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14 Zur Geschichte des Matterhorns

Den archaischen Ahnen der Helevetier erschien das Matterhorn als amputierter
Götterriese: ein übermenschlich aufragendes Haupt, aber mit abgeschlagenem
Antlitz. Bewiesen also, daß ihn einer seiner Antipoden dergestalt zugerichtet
hatte. Heilige Pflicht der Schamanen somit von Generation zu Generation –
durch ungezählte Jahre – den in Furcht und Schrecken versammelten Stämmen
das unerklärbare Verschwinden des Göttergesichtes durch aufklärende
Erzählung zu erklären und mit ritueller Beschwörung und kultischer
Besänftigung die katastrophische Genesis einer sakral erfahrenen Götter-
Gestalt glaubhaft zu machen.

Der Frevel der abschlagenden Zurichtung wurde auf den Frevel eines
Götterkampfes zurückgeführt, und weil dieser keiner weiteren Begründung und
Befragung zugänglich war, begründete ein unsichtbarer und einmaliger
Urfrevel den sichtbaren im Hier und Jetzt: die antlitzlose Gestalt des Matterhorn.
Eine Erkenntnisprozedur, die dem archaischen Bewußtsein ebenso
unwiderlegbar wie als eine von den Göttern geoffenbarte Weltweisheit erschien.

Dieses Muster einer geschlossener Selbstbegründung und -erklärung findet
sich wieder in allen Zirkeln ontologischer Begründungen, empirischer
Welterklärungen und evolutionstheoretischer Thesen über Anfang und Ende
von Welt und Menschheit. Ohne Zirkelbewegung des Denkens kein Beweis aus
dem Begriff, ohne Zirkelbewegung empirischer Beobachtung kein Beweis aus
dem empirischem Datum, ohne Zirkelbewegung evolutionärer
Totalabstammung keine kausalmechanische Evolution.

Im Labyrinth des archaischen Erlebens und Denkens war nur im Rückgriff auf
schon vorhandene Welt- und Göttervorstellungen jener spezielle Zirkel von
Faktoren und Ereignissen zu finden, der für die Geschehnisse und
Erscheinungen der Natur einen zureichenden Grund gewährte. Und weil sich
dieser Grund in seinem Zirkel vollständig selbst zu begründen schien, erklärte er
mit unwiderlegbarer Selbstverständlichkeit noch die sonderbarste Gestaltungen
von Natur und Welt.

An dieser Grundfigur des weltbegreifenden Beweisens werden seither nur die
Urgesichter und Faktoren, die Gründe und Ursachen ausgetauscht, – immerfort
nach Maßgabe des jeweils herrschenden Weltbildes. Unsere geologischen Erst-
und Letztprodezuren – Faltung, Erosion, Erdbeben, Sedimentierung undsofort –
müssen doch wieder auf andere zurückgeführt werden – Plattentektonik,
magmatische Bewegungen des Erdmantels, Rotation der Erde undsofort -, und
diese wiederum auf außerplanetarische und galaktische Prozeduren, um
schließlich den Urfrevel des Urknalls als Urgrund anzuführen. Die Welt scheint
geblieben, was sie schon immer war: ein sich selbst steuernder Frevel mit
ungewissem Ende.

Doch anders als unser realapokalyptisches Bewußtsein verfügte der Horizont
des archaischen über ein anthropozentrisches Eingesponnensein; Götter und
Dämonen balgten sich, um des Menschen Schicksal zu ermöglichen und zu
begleiten. Schuldete das Matterhorn sein abgeschlagenes Antlitz einem
Göttergericht, dem als Vorgeschichte einzig ein Götterkampf, böswillig vom
Kosmos-Zaun gebrochen, vorausgegangen sein konnte, dann war dies bereits
die Proklamation, daß Gut und Böse auch unter Menschen ein Gericht
verlangen, dem nicht zu entrinnen ist. – Noch Karl der Große ließ das
Gottesurteil in unklärbaren und zweifelhaften Rechtsfällen rechtsgültig
anwenden: wer im waffenklirrenden Zweikampf der Streitparteien siegte, war
von Anklage und Schuld befreit, der Unterlegene aber mit drastischen Strafen
bis hin zur Tötung zu belegen.

