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1 Zu Hegels Logik

A.

Sage mir, wie du Hegels Logik verstehst, und ich sage dir, zu welcher Art des
Philosophierens zu befähigt bist. Nichts entlarvender, nichts demaskierender als die
Einordnung dieses Werkes der Philosophiegeschichte in den Denkhaushalt der
Philosophierenden seit Feuerbach.

Entweder du bist befähigt, die Hegelsche Darstellung des tiefsten Begriffsgrundes
aller Wirklichkeit zu erfassen, oder du bist darauf beschränkt, den Grund aller Begriffe
zu verfehlen. Aber auch dein Erfassen und Verstehen ist vielfältigen Gefahren des
Missdeutens ausgesetzt, und deine Verfehlung führt fast unausweichlich in eine der
vielen Ideologien, die das Europa des 20. Jahrhunderts verwüsteten.

Unter den Missverstehendem ist das Geschäft des Reduktionierens seit Feuerbach am
populärsten, – dem ihrer Mittelmäßigkeit gemäß: Hegels Logik wird formalisiert, und
folglich begegnen wir einem kalkülversierten Gedankenspiel eines singulären
Spinners oder/und einer Fehldeutung der Philosophiegeschichte durch einen
verbohrten deutschen Philosophieprofessor.

Kaum noch begegnen wir dem Irrtum der linken Ideologen der Schule: für sie war
Hegels Logik die neue Bibel einer neuen Menschheit, die mit dem Dilettanten Lenin
glaubte, zu einer vernünftigen Menschheit ohne Gott vordringen zu können. Deren
Opfer können noch heute „biblisch“ verkünden: „Legion ist unser Name, denn wir
sind viele.“

Der andere Irrtum, mittels einer formalisierten Logik die Grundbegriffe der Idee ihres
ontotheologischen Inhaltes zu berauben, führte zu einem entleerten Vernunft- und
Freiheitsbegriff, mit dem jedes nur denkbare Spiel mit Begriffen und Welten möglich
wurde: „Alles Konstruktion“, „alles konstruiert,“ nicht nur Algebra und Geometrie eine
Erfindung trickreicher Mathematiker. Hegel als heimlicher Übervater der
philosophischen und kulturellen Postmodere: Jedem neuen Weltkalkül lasse sich
Hegels „Gedankenkalkül“ bereitwillig überstülpen.

Der Deontologisierung der Logik durch Deutschlands Irrationalsten (Schopenhauer,
Nietzsche) entsprachen im Gegenspiegel die linken Lehren der „humanisierenden“
Ersttäter Feuerbach und Marx: „Rechte“ und linke“ Ideologien säten den
„philosophischen“ Samen, der die nihilistischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts
Boden unwiderstehlich vorbereitete. Davon waren Sartres Selbsterschaffungs-Dekrete
nur noch ein müder Nachklang, um die Kinder der „ästhetischen Moderne“ bei Laune
zu halten.

 

 

B.

 

Der beliebte Gedanke des kalkulierenden Formalismus, den Geist der Hegelschen
Logik aus dem Spiel autonomisierter Negation abzuleiten, scheint zunächst den Begriff
der Freiheit – höchster und offener Antrieb jeder Philosophie des Absoluten – adäquat
zu erfassen. Durch den Trick der sich auf sich beziehenden Negation habe Hegel sein
frühes Denken überwunden, das noch im Kantischen Fahrwasser glaubte, lediglich
auf dem Boden der praktischen Vernunft eine universale Philosophie der Freiheit
begründen zu können.

Die formalistische Reduktion bestimmt den Trick in seiner formalen Struktur genau
und scheinbar erschöpfend: indem der Selbstbezug auf zwei Terme zurückgeführt
wird: die sich negierende und die negierte Negation. Und weil solcher Selbstbezug
sozusagen im Vakuum schwebe, nichts Anderes außer sich, über sich und hinter sich
habe, sei er von Hegel in dieser Gestalt als absoluter Grund, als Seins-, Wesens- und
Begriffsgrund gedacht und verstanden worden. Die sich negierende Negation wäre
Grund ihres Seins, und dieses ihr Sein wäre das Absolute.

Der Satz: „Das Sein des Absoluten ist die absolute Negativität“, in dem das Sein
zweimal, die Negativität aber nur einmal ins Wort gerufen wird, wäre zu verstehen
wie ein einfacher Satz, der im Prädikat das Wesen der Sache ausspricht und verliert.

