aushecken und durchsetzen.

Vor dem Weltgericht zu New York nicht plaudern, sondern moralische Farbe bekennen zu müssen, ist allerdings solange eine nur politisch-symbolische Gefahr, als die oberste Weltgemeinschaft (noch) außerstande sein dürfte, geltendes Völkerrecht durch ein neues und „gütigeres“ zu ersetzen. Kommt Zeit, kommt Rat?

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Wir hören ein altes Lied wieder, aber in einer bisher unbekannten neuen Tonart: Eine neue Ideologie findet die neue Wahrheit, verkündet sie aller Welt und beginnt eine die Welt veränderte Praxis zu organisieren. Soweit und so viel von Altvater Karl Marx. Aber wieder wollen nicht alle Menschen, noch weniger alle Parteien dieser Welt der neuen Wahrheitspartei glauben, noch weniger ihr folgen. Jetzt ist der kritische Punkt erreicht: Wie mit den Unwilligen verfahren, wie umgehen mit den Rückständigen und Ungläubigen?

Umerziehen war seit alters die große Devise neuer Heilslehren, anders nicht waren Menschen mit falschem Bewußtsein und Parteien, die das erkannte Amoralische und Böse der bisherigen Welt nicht überwinden wollten, in den neuen Gral überzuführen.

Und für das „Umerziehen“ liegt ein großes Besteck bereit, von permanenter Denunzierung und Drangsalierung, von rhetorisch korrekter Verbiegung normativer Begriffe bis hin zum richtigen – „antipopulistischen“ – Sprachgebrauch. Umerziehung ist das heilige Mittel für den neuen heiligen Zweck, denn große Dinge sind zu bewegen und zu erreichen: Umerziehung dient der Umwälzung, der offenen und der hinterrücks zu organisierenden. Und Abwehr oder Notwehr gegen einen Angreifer, der von vorne und hinten zugleich angreift, bedarf beinahe übermenschlicher Kräfte und Klugheiten.

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Aber noch existieren in Europa freie Demokratien, die stark genug zu sein scheinen, ihrer Auflösung durch globale Mächte und innere Erosionen standhalten zu können. Einige Demokratien in Europa haben auch noch den Luxus-Mantel einer Monarchie umgehängt, – das freie Europa befreiter Völker und Staaten scheint ungefährdet in das 21. Jahrhundert zu schreiten. Es ist stolz auf seine Befreiung von den beiden verhängnisvollen Ideologien, an deren mögliche Rückkehr vor allem jene zu glauben vorgeben, die daher und deshalb die neuen Gefahren für Europa und seine Staaten unterschätzen.

Jeder warnende Alarmismus, der sich nicht „gegen Rechts“ wendet, sei nichts als ein solcher: Ein permanenter Fehlalarm in der Ersten Welt, deren Existenz weder von vorne noch von hinten und schon gar nicht durch eine „Völkerwanderung nach Europa“ bedroht sei.

Zur globalistischen Bedrohung zählt mittlerweile auch das Vordringen einer „Richterdemokratie“, die durch „Samenflug“ aus den Machtzentren der EU in die EU-Staaten vordringt. Wie groß oder klein der Schritt von dieser neuen „Demokratie“ zu einer Richterdiktatur sein könnte, ist eine Frage, die kein Sterblicher beantworten kann. Daß aber diese Frage gleichfalls unter „falschen Alarmismus“ fallen muß, wenn man den globalistischen Prinzipien der neuen Ideologie folgt, versteht sich durch sich selbst: Die neue Lehre weiß sich als radikale Bekämpferin der alten Ideologien, sie sitzt mit reiner weißer Weste auf der großen Bühne.

40.

Die oft sehr verschwommenen Bestimmungen des neuen EU-Abkommens für Asyl und Migration scheinen einerseits dem Status nascendi eines No-paper-Papiers geschuldet. Als müsse man noch abwarten, wie die Verhandlungen mit der noch zu ernennenden Koalition der Willigen verlaufen werden, um zu endgültigen und „überzeugenden“ Formulierungen zu gelangen. Auch eine Prüfung der Texte durch die alleroberste Migrationsbehörde in der UNO könnte hinter den Kulissen der hohen Politik schon im Gange sein. Ohne deren „informative“ Mitarbeit ist ohnehin „kein Staat“ mehr zu machen, da das Personal hüben und drüben dasselbe ist: Auch europäische Politiker zieren die Chefsessel der UNO-Behörden.

