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1 Zu Hegels Logik

A.

 

Sage mir, wie du Hegels Logik verstehst, und ich sage dir, zu welcher Art des Philosophierens zu befähigt bist. Nichts entlarvender, nichts demaskierender als die Einordnung dieses Werkes der Philosophiegeschichte in den Denkhaushalt der Philosophierenden seit Feuerbach.

Entweder du bist befähigt, die Hegelsche Darstellung des tiefsten Begriffsgrundes aller Wirklichkeit zu erfassen, oder du bist darauf beschränkt, den Grund aller Begriffe in diesem Leben zu verfehlen. Aber noch dein Erfassen ist der vielfältigsten Gefahr des Mißdeutens ausgesetzt, und deine Verfehlung führt fast unausweichlich in den Abgrund gewaltbereiten Irrtums.

Unter den Verfehlern ist das Geschäft des Reduktionierens seit Feuerbach am Populärsten – dem Grenzmaß ihrer Mittelmäßigkeit gemäß: Hegels Logik wird formalisiert, und folglich wir begegnen einem kalkülversierten Gedankenspiel eines singulären Spinners oder einer Fehldeutung der Philosophiegeschichte durch einen deutschen Philosophieprofessor.

Kaum noch begegnen wir dem Irrtum der Ideologen der Schule: ihnen war Hegels Logik die neue Bibel einer vernunftgezeugten Menschheit; und noch weniger der Absurdität jener Dilettanten, die mit Lenin glaubten, den Irrtum der Formalisierung mit dem Irrtum der heiligen Ideologie verbinden zu können: die formalisierte Logik als Vernunftbibel einer vernünftigen Menschheit, die endlich ohne Gott der Menschheit Glück besorgen werde.

Der Preis, den die Formalisierung bezahlt, ist unvernünftig hoch: werden die Begriffe von Sein, Wesen und Begriff ihres ontotheologischen Inhaltes beraubt, erhalten wir einen entleerten Vernunft- und Freiheitsbegriff, mit dessen Wider- Schein jedes nur denkbare Spiel mit Begriffen und Welten möglich wird. Weil der Gedankenkalkül mit jedem Weltkalkül immer schon übereingestimmt wurde, wäre Hegels Logik wie der Modephilosophien letzter Torheit Schrei:

„alles Konstruktion“, „alles konstruiert.“ Nicht nur Algebra und Geometrie eine Erfindung der Spieltricks von taschenbesitzenden Mathematikern.

Der Vorwurf des durchgehenden Sophismus, nicht selten von deutschen Philosophen am vehementesten vorgebracht – (Neid auf den Genossen der Zunft seit Schopenhauer und Nietzsche?) – setzt aber lediglich die Art und Weise fort, in der Hegels Logik in der linken Schulhälfte deontologisiert wurde – Ersttäter Feuerbach und Marx –, um den nihilen Katastrophen des 20. Jahrhunderts den „philosophischen“ Boden vorzubereiten.

Sartres Dekrete vollendeten die totale Verblendung: erschiene in unserer neuen Freiheitswelt ein Gott, so wäre dies das sinnwidrigste Ereignis, das sich denken ließe, wenn es sich denken ließe. Ein für allemal vorbei die Kinderperiode der Menschheit, vorbei das Spiel des kindlichen Glaubens, vorbei das Spiel des kindlichen Philosophierens – erwachsen sind wir allmächtig geworden.

 

B.

 

Der beliebte Gedanke des kalkulierenden Formalismus, den Geist der Hegelschen Logik aus dem Spiel autonomisierter Negation abzuleiten, scheint zunächst den Begriff der Freiheit – höchster und offener Antrieb jeder Philosophie des Absoluten – adäquat zu erfassen. Durch den Trick der sich auf sich beziehenden Negation habe Hegel sein frühes Denken überwunden, das noch im Kantischen Fahrwasser glaubte, lediglich auf dem Boden der praktischen Vernunft eine universale Philosophie der Freiheit begründen zu können.

Die formalistische Reduktion bestimmt den Trick in seiner formalen Struktur genau und scheinbar erschöpfend: indem der Selbstbezug auf zwei Terme zurückgeführt wird: die sich negierende und die negierte Negation. Und weil solcher Selbstbezug sozusagen im Vakuum schwebe, nichts Anderes außer sich, über sich und hinter sich habe, sei er von Hegel in dieser Gestalt als absoluter Grund, als Seins-, Wesens- und Begriffsgrund gedacht und verstanden worden. Die sich negierende Negation wäre Grund ihres Seins, und dieses ihr Sein wäre das Absolute.