Weil die Hegelsche Logik erst durch die autonomisierte Negation zum Sein gelange,
somit als negierte, als Negation der Negation, wäre in ihrem Anfang, in ihrer
Anfangs-Bewegung ein lauteres Nichts, von dem nicht gesagt werden könnte, dass es
sei und wodurch es sei. Denn wenn es sei, dann nicht durch ein Sein, das dem
Negieren vorausgehe, sondern durch ein Negieren, das allem Sein vorausgehe.
(Dagegen hielt bereits Kuno Fischer am unhintergehbaren Unterschied von Nichts
und Nichtsein fest.)

Noch die berüchtigte Formel der Wesenslogik: von Nichts zu Nichts und dadurch zu
sich selbst zurück, kann im Sinn einer Wesens-Auflösung, nicht im Sinn einer
absoluten Reflexion des wesentlichen Seins verstanden werden. An jedem Ort der
Logik kann deren ontologische zugunsten einer negativistischen Herkunft
verabschiedet werden, und dies aus einfachem Grund: befangen in der Bewegungen
Mitte vergessen wir, dass Bewegung ohne ihr Gegenteil sich selbst vernichtet.

Die absolute Freiheit des Begriffes könnte nicht sein, wäre ihr Seinsakt ihren
Negationen nicht vorausgesetzt und allesamt durchdringend und begleitend. Deren
Bewegung könnte nicht sein, wäre sie nicht ihre eigene im Gegenteil von Bewegung.
Denn die verabsolutierte Negation mag „alles Mögliche“

hervorbringen, beliebige Freiheitswelten en masse, nicht aber vermag sie das je und je
vorausgesetzte Sein ihrer selbst zu generieren.

Und dies wiederholt sich spezifiziert in der sogenannten konkreten Wirklichkeit: die
Welt ist ein vorhandenes Negieren, dessen Anschauung und Erfahrung das Denken
schon akzeptiert haben muß, um Kategorien als Begriffe der Welt in Anschlag und
Anwendung bringen zu können.

Die Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung reproduziert die von Determination
und Negation in gleichsam flüssigerem Element. Gilt aber der Satz, dass alles
Unmittelbare vermittelt und alles Vermittelte unmittelbar sei, dann gilt dies auch für
die Negation und deren behauptete Autonomisierung, – durchgängig und von Anfang
an.

Schon das Nichts des Anfangs ist als ein Anderes von Sein andenkbar und im Werden
gesetzt, und somit sind alle primären Negationen des Seins nur als dessen
Selbstnegationen möglich. Das Selbst des Seins, das Sein des Selbstes ist immer
schon da, aber in anfangs nur erst angedachter Bewegung eines Begriffes, der leerer
nicht sein könnte als er ist.

Die Metapher der „Folie“ verwendet das moderne Denken, um sich Verhältnisse dieser
Art vorstellbar zu machen; der Fluß des Heraklit täte es auch, und zwar weniger
äußerlich und fahrlässig. Wird etwas bestimmt, das zuvor sein Selbstbestimmen ist,
das sich aber erst in seinem Ende als solches weiß, dann ist die sogenannte
autonomisierte Negation nur ein Abbild unserer Freiheit, aber zugleich unsere
Freiheit ermöglichend.

Begriff und Sein, die absolute Negativität und die absolute Positionalität (einer immer
schon vorhandenen Entität), sind somit die Extreme, die äußersten logischen
Exponenten, und innerhalb ihrer Setzungen hat sich die prima philosophia jeder
wirklichen Philosophie zu bewähren. Und insofern scheint sie über die Differenz von
Parmenides und Gorgias nie hinauskommen zu können.

Andererseits scheint die Meinung berechtigt, die Hegelsche Logik tauge nicht zur
Begründung einer neuplatonischen Ontologie. Denn die autonomisierte Negation
scheint schlussendlich alles in ihre Freiheit hineinzusaugen, ohne einen Ideenhimmel,
ohne ein affirmatives Sein zu hinterlassen.

Wäre dem so, könnte sich Hegel nicht als Verfechter einer absoluten Idee behaupten,
deren Gedanken in der Natur außer sich, im Geist aber für sich wären. Auch die Natur
qua Universum trägt das Negative als stetes Moment in sich, denn es ist ein
bestehendes Universum, sosehr in ihm zugleich nichts von ewigem Bestand sein
kann.