Aber wie auch immer diese unbeantwortbaren Fragen, die früher noch einen klugen und mutigen Investigativ-Journalismus interessiert hätten, in den analogen und digitalen Schubladen vermodern, entscheidend ist der Punkt der „Rechtsverbindlichkeit“ dessen, was in den Politbüros ausgedacht und von den Politgremien in geltende Gesetzestexte gegossen wird.

Die Gesetze und Regeln des UNO-Migrationspaktes sollen bekanntlich nicht „rechtsverbindlich“ sein, die des EU-Paktes müssen es unbedingt sein, weil sich ansonsten die EU selbst die Legitimation abgesprochen hätte, für ganz Europa ein neues Asyl- und Migrationsverfahren durchzusetzen zu dürfen. Wer Pakte für seine Mitglieder erläßt, kann sich von diesen nicht vorwerfen lassen, eben dazu nicht legitimiert zu sein. – Die UNO ging bekanntlich anders vor, weil sie offensichtlich weiß, daß es um ihre „demokratische Legitimation“ nicht so weit her ist, wie die Chefpolitikern der Berliner Republik verkündet hat.

41.

Der UNO-Pakt für Massenmigration (Global Compact for Migration development process: „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration (GCM)“) 3 soll nur politisch, er soll nicht rechtlich verbindlich sein. Warum diese Konzilianz einer „unverbindlichen Rechtlichkeit“ scheinheilig und verführend ist, haben kluge und mutige Politiker und Journalisten bereits entdeckt und vorgeführt.

Unverhältnismäßig auf den Punkt gebracht: jeder Staat, jede Staatenunion, jede Institution, welche auch immer, die aus einem auserwählten Teil Afrikas oder Asiens statt einer Million Menschen nur eine halbe Million jährlich nach Europa überführt, bekommt schlechte Presse. Das globale Heer der Medien-Hyänen heult den nachlässigen Überführer als amoralisches schwarzes Schaf in der Gemeinde der neuen Weltretter-Religion an, er wird in den Augen der „Weltgemeinschaft“ als Paria erkannt und ausgestoßen, – aber er kann vor kein Gericht, vor keinen „Gerichtshof“ gezerrt werden. Er kann nur mundtot geschlagen werden, in jenen Medien, die das große Sagen und Berichten vorerst gepachtet haben.

42.

Da sich die EU mit Dublin II (Seehofer I) abermals auf den Weg der Rechtsverbindlichkeit begeben muß, sind neue Exzesse einer wachsenden Richterdemokratie zu erwarten. Diese hat das politische Pouvoir, auch und speziell in der Migrationsfrage alle Bereiche der westlichen Gesellschaft und Demokratie um endlose Streitpotentiale zu „bereichern“, die auch das politische System selbst ins Wanken bringen können. Das Beispiel des Nationalkonvents der französischen Revolution sollte mahnen: er war das selbsternannte demokratische Hegemonial-Institut und zugleich die säkulare Inquisition des Volkes. Eines in der Geschichte Frankreich erstmals demokratisch verfaßten Volkes, das sich einer weltgeschichtlich neuartigen Gerechtigkeit anvertraut hatte. (Die erste Aufklärung nimmt Fahrt auf.)

Dem Anschein nach begründet primär die Vision einer neuen Weltgerechtigkeit den Aufstieg von Recht und Richtertum in der modernen Demokratie. Noch bis vor Kurzem schien die moderne Demokratie am System der Gewaltenteilung einen Garanten dafür zu haben, daß die Justiz der Demokratie niemals über den Kopf wachsen könne. Aber ein zweiter Grund ist kaum weniger bedeutend und vielleicht sogar der eigentliche: die aberwitzig gestiegene Komplexität der rechtlich verankerten Gerechtigkeit.