Aber die Proklamation enthielt auch die Botschaft, daß dem Götterstreit ein
Götterfrieden vorausliegt, ein paradiesisches Einst, das sich als ewiges Dereinst
verstehen ließ: wo alle Berge ringsum mit Gesichtern und Blicken zu
erleuchteten Menschen sprachen, um einen unbegrenzten Frieden mit den
Göttern und unter den Stämmen zu gewähren. Menschen waren noch Söhne
und Töchter der Berge; Berge aber Väter und Mütter der Menschen.

Unausbleiblich, daß die Erklärungen der Schamanen über Frevel und Folgefrevel
dieser Welt im Gang durch die Jahrtausende unbemerkt verändert wurden, – bis
unterm Schlag des ius romanum die letzten Funken aller Schamanenlichter zu
verlöschen begannen.

Den Mythos fortdenkend, mag der Schamane in einer fortgeschrittenen Stunde
der Stammesgeschichte erkannt und verkündet haben, daß dem Urfrevel der
verhängnisvolle Ausbruch von Neid und Eifersucht unter den Allerhöchsten
zugrundegelegen, und wie es die Zirkelgesetze dieser Welt befahlen,
entzündeten sie sich am schönsten aller Antlitze, und daher sei es gekommen,
wie es kommen musste: Der Antipode verging sich am entäugten Schönling.

Und noch Ärgeres wäre geschehen, vielleicht der Untergang der Welt, das
Verschwinden alles Lebens und aller Menschen, hätte nicht ein Gott aus anderer
Sphäre, einer von den gänzlich unsichtbaren, zuständig für das Kommen und
Gehen der Lüfte und Winde, in das Göttergemetzel eingegriffen. Dieser
unsichtbare Gott habe, um den Frevel zu sühnen, ausnahmslos allen Erhabenen
der Gebirge in einem Augenblick Gesichter und Augen abgeschlagen. Und
seitdem stehen sie mit ermatteten Hörnern, und geschründet ist ihr Antlitz, das
einst prächtig versöhnende, und bestraft wurden alle schon wegen des Frevels,
sich menschengleich und in greller Sichtbarkeit gezeigt zu haben.

In der unübersehbaren Kette der Generationen, in jedem Augenblick seiner
Stammesgeschichte, fand sich der Helvetier vollkommen aufgeklärt über die
Gründe und Ursachen seiner Welt, und er sah wirklich und
glaubte nicht bloß zu sehen, was er wirklich erblickte. Die Geltungen der
Erklärungen galten unvergeltbar. Die Schuld des geblendeten Schamanen war
nichts als die unschuldige seiner Stämme.

Weil aber das Abwesende die Phantasie des Menschen ebenso anzieht wie das
Verbotene seine Lust, erschien in den Träumen des Stammes auch das düstere
Bild jenes schuldbeladenen Antipoden, furchtbar und peinigend, mit
stechenden Augen voll haßerfüllter Sonnenglut. Und der züngelnde Verdacht
fiel nach und nach auf alle Berge in der Umgebung des Matterhorns, und allen
wurde bezeiten das ganze Repertoire archaischer Geißelung angetan, von der
Auspeitschung über die Verhöhnung bis hin zum Martyrium unter kreuzigenden
Pfeilgeschossen.

Versagten alle Bestrafungen, weil des kollektiven Schlafes Alpträume nicht
schwanden, dann berief sich der Schamane auf den letzten Zirkel seiner
Beschwörungslogik und gebot die grausamsten Opfer an Mensch und Tier. Und
der archaische Mensch schonte nicht Gut und nicht Leben, und jeder
Angehörige des Stammes erwies sich opferwürdig, das Gleichgewicht der Welt
zu retten. Eine archaische Würde, an die noch unsere heutigen Gipfelfeuer zur
Sonnenwende entfernt erinnern.