Weil auch das Hegelsche System nicht in der prima philosophia, sondern in der Frage
nach dem absoluten Geist kulminiert, ist die Mahnung mancher zeitgenössischer
Philosophen illusorisch, die Theologie hätte noch schärfer als
geschehen gegen Hegel Stellung bezogen, wenn sie genauer um die logische
Prämisse der absoluten Negativität Bescheid gewusst hätte.

Baur und Kollegen blieb es aber nicht verborgen, dass Hegel einen absoluten
Prozessgott der Geschichte als zugleich absoluten Vernunftgott gedacht hatte. Und er
hätte damit nur radikalisiert, was im Christentum und dessen bisheriger Theologie
schon angelegt war, nicht aber hätte er die traditionellen Vorstellungen und Begriffe
von Gott negiert. Daß wir heute keine Theologie mehr im Rang einer universalen
haben, verdankt sich gleichfalls der Radikalisierung des Freiheitsbegriffes.

Kann es aber von Gottes Freiheit überhaupt einen Begriff geben? Nämlich von Gottes
Handeln in der Geschichte, ein Handeln, das immer von der Zukunft der Menschheit
her konzipiert und vorsieht, worüber sich keine menschliche Vernunft anmaßen kann,
bestimmte Aussagen und Vorhersagen zu treffen?

Hegel selbst hat dies mit gutem Grund verweigert; nicht aber seine linken Schüler;
indes die rechten theologischen in der Logik Hegels die Propädeutik einer erst noch
zu schreibenden spekulativen Theologie – Rosenkranz und Schelling beinahe
übereinstimmend – erblickten.

Begriff und Geist sind so wenig dasselbe wie Negation und Freiheit; weshalb unser
jeweiliges absolutes Wissen in unschließbarer Differenz zum Wissen und Handeln
Gottes in der Geschichte steht. Dennoch ist weltgeschichtlich evident, dass eine
Beziehung Freier freigesetzt wurde, und dies ist das eigentliche Novum der heutigen
und der künftigen weltgeschichtlichen Lage der Menschheit.
Kann es von einem freigesetzten Frei-Sein Gottes keine dogmatische Theologie
geben, k a n n es von Seiten des Menschen nur die Relation zu einem
„unglaublichen“, weil nicht festzuschreibenden Gott als Leben des „Glaubens“ geben.

 

C.

Die Schwierigkeit, den Selbstvoraussetzungszirkel zweier Selbstreferenzen zu
durchschauen, ist das zentrale innerlogische Problem der Logik. Einmal setzt die
selbstreferentielle, die sich auf sich beziehende Negation, den Reigen der absoluten
Kategorien frei; zum anderen sieht das selbstreferentielle Sein diesem seinen
Geschehen gleichsam nur zu, wie ein Auftraggeber der Tätigkeit des Beauftragten.

Ein doppelter Zirkel mithin, der, wäre er extern begründbar, das logische
Systemdenken der Vernunft zu einem äußeren Werkzeug und Mittel degradieren
würde. Wir müssen immer schon in der Vernunft gewesen sein, um in ihrem Wesen
deren Unterschiede denken zu können.

Und zu diesem Doppelzirkel kommt selbstverständlich der ihrer Darstellung durch
Hegelsches Denken und Hegelsche Sprache noch hinzu. Die Anmaßung, mit eigenem
Denken und eigener Sprache die der Vernunft und des Absoluten ermessen zu
können.

Wie Hegel Sein und Nichts am Anfang einführt, als sowohl ident wie different, als
reine Selbstbeziehung und Beziehung auf ihr Anderes, beweist bereits, dass der Satz
omnis determinatio est negatio ohne bewegte Negation des Seins nicht als Vernunftsatz
beweisbar wäre. Dieser Satz und sein Beweis wäre in das Gästebuch des Verstandes
aller empiristischen Philosophien täglich wieder einzutragen, wenn es denn möglich
wäre, auf bloß verständigem Papier Vernunftsätze vernünftig niederzuschreiben.

Auf die Frage: woher der Corpus absoluter Kategorien?, sind somit weder die
reduktionistischen Antworten der Formalisierung des Logischen noch die
ideologischen Antworten einer unmittelbaren Anbetung des Logischen als des Geistes
zu empfehlen.

Im ersten Fall hätte Hegel bewiesen, dass die ontologischen Prämissen der prima
philosophia immer schon aus puren Gedanken purer Menschen hervorgingen, somit
die Vernunft als System durch Philosophie niemals zu begründen ist; im anderen Fall
hätte die Vernunft ihren Geist verschluckt, um daran zu ersticken.