Kaum ein moderner Demokratiebürger, der nicht schon über das Labyrinth der Gesetze seines Staates, vermehrt „seiner EU“, geklagt hätte. Nur noch „eingelesene“ Experten der unendlich differenzierten Rechtsmaterien beherrschen die Kunst, den roten Faden in den endlosen Gängen und Etagen des Rechtsgebäudes nicht zu verlieren. Wenn aber schon die Juristen selbst über einen Wildwuchs an Paragraphen klagen und stöhnen, wie erst Politiker, denen das Wohl des Ganzen einer regierbaren Demokratie anvertraut wird?

Ob sich die Verwalter der neuen Gerechtigkeit insgeheim an ihrem modernen Hybridwesen von Recht und Ordnung nicht auch erfreuen, bleibe dahingestellt. Sie verfügen jedenfalls über ein Pracht-Schloß an Wissen und Macht, in deren endlos verzweigten Gängen und Archiven sich nicht wenige Bürger als Nachfolger Kafkas erfahren und empfinden.

43.

Ein anschauliches und zugleich aktuelles Beispiel liefert das Rechtssystem einer sogenannten „Verteilungsgerechtigkeit“, die im Zentrum des geplanten neuen EU-Abkommens für Asyl und Migration stehen soll. Nach welchen rechtsgültigen Kriterien sollen wie viele Flüchtlinge auf welche aufnahmewilligen Staaten verteilt werden?

Bekanntlich sind die Sozialleistungen in den Staaten Europas sehr unterschiedlich dotiert. Weshalb auch die EU weiß, daß und warum die „meisten Migranten in eine Handvoll Länder streben.“ Wie ist das Problem zu lösen, ohne eine „Gerechtigkeitslücke“ entstehen zu lassen? Kein Problem für die zuständige EU-Behörde: sie bemißt die Aufnahmefähigkeit der willigen Staaten nach den Faktoren von Wirtschaftsgröße und Bevölkerungsgröße. Sind diese ermittelt, ergibt sich ein Wert, Index genannt, der eine „indexierte“ Auszahlung der Sozialleistungen für Flüchtlinge ermöglicht. Prosaischer formuliert: in reicheren Ländern fällt die Alimentierung durch den jeweiligen Staat reichlicher, in ärmeren Staaten fällt sie dürftiger aus.

Ein Asylsuchender, der demnach nicht dem reicheren Westen und Norden Europas, sondern dem ärmeren Osten und Süden zugewiesen wird, erhält weniger als sein Fluchtkollege, den die Göttin Europa inniger ins Herz geschlossen hat. Und zwar exakt weniger nach den Richtlinien des „EU-Korbes“, in dem die Lebenserhaltungskosten quer durch ganz Europa, Staat für Staat, berechnet und fixiert vorliegen.

(Vermutlich für das Hier und Heute sowie das folgende Quartal; gleich daneben könnte man den Abrechnungszettel für die horrenden Verwaltungskosten, die durch die neue Verteilung entstehen, ablegen. Der Rechenzettel für „Integration“ von Millionen Migranten mittels Milliarden Euro liegt vermutlich in einem anderen Korb.)

44.

Durch die indexierte Auszahlung soll nun zugleich ein weiteres EU-Wunder ermöglicht werden. Denn das Index-System der Sozialleistungen für die gerecht verteilten Flüchtlinge, so das pythische Orakel zu Brüssel, werde bewirken, daß sich „die Sozialleistungen in Europa stark aneinander angleichen werden.“

Warum und wie sich durch die Angleichung der Kosten für den Aufenthalt von Asylwerbern auch die Sozialkosten für die Inländer in den diversen Staaten Europas angleichen sollen, bleibt eines der vielen EU-Geheimnisse, die seit geraumer Zeit kräftig dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der EU nachhaltig zu untergraben. Denken die politisch Verantwortlichen der EU-Behörden in verkappten Fünfjahresplänen? Oder fällt von der beabsichtigten EU-Flüchtlingskassa ein Scherflein auch für die Volkswirtschaften jener Staaten ab, die sich an der EU-Willkommenskultur beteiligen möchten?