Aber die göttergerichtlichen Lehren über das fragmentierte Aussehen des
Matterhorns waren vielleicht schon in den Tälern jenseits der noch kaum
übersteigbaren Berge auf kopfschüttelndes Unverständnis gestoßen. Denn
jeder Mythos war nur einer unter unzähligen, und die verwandtesten wie die
einander fremdesten fanden sich zu Füßen der als Götter verehrten Kolosse ein.

Der zukunftsgerichtete Mythos, die eschatologische Version des Götterkampfes,
regierte vielleicht schon in einem der benachbarten Täler. Und hier galt nun für
ausgemacht und selbstverständlich, das Matterhorn sei nur erst zur Hälfte
vollendet. Die eingedrückte Flanke, die bauch- und gesichtslos in eine
furchterregende Höhe schoß, ließ sonnenklar erkennen, daß des Menschen
Auge eine junge aufblühende Göttin erblicke, die in gänzlich verborgenen
Zeiträumen ihrer vollen Gestalt entgegenwuchs.

Verständlich daher, daß ihr karges Frontmassiv, das beinahe das Gerippe des
Skeletts durchscheinen ließ, einen unersättlichen Appetit entfaltete; unentwegt
verlangte es in seiner Ungenährtheit nach ausreichender und ansehnlichster
Nährung. Schon vor Urzeiten waren deshalb die Ahnen des Stammes unter dem
weisen Seherblick des Schamanen übereingekommen, alle nur
lebensnotwendigen Opfer zu erbringen. Auf den Opfersteinen zu Füßen der
gefräßigen Junggöttin wurden seitdem Pflanzen und Tiere bei jedem Vollmond
in Hülle und Fülle, Menschen aber bei jeder Sonnenwende dem heiligen Feuer
übergeben.

Fragten Vorlaute, was geschähe, wenn die Göttin eines Morgens in voller Gestalt
aus den Nebelschwaden trete, gab der Schamane mit verklärtem
Blick, strahlend vor absolutem Wissen, auch darüber unbedingten Bescheid.
Dann werde die Zeit im Geist der Ahnen erfüllt und gewesen sein, und mit
einem gewaltigen Schritt nach vor werde die Göttin das endgültige Zeichen zum
Aufbruch geben, und alle Schwestern und Brüder ringsum würden sich
augenblicks erheben, um heimzukehren und heimzufliegen in den Sonnenvater.

Und dunkel glaubte er auch zu wissen, wann dies geschehen werde, ohne daß
er es über sich brachte, auch nur ein Sterbenswörtchen seiner Mutmaßungen
der öffentliche Kunde anzuvertrauen. Er glaubte, einen verborgenen und doch
sichtbaren, einen nur durch kühnes Nachsinnen entdeckbaren Zirkel und
Letztgrund ausfindig gemacht zu haben. Diesem zufolge wurde der Erdstätte
das Maß ihrer Lebenszeit in Sonnenjahren angezählt.

Für den Eingeweihten war das verborgene heilige Maß in jeder klaren Nacht am
Sternenhimmel unverborgen ablesbar. Denn das Vatergestirn würde die Erde
nur bis zu jenem Tag des letzten Sonnenjahres umsorgend umkreisen, als es
Jahre benötigte, die große Zahl nachzuzählen, – die Zahl der für Menschen
unzählbaren Sterne, die in jeder klaren Nacht einen Mantel todängstigenden
Schweigens auf die Erdstätte warfen, das beinahe nicht zu beschwören,
beinahe nicht auszuhalten war. Weil aber jährlich nur ein Stern abgezählt
wurde, denn jeder Jahresumlauf der Sonne kommunizierte zählenderweise nur
mit einem einzigen Stern, – als zählte der Sonnengott die leuchtenden Juwelen
seiner dunklen Himmelskrone bedächtig und zeitvergessen -, so mußte die
große Heimkehr der Erde mit der großen Zahl aller Sterne
geheimnisverschworen zusammenhängen.