Der Satz: „Das Sein des Absoluten ist die absolute Negativität“, in dem das Sein zweimal, die Negativität aber nur einmal ins Wort gerufen wird, wäre zu verstehen wie ein einfacher Satz, der im Prädikat das Wesen der Sache ausspricht und verliert.

Weil die Hegelsche Logik erst durch die autonomisierte Negation zum Sein gelange, somit als negierte, als Negation der Negation, wäre in ihrem Anfang, in ihrer Anfangs-Bewegung ein lauteres Nichts, von dem nicht gesagt werden könnte, daß es sei und wodurch es sei. Denn wenn es sei, dann nicht durch ein Sein, das dem Negieren vorausgehe, sondern durch ein Negieren, das allem Sein vorausgehe.

Noch die berüchtigte Formel der Wesenslogik: von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück, kann im Sinn einer Wesens-Auflösung, nicht im Sinn einer absoluten Reflexion des wesentlichen Seins verstanden werden. An jedem Ort der Logik kann deren ontologische zugunsten einer negativistischen Herkunft verabschiedet werden, und dies aus einfachem Grund: befangen in der Bewegungen Mitte vergessen wir, daß Bewegung ohne ihr Gegenteil das von Bewegung verunmöglicht.

Die absolute Freiheit des Begriffes könnte nicht sein, wäre ihr Seinsakt ihren Negationen nicht vorausgesetzt und allesamt durchdringend und begleitend. Deren Bewegung könnte nicht sein, wäre sie nicht im Gegenteil von Bewegung Bewegung. Denn die verabsolutierte Negation mag „alles Mögliche“ hervorbringen, beliebige Freiheitswelten en masse, nicht aber vermag sie das je und je vorausgesetzte Sein ihrer selbst zu generieren.

Und dies wiederholt sich spezifiziert in der sogenannten konkreten Wirklichkeit: die Welt ist ein vorhandenes Negieren, dessen Anschauung und Erfahrung das Denken schon akzeptiert haben muß, um Kategorien als Begriffe der Welt in Anschlag und Anwendung bringen zu können.

Die Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung reproduziert die von Determination und Negation in gleichsam flüssigerem Element. Gilt aber der Satz, daß alles Unmittelbare vermittelt und alles Vermittelte unmittelbar sei, dann gilt dies auch für die Negation und deren behauptete Autonomisierung – durchgängig und vom Anfang an.

Schon das Nichts des Anfangs ist als ein Anderes von Sein andenkbar und im Werden gesetzt, und somit sind alle primären Negationen des Seins nur als dessen Selbstnegationen möglich. Das Selbst des Seins, das Sein des Selbstes ist immer schon da, aber in anfangs nur erst angedachter Bewegung eines Begriffes, der leerer nicht sein könnte als er ist.

Die Metapher der „Folie“ verwendet das moderne Denken, um sich Verhältnisse dieser Art vorstellbar zu machen; der Fluß des Heraklit täte es auch, und zwar weniger äußerlich und fahrlässig. Wird etwas bestimmt, das zuvor sein Selbstbestimmen ist, das sich aber erst in seinem Ende als solches weiß, dann ist die sogenannte autonomisierte Negation nur ein Abbild unserer Freiheit, aber zugleich der die unsere ermöglichenden Freiheit.

Begriff und Sein, die absolute Negativität und die absolute Positionalität (einer immer schon vorhandenen Entität), sind somit die Extreme, die äußersten logischen Exponenten, und innerhalb ihrer Setzungen hat sich die prima philosophia jeder wirklichen Philosophie zu bewähren. Und insofern scheint sie über die Differenz von Parmenides und Gorgias nie hinauskommen zu können.

Andererseits scheint die Meinung berechtigt, die Hegelsche Logik tauge nicht zur Begründung einer neuplatonischen Ontologie. Denn die autonomisierte Negation scheint schlußendlich alles in ihre Freiheit hineinzusaugen, ohne einen Ideenhimmel, ohne ein affirmatives Sein zu hinterlassen.

Wäre dem so, könnte sich Hegel nicht als Verfechter einer absoluten Idee behaupten, deren Gedanken in der Natur außer sich, im Geist aber für sich wären. Auch die Natur qua Universum trägt das Negative als stetes Moment in sich, denn es ist ein bestehendes Universum, sosehr in ihm zugleich nichts von ewigem Bestand sein kann.