Auch EU-Eliten kann nicht verborgen geblieben sein, daß Millionen innereuropäisch „Ausgewanderten“ (Goethe) ihre „Überschüsse“, sofern überhaupt vorhanden, mittels Überweisungen oder sonstwie ihren Angehörigen zu Hause zukommen lassen: Äußerst dürftige Investitionen in das Wachstum ihrer eigenen Volkswirtschaft. Dieses für jeden Ökonomen einsichtige Argument ist natürlich keines für jene EU-Eliten, die ohnehin planen, die noch bestehenden nationalen Volkswirtschaften Europas in eine kommende EU-Supervolkswirtschaft zu transformieren.

45.

Spricht sich aber das neue Verteilungsverfahren unter den Migranten aus Afrika und Asien herum, speziell die Gefahr, in das falsche Land des erreichbaren Paradieses umverteilt zu werden, werden die modernen „Völkerwanderer nach Europa“ fragen, wie man es schafft, nicht in die ärmeren Länder Europas versprengt zu werden. – Und wie sich das „Herumsprechen“ neuerdings vollzieht, sollte auch den Verteilungs-Eliten Europas bekannt sein: Zugleich oder neuerdings „zeitgleich“ mit der verlautbarten Pull-Nachricht.

Mit einem Wort, für die globale Handy-Gemeinde aller Fluchtreisenden nach dem reicheren Europa, bleibt „Merkel-Kurs halten“ die alternativlose Devise. Und von dieser können sich auch die global arbeitenden Schlepperbanden, aus nicht mehr zu „investigierenden“ Gründen, nicht mehr absentieren.

46.

Auch das nächste Märchen läßt sich hören, aber nur als Märchen verstehen: Durch das neue Abkommen werde die „unerlaubte Weiterwanderung innerhalb der EU wirksam bekämpft“, denn die verteilten Flüchtlinge erhielten Sozialleistungen nur mehr in „ihrem“ Staat. Unter Aufsicht der zuständigen EU-Asylbehörde, wie wir gelesen haben. Und wie lange soll dieser fabelhafte Zuteilungsplan durchhaltbar sein? Bis kein Geld mehr zum Verteilen da ist, oder bis die leidigen „Fluchtursachen“ verschwunden sind, oder bis alle Asylanten, weil bestens „integriert“, Staatsbürger in „ihrem“ Staat oder „demnächst“ im großen EU-Staat geworden sind? Und in der Zwischenzeit mit willigen Anwälten kluge Aus- und Reisezeiten von ihrem zugewiesenen Staat erkämpft haben?

Im bisherigen System (Dublin I) konnte ein Fluchtreisender, hatte er die „Einreise“ in einen Staat Europas „geschafft“, nach sechs Monaten Aufenthalt, – so lange hatte er „schon hier gelebt“ – auch die Rechtswege seines Einreisestaates verbindlich in Anspruch nehmen. Wie diese für oder gegen ihn arbeiteten, darüber wurde und wird kaum berichtet, zu groß könnte das Entsetzen über das Chaos sein, das Dublin I angerichtet hat.

Zwischen regulären Aufnahmen, geduldeten Aufnahmen, weil die Einreisenden ihre Personal-Papiere rechtzeitig entsorgt hatten, weiters zurückgewiesenen Anträgen bis hin zu sogenannten U-Booten, deren Anträge abgewiesen wurden, die aber eine drohende Abschiebung zu umgehen wußten und wissen, und den absurden Fällen, die das alte Verfahren gleichfalls nicht verhinderte: parallele Asylanträge in mehreren Ländern, erstreckt sich ein Band unübersehbarer Vielfalt an Einzelschicksalen, die sogar den Flüchtlingsbehörden im Land der deutschen Gründlichkeit schier unlösbare Verwaltungsverantwortlichkeiten aufbürden.

47.

Soweit die neuen Pläne für die Migration Richtung Europa. Wie aber sieht es mit der anderen, mit der Richtung nach Asien und Afrika aus? Wie steht es um die Möglichkeit und Freiheit der EU, abgewiesene oder straffällig gewordene Migranten in ihre Herkunftsländer abzuschieben?