Davon den Seinen zu berichten, wäre aber unmöglich gewesen und war daher
tabu, denn auf eine Konstruktion, die mit unvorstellbaren Sternenlichtjahren
hantierte, hätten sie sich keinen Reim zu machen gewußt. Auch nicht mit neuen
kühnen Worten, nicht mit unbekannten Namen, mit ungewöhnlichen Zeichen
und Tänzen, nicht mit unhörbaren Gesängen hätte er ihnen das Unvorstellbare
vorstellbar machen können. Und wozu auch, hatte er doch einen starken Trost
im Talon, den er bei allzu vorlauten Fragen triumphierend auszuspielen pflegte.

Überm Stroh ihrer Fragen könnten sie beruhigt schlafen, verkündete er mit
bebender Gewißheit, denn der Aufbruch der Göttin und der ganzen Erdstätte
werde zugleich der Aufbruch des Stammes und seiner Anverwandten, aller
getreuen Ahnen und heiligen Tiere sein. Alles werde an jenem herrlichsten aller
Tage heimkehren, um sich im Heimflug in das Reich des Sonnenvaters zu
vollenden. Und gemeinsam mit den Götterbergen, gemeinsam mit allen Ahnen
und machthabenden Tieren würden sie an jenem nichtendenden Tag im
nachtlosen Sonnenreich den ewigen Feuertanz tanzen, während unter ihren
Füßen die Fremdlinge und Feinde, alle Bösen und Mörder, auf ewig
geschmoren und gebraten würden.

Aber alle diese Versprechen halfen nicht, eine viel näher liegende und alltäglich
quälende Sorge zu vertreiben, deren Bedrückung alle durchdrang und
gefangen hielt. Noch die prophetischen Versuche des Schamanen, die
prachtschöne Gestalt der kommenden Göttin zu schildern, ihre berglangen
Arme und Beine, den hohen Bauch und die unter den Wolken quellenden
Brüste, auch das Leuchten ihres Gesichtes, dem der Mondfrau gleich; – alle diese
Verheißungen konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich ein kaum
verhüllbares Entsetzen über eine Ohnmachtslücke im geschlossenen System der
beschwörenden Riten und Letzterklärungen in den Knochen des Stammes
züchtigend eingelagert hatte.

Denn obgleich der Schamane nach der unwiderlegbaren Scheinüberzeugung
aller die bewiesene Macht über das Kommen und Gehen von Donner und Blitz,
von Regen und Schneefall besaß, versagte seine Macht erbärmlich, wenn der
undurchdringliche Alpennebel in das Tal einfiel und sich oft für Tage und
Wochen an allem sichtbaren Wesen festsaugte.

Und mit diesem Versagen hing noch ein Ärgeres ursächlich zusammen. Trieb
nämlich die schlohweise Erscheinung ihr ungreifbares Unwesen umher, dann
ruhte nach Ansicht aller das Wachsen und Gedeihen der Göttin, das doch sonst
bei heftigstem Gewitter und Schneesturm keinen Atem lang aussetzte, – es
ruhte also das heiligste Leben der Göttin selbst, aus peinlich-peinigenden
Gründen, die ebenso unerfindlich wie streng überliefert waren und jedes Opfer
bei Todesstrafe untersagten.

Und hüllte daher der gefürchtete Nebel die vertraute Welt in seine geisterhaften
Schleier, ballte sich der Kummer des ganzen Stammes ausweglos zusammen,
besonders in den Monaten der kurzen Tage, und alle verfielen einer lähmenden
Depression mit kollektivem Jammern und Heulen. Auch darüber hatten der
Schamane und seine Diener keine Macht, waren sie doch nur der
organisierende Teil im allgemeinen Trauern und Weinen.

Und schwach war der Trost, daß er manchmal nach Verzug der Nebelungetüme
versuchte, nacherklärende Beschwichtigungen auszusingen und sich dabei, in
der Verzweiflung über die Grenze seiner Macht, zu oft kühnen und letzten
Spekulationen verstieg, sogar zu einer Erzählung, die er glaubte, allen
bekannten Erzählungen über das Herkommen und Hingehen von Götter- und
Menschenwelt als eine letzte und uranfängliche Erzählung unterschieben zu
können.