Weil auch das Hegelsche System nicht in der prima philosophia, sondern in der Frage nach dem absoluten Geist kulminiert, ist die Mahnung mancher zeitgenössischer Philosophen illusorisch, die Theologie hätte noch schärfer als geschehen gegen Hegel Stellung bezogen, wenn sie genauer um die logische Prämisse der absoluten Negativität Bescheid gewußt hätte.

Baur und Kollegen blieb es aber nicht verborgen, daß Hegel einen absoluten Prozeßgott der Geschichte als zugleich absoluten Vernunftgott gedacht hatte. Und er hätte damit nur radikalisiert, was im Christentum und dessen bisheriger Theologie schon angelegt war, nicht aber hätte er die traditionellen Vorstellungen und Begriffe von Gott negiert. Daß wir heute keine Theologie mehr im Rang einer universalen haben, verdankt sich gleichfalls der Radikalisierung des Freiheitsbegriffes.

Kann es aber von Gottes Freiheit überhaupt einen Begriff geben? Nämlich von Gottes Handeln in der Geschichte, ein Handeln, das immer von der Zukunft der Menschheit her konzipiert und vorsieht, worüber sich keine menschliche Vernunft anmaßen kann, bestimmte Aussagen und Vorhersagen zu treffen?

Hegel selbst hat dies mit gutem Grund verweigert; nicht aber seine linken Schüler; indes die rechten in der Logik die Propädeutik einer erst noch zu schreibenden spekulativen Theologie – Rosenkranz und Schelling beinahe übereinstimmend – erblickten.

Begriff und Geist sind sowenig dasselbe wie Negation und Freiheit; weshalb unser jeweiliges absolutes Wissen in unschließbarer Differenz zum Wissen und Handeln Gottes in der Geschichte steht. Dennoch ist weltgeschichtlich evident, daß eine Beziehung Freier freigesetzt wurde, und dies ist das eigentliche Novum der heutigen und der künftigen weltgeschichtlichen Lage von Menschheit.

Kann es von einem freigesetzten Frei-Sein Gottes keine dogmatische Theologie geben, kann es von Seiten des Menschen nur die Relation zu einem „unglaublichen“, weil nicht fest zu schreibenden Gott als Leben des „Glaubens“ geben.

 

C.

 

Die Schwierigkeit, den Selbstvoraussetzungszirkel zweier Selbstreferenzen zu durchschauen, ist das zentrale innerlogische Problem der Logik. Einmal setzt die selbstreferentielle, die sich auf sich beziehende Negation, den Reigen der absoluten Kategorien frei; zum anderen sieht das selbstreferentielle Sein diesem seinen Geschehen gleichsam nur zu, wie ein Auftraggeber der Tätigkeit des Beauftragten.

Ein doppelter Zirkel mithin, der, wäre er extern begründbar, das logische Systemdenken der Vernunft zu einem äußeren Werkzeug und Mittel degradieren würde. Wir müssen immer schon in der Vernunft gewesen sein, um in ihrem Wesen deren Unterschiede denken zu können.

Und zu diesem Doppelzirkel kommt selbstverständlich der ihrer Darstellung durch Hegelsches Denken und Hegelsche Sprache noch hinzu. Die Anmaßung, mit eigenem Denken und eigener Sprache die der Vernunft und des Absoluten ermessen zu können.

Wie Hegel Sein und Nichts am Anfang einführt, als sowohl ident wie different, als reine Selbstbeziehung und Beziehung auf ihr Anderes, beweist bereits, daß der Satz omnis determinatio est negatio ohne bewegte Negation des Seins nicht als Vernunftsatz beweisbar wäre. Dieser Satz und sein Beweis wäre in das Gästebuch des Verstandes aller empiristischen Philosophien täglich wieder einzutragen, wenn es denn möglich wäre, auf bloß verständigem Papier Vernunftsätze vernünftig niederzuschreiben.

Auf die Frage: woher der Corpus absoluter Kategorien?, sind somit weder die reduktionistischen Antworten der Formalisierung des Logischen noch die ideologischen Antworten einer unmittelbaren Anbetung des Logischen als des Geistes zu empfehlen.

Im ersten Fall hätte Hegel bewiesen, daß die ontologischen Prämissen der prima philosophia immer schon aus puren Gedanken purer Menschen hervorgingen, somit die Vernunft als System durch Philosophie niemals zu begründen ist; im anderen Fall hätte die Vernunft ihren Geist verschluckt, um daran zu ersticken.