Auf diese Gretchenfrage aller Migrations-Abkommen, der vergangenen und der künftigen, läßt auch das No-paper-Papier für Dublin II (Seehofer I) nichts als unverbindliche Absichtserklärungen vernehmen. Antworten, die keine sind, weil es im Status quo auch keine geben kann, – die Falle, in die Europa gestürzt wurde, ist tief und finster.

Keine Antwort aus gutem Grund, der jedoch für Europa ein denkbar schlechter, ein grundloser Grund ist. Was nämlich auf dem Papier gefordert wird: Rückschiebung für alle, die keinen Asylanspruch haben, ist in der Praxis schwierig bis unmöglich (nur vereinzelt) durchführbar. Menschen lassen sich nur in Staaten zurückführen, die zur Rückaufnahme bereit sind. Die Behauptung, über weitere Rückkehr-Abkommen mit afrikanischen und asiatischen Staaten werde noch verhandelt, ist kaum mehr als ein in die Jahre gekommenes Placebo.

Weder sind die Herkunftsländer in Afrika und Asien freiwillig zur Rücknahme bereit, noch ist der Plan B, der zum großen Zorn der deutschen Mutter aller Flüchtlinge in einigen Staaten Europas erwogen wurde: Große Lager in den Kontinenten der Herkunftsländer zu errichten, in Europa durchsetzbar. Wie deutsche Meiden, in gewohnt vorauseilendem Gehorsam melden, würde diese Lösung weder (irgend)ein EU-Staat, noch ein Herkunftsland und auch kein Durchgangsland akzeptieren.

48.

Europa erkennt sich als Insasse einer selbstverschuldeten Sackgasse und Falle. Oder anders: es hat sich die Schlinge um den Hals gelegt, und jene Mächte, die in Europa mit bestem Wissen und Gewissen an dieser Schlinge ziehen, fest und fester, glauben, Besitzer eines anderen Halses zu sein.

Das neue EU-Abkommen für Migration und Asyl scheint noch an den Kategorien „illegale Migration“ und „Flüchtling ohne Asylanspruch“ festhalten zu wollen. Dagegen wurden diese Kategorien, an denen das Überleben Europas wie an einem seidenen Faden hängen könnte, in den durchgesickerten Geheimverhandlungen zum UNO-Migrationspakt beinahe schon gelöscht.

Ein Kompromiß wurde gefunden, der jedoch den Verdacht erweckt, kaum mehr als ein fauler und täuschender Konsens zu sein, wonach das letzte Wort über erlaubte und nicht mehr erlaubte Kategorien noch nicht gefallen ist. Noch bestünde demnach Hoffnung sowohl für jene, die eine globale (direkte und offene) Völkerwanderung nach Europa herbeiwünschen: No-Border und Genossen wären am Ziel ihrer Wünsche angelangt, die Ideologie einer „neuen Welt“ hätte gesiegt.

Aber auch für die Gegenpartei bestünde noch Hoffnung: das Prinzip „Keine Völkerwanderung mehr nach Europa“ wäre noch nicht verloren, noch wäre Europa durch Vernunft zu retten und dadurch auch weite Teile dieser Welt. Denn verliert Europa seinen Rang als mächtige und reiche Friedensmacht, ist auch dieses Hoffnungs-Licht für die Menschheit der Zukunft erloschen.

49.

Wie sehr aber die Vernunft-Partei ins Hintertreffen geraten ist, wird gleichfalls aus den durchgesickerten Dokumenten der Geheimverhandlungen zum UNO-Migrationspakt ersichtlich. Offen und deutlich wurde über eine Gängelung der internationalen Presse konferiert. Das „Narrativ zur Migration müsse ausschließlich positiv sein“, Migranten dürften unter keinen Umständen kriminalisiert werden. Letzteres wäre allerdings nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit, wenn der generelle Heiligenschein, den Europas Pro-Völkerwanderungsideologie seinen Migranten im Voraus erteilt, mehr als ein gutgemeintes Vorurteil wäre.