Da stand er nicht an, zu behaupten, daß es für ihn längst nicht mehr Geheimnis
sei, daß Tier und Mensch, Erde und Wälder, Sterne und Wasser uranfänglich
dem glühenden Herzen des Sonnengottes entwachsen seien.

In einem siebenjährigen Urnebel habe im Anfang der Sonnenvater über und in
sich gebrütet, ehe der Alleserleuchtende seine Söhne und Töchter ausgespien
und auf die Erde geworfen, die glänzenden Perlen seiner Himmelskrone aber
der Mondgöttin zur Schmückung überreicht hätte.

Doch kam es über der Frage, ob und warum bei Nebeleinfall das Leben der
Göttin stillstehe, in den Jahrhunderttausenden des Tälerlebens um das
Matterhorn, unterbrochen nur durch die regelmäßig wiederkehrenden
Jahrzehntausende der Eiszeiten, mehrmals zu Spaltungen in Nebelmythos, zu
Streit und Widerstreit über dessen Zirkelfiguren, und darüber immer wieder zu
tätlichen Auseinandersetzungen und stammesbürgerlichen Kämpfen. Es ging es
um die Ehre eines götternahen Lebens.

Doch wie sich im weiten Feld aller Geschehnisse zu jedem Grund ein
widerstreitender finden läßt, so läßt sich zu jeder Erzählung eine
Gegenerzählung ersinnen. Benachbarte Clans mit gewitzigten Schamanen
bestritten mit der Zeit durch tolle Gründe das geltende Verbot, die Nährung der
Göttin in den blinden Zeiten getrübter Nebelwelt einzustellen. Genau das
revolutionäre Gegenteil der bisher geltenden Gründe und Verhaltungen schien
nun einen Weg aus der ausweglosen Verzweiflung zu bahnen.
Selbstverständlich hielten die konservativen Clans dagegen, sie ließen ihre
angestammten Gründe nicht im Stich, und mit allem Haß und Zorn, den einmal
eingelebte und eingesehene Erzählungen einfordern, verfolgten sie ihre
umstürzlerischen Antipoden.

Gegenseitig drohten sich die Parteien den bevorstehenden Untergang der Welt
an, und was die einen als lebensvernichtenden Frevel und Zusammensturz des
Göttergebäudes fürchteten, das war den anderen die endgültige Rettung aus
aller Not und Verzweiflung. Und über dem Austrag der gegenteiligen
Meinungen, über der Schlichtung der Streite und Widerstreite, über der
Geschichte der Befriedung aller Beleidigungen und Gemetzel vergingen
allmählich die Jahrtausende, – mit einer Geduld, der niemals auch nur eine unter
den geplagten Menschenhäuten nachzusinnen sich ermächtigt fühlte.

Durch Jahrtausende beklagte die rückwärtsgewandte Version des gängigen
Mythos an seiner argen Welt den Verlust eines paradiesischen Nicht-mehr-Seins,
während die vorwärtsgewandte Version den Entzug eines ebenso
paradiesischen Noch-nicht-Seins für dieselbe arge Welt einklagte. Erst gegen
Ende des mythischen Äons vergleichgültigten sich die unzähligen Mythen und
Submythen gegeneinander, das Erzählen und Beschwören globalisierte sich zu
vereinfachten Abschiedsformen, und am Ende ging alles schnell und stürzte
immer schneller.

Es kamen die Römer, es kamen die Christen, und zuletzt kam eine ganz neue
Zeit, in der alles Wissen über Welt und Mensch beschwörungslos wurde, und
alles Begründen der Geschehnisse ohne Götter und Gott auszukommen
gedachte. Die Jagd nach der großen Theorie begann; in der
totalen Vereinheitlichung aller Gründe sollen die Dinge dieser Welt ihre
endgültige Befriedung finden. Aber wie nicht anders zu erwarten, geschieht
längst das Gegenteil: die Spaltung in unzählige Theorien, die längst schon zu
viele geworden sind, um noch aufeinander hören zu können. Und erst jetzt ist
die Gestalt des Matterhorns durch anthropozentrische Geschichten gänzlich
unerzählbar geworden.
Juni 2007