Die unterdessen zugänglichen Dokumente belegen, daß der Vorschlag, um nicht zu sagen Befehl, für ein ausschließlich positives Narrativ, auf das Konto einiger EU-Staaten ging. Bei negativem Narrativ wäre den „irregeleiteten Medien“ die „öffentliche Förderung zu entziehen.“ (Delegationsbericht zur vierten Runde in New York im Mai 2018.)

Die Begründung dieser offen verkündeten Vernichtung der demokratischen Pressefreiheit läßt tief in das geradezu „biblische Credo“ der Pro-Völkerwanderungsideologie blicken. „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt.“

50.

Über diese sattsam bekannten Formeln erhob sich, wie schon erwähnt, kein kleiner Streit, aus dem schließlich, nach Überwindung auch einiger abgemilderter Fassungen die nunmehr geltende des 34-seitigen „Global Compact For Safe, Orderly And Regular Migration“ („Globaler Pakt für sichere, reguläre und geordnete Migration“) von 2018 hervorging. Die 1948 begründete Vereinigung aller Nationen dieses Planeten verkündete mit mächtigem Stolz, es sei das „erste Mal in ihrer Geschichte“, daß sie sich auf einen „derartigen Vertrag einigen“ konnte.

Über ein „Erstes Mal“ nach einer kaum 70jährigen Geschichte kann man dieses oder jenes denken, nicht aber über die angeführte Art der Begründung. Auch am größten Herd der jetzigen Menschheit wird nur mit Wasser gekocht: Um die erstmalige Vertragsrevolution so tief und so gründlich wie nur möglich abzusegnen, wird die Plattitüde eines Ewigkeitsmythos: „Immer schon“ – ein metaphysisch-geschichtstheologisches „Prinzip“ von bezwingender Erhabenheit, dessen sich bereits viele Ideologien und ohnehin alle Religion bedienten und bedienen – ins Argument geschickt. Doch woran man bis jetzt nur glaubte, das ist nun mit Gewißheit als Segen und Fortschritt für die ganze („globale“) Menschheit erkannt.

Jetzt kann für die UNO nichts mehr schief gehen. Denn sollte das neue „Prinzip“ in der Realität der Zukunft dennoch schief gehen, darf sich die „Weltgemeinschaft“ rückwirkend Absolution erteilen: einen erstmalig-einmaligen Versuch war die neue Revolution allemal wert. Das Gewissen einer „demokratisch legitimierten Weltgemeinschaft“ kann nicht irren.

(Leo Dorner, 24. Dezember 2019)

Fußnoten

  1. Andreas Untergruber: „Wie man die Völkerwanderung noch stoppen könnte.“ Tagebuch 29.10. 2019. https://www.andreas-unterberger.at/
  2. [Anmerkung: Daher lügen politische Kategorien niemals direkt und unverblümt. Als Zielkategorien des kollektiven Handelns politischer Institutionen stammen sie aus dem Reservoir der praktischen Urteilskraft politischer Herkunft und Begründung. Sie sollen den stets schwankenden Kurs der politischen Geschichte (der großen und kleinen Welt) beurteilen und zugleich steuern. Dies teilen sie mit den finanzökonomischen Kategorien, die die Kurse von Börsen, Aktien und Anleihen beobachten und verändern.

    Dagegen sind die Kategorien von Wissenschaft und Philosophie nur als zureichend begründete und argumentierte anerkennungs- und handlungsfähig. Sie sind verbindlich voraussetzbare Prämissen philosophischer und wissenschaftlicher Gedanken und Handlungen: Andernfalls wären 2+2=4, die Sonne größer als die Erde, das Ganze größer als seine Teile, Ursache und Wirkung bedingen einander usf. nicht als rationale Akte möglich. Und daher ist es auch jederzeit problematisch, Philosophen und Wissenschaftler als Regenten über die höllischen Pfründe und Abgründe der politischen Welt herbeizuwünschen. Zwischen „hinreichend“ – als Grund kontingenter Notwendigkeit hier – und „zureichend“ – als Grund absoluter Notwendigkeit dort, – liegt der Unterschied zweier (Kultur)Welten.

  3. https://refugeesmigrants.un.org/migration